Ausflugsboom «Den Hintern kann man sich auch mit feuchtem Moos abwischen»

Von Tobias Bühlmann

2.8.2020

Rund ein Sechstel der Schweiz gilt immer noch als Wildnis – wie beispielsweise der Bödmerenwald im Muotatal.
Rund ein Sechstel der Schweiz gilt immer noch als Wildnis – wie beispielsweise der Bödmerenwald im Muotatal.
Bild: Keystone/ Gaetan Bally

Die Schweizer zieht es derzeit in die freie Natur wie noch selten zuvor. Für die Wildnis wird das schnell zum Problem – ausser man hält sich an einige einfache Regeln. Und letztlich könnte auch der Zeitgeist der Natur zu Hilfe kommen.

Ferien in der Schweiz sind derzeit extrem gefragt, die Tourismusregionen darum gut besucht. Nach Monaten des Lockdowns sehnen sich aber viele nach Einsamkeit und wilder Natur.

Doch wenn die Massen in die naturbelassenen Gegenden reisen, führt das schnell zu Problemen, weil sie damit genau das stören, was sie suchen.

«Bluewin» hat bei Maren Kern von Mountain Wilderness Schweiz nachgefragt, wie man die Natur geniessen kann, ohne eigene Spuren zu hinterlassen.

Frau Kern, viele sehnen sich nach Erlebnissen in der möglichst unberührten Natur. Kann das in der Schweiz überhaupt funktionieren?

Völlig unberührte Natur ist eine Illusion, vielleicht mal abgesehen von Gletschervorfeldern. Aber sehr naturnahe Landschaften gibt es auch bei uns, wo die Einwirkung der Menschen gering ist. In der Schweiz kann man noch gut einen Sechstel der Fläche als Wild bezeichnen, haben wir in einer Studie herausgefunden.

Der grösste Teil davon liegt im Hochgebirge, um dieses zu erkunden, braucht es die entsprechenden Fertigkeiten und Ausrüstung. Wenn man da eine oder zwei Nächte verbringen will und umsichtig umgeht, dann ist das sehr wohl möglich. Aber dabei muss man sich an ein paar Regeln halten, um möglichst wenig Spuren zu hinterlassen.

Zur Person: Maren Kern
zVg

Maren Kern ist Geschäftsleiterin von Mountain Wilderness Schweiz. Die Organisation setzt sich für den Schutz der Wildnis ein – anfänglich wehrte sich der Verein vor allem gegen Heliskiing. Diesen Sommer hat Mountain Wilderness Schweiz die Kampagne «How to #keepwild» lanciert, die in sechs kurzen Videos die wichtigsten Regeln fürs Verhalten in der freien Natur erklärt.

Keine Spuren zu hinterlassen, ist nicht immer einfach. Was macht man, wenn man beispielsweise mal muss?

Wenn man sein Geschäft verrichten muss, soll man es weit weg von Gewässern verrichten, es möglichst vergraben und kein Papier hinterlassen – den Hintern kann man sich auch mit angefeuchtetem Moos gut abwischen. Wir haben dem Thema in unserer #keepwild-Kampagne ein eigenes Video gewidmet.

Und wie sieht es aus mit Feuer: Geht das, ohne Schaden anzurichten?

Der Mensch macht schon seit Urzeiten Feuer, es sorgt für viel Stimmung. Übermässig und am falschen Ort gemacht kann es jedoch viel Schaden anrichten. Da Brennmaterial oft knapp ist, ist ein Campingkocher ohnehin meist die bessere Alternative. Macht man trotzdem ein Feuer, ist es am besten, vorhandene Feuerstellen zu verwenden.

Wäre es nicht besser, wenn die naturbelassenen Gebiete gar nicht mehr zugänglich wären?

Es ist gut, wenn sich die Leute in den Bergen aufhalten, das sensibilisiert sie für die Natur. Aber sie sollen es möglichst respektvoll machen. Gebiete ohne Erschliessung durch Fahrstrassen oder Seilbahnen sind selten überlaufen. Hier sind auch die Entscheidungsträger in der Pflicht, vorauszudenken.

«Wer Wildnis erleben will, muss sich an Regeln halten.»

Der Schweizer Alpen-Club (SAC) plädiert für Respekt vor der Natur, betreibt aber Hütten mitten in Schutzgebieten – ist er damit nicht Teil des Problems?

Dem kann ich so nicht zustimmen. Eine einfache Schutzhütte für mehrtägige oder hochalpine Touren kann auch in einem Schutzgebiet stehen. Die Bewirtschaftung und das Verhalten der Gäste sind entscheidend. Die Tendenz, dass Hütten immer mehr zu Berghotels ausgebaut werden, beobachten wir jedoch sehr kritisch – auch weil sie mehr Versorgungsflüge auslösen.

Der SAC versucht unterdessen mehr, seine Mitglieder dazu zu bringen, das benötigte Material hochzutragen, anstatt es einzufliegen. Das finden wir sehr begrüssenswert. Wir alle können mithelfen, indem wir vor der Tour in der Hütte nachfragen, ob wir beispielsweise einen Salatkopf mitbringen können.

Wie erreicht man die erlebnisorientierten Touristen?

Es gibt ja aktuelle Trends wie Achtsamkeit oder Waldbaden, die Nachhaltigkeit unterstützen. Und die Hoffnung ist da, dass dank dieser Entwicklung unsere Anliegen besser durchdringen. Es wäre schön, wenn es nicht nur um die schöne Kulisse geht, sondern, wenn die Gäste ein Bewusstsein fürs grosse Ganze entwickeln und sich beispielsweise auch gegen einen neuen Hotelbau am Bergsee wehren.

Und wie steht es um jene, die nur kommen, um ein paar schöne Bilder für Instagram zu schiessen?

Der Hype, den Instagram-Bilder auslösen können, ist auf wenige, meist gut erreichbare Hotspots konzentriert. Das ist lokal ein Ärgernis, auf die Natur als Ganzes haben Instagramer eher einen kleinen Einfluss.

«Trends wie Achtsamkeit oder Waldbaden unterstützen die Nachhaltigkeit.»

Thema E-Mountainbikes: Kommt da neues Unheil?

Das Unheil kommt, wenn Wege für E-Mountainbikes ausgebaut werden. Denn die anderen Wege sind auch mit Motor oft noch schwer zu überwinden. Aber die E-Bikes haben auch ihr Gutes, wenn sie ein Auto ersetzen und jemand stattdessen mit dem Velo zu einer Tour fährt. Aber ja, die Reichweite wird so auch grösser und Anstiege lassen sich damit leichter überwinden.

Haben Sie zum Schluss noch einen Geheimtipp für eine schöne Tour?

Tipps zu geben, ist nicht meine Aufgabe. Aber man kann auch in Stadtnähe Wildnis erleben. In Bern kann man dazu beispielsweise zur Hinterseite des Bantigers gehen oder ans Schwarzwasser.

Und sonst kann man einfach eine Karte zur Hand nehmen und genau studieren: An einem Ort, wo keine Strassen und Seilbahnen mehr in der Nähe sind, ist die Wildnis umso grösser.

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