Galiläa In Israel auf Jesu Spuren wandeln

Von Manuel Meyer/dpa

6.1.2020

Biblische Orte, grandiose Natur: Wer in Galiläa auf dem Jesus Trail von Nazareth zum See Genezareth wandert, lernt die Heimat des Messias der Christen abseits der Touristenpfade kennen.

Schon am frühen Morgen fallen die Pilgerscharen mit Touristenbussen in Nazareth ein. Vor der Verkündigungskirche bilden sich Schlangen. Es herrscht Gedrängel. Ein Stossgebet, ein Foto, weiter geht es. Schliesslich müssen noch mehr biblische Orte in Nazareth und Galiläa im Norden Israels besucht werden.

Auf ein derart hektisches Sightseeing per Bustour haben Anette Jonczyk, 56, und ihre Tochter Franziska, 21, keine Lust. Sie wohnen in der Altstadt von Nazareth im «Fauzi Azar Inn», einem 200 Jahre alten Herrenhaus aus osmanischer Zeit. Von hier aus wollen sie ihre Wanderung auf den Spuren des Herrn starten.

Zu Fuss auf Jesu Spuren

Der sogenannte Jesus Trail, eine 65 Kilometer lange Wanderstrecke von Nazareth zum Fischerdorf Kapernaum am See Genezareth, beginnt nicht zufällig vor dem «Fauzi Azar Inn». Hotelbesitzer Maoz Inon war massgeblich an der Entstehung des Pilgerwegs beteiligt. Die grobe Richtung war vom Evangelisten Matthäus vorgegeben: «Und er verliess Nazareth, um in Kafarnaum zu wohnen, das am See liegt.» Maoz und ein Freund verbanden landschaftlich interessante Wanderwege, historische Pfade und teils aus der Römerzeit stammende Pflastersteinwege, die auch Jesus auf seinem Weg zum See Genezareth genommen haben muss. Sie markierten die Strecke mit gelben Punkten.



Anette und Franziska setzen sich ihre Rucksäcke auf. Vom «Fauzi Azar Inn» geht es zunächst durch die engen Gassen des Basarviertels. In der Synagoge im verwinkelten Strassenlabyrinth lernte Jesus der Überlieferung zufolge lesen und schreiben. Es riecht nach Gewürzen, Orangen, Pita-Brot, Lederwaren und Weihrauch – ein Fest für die Nase.

Die Zahl der Hotels auf dem Trail ist noch recht überschaubar – die der Müllberge beim Auszug aus Nazareth leider nicht. Doch je weiter sich Anette und ihre Tochter von der Stadt entfernen, desto sauberer wird es. Blumenwiesen leuchten gelb, rot und lila. Olivenbäume und Kaktusfeigen säumen den Feldweg.

Einsame Ruinen

Es handelt sich um einen Pfad, den wahrscheinlich auch Jesus mehrmals die Woche nahm. Denn er führt in die knapp zehn Kilometer entfernte Ruinenstadt des antiken Sepphoris. Nazareth war zu Jesu Zeiten ein kleines Dorf, Sepphoris eine blühende Handelsstadt. Historiker gehen davon aus, dass Joseph und Jesus hier als Zimmermänner arbeiteten.



Die auf einer Anhöhe liegende archäologische Ausgrabungsstätte im Zippori National Park ist beeindruckend, aber kaum besucht. Alte Römer-Strassen, die Reste herrschaftlicher Villen, die Synagoge, die Kreuzfahrer-Festung und das Amphitheater mit 4'000 Sitzen zeigen, welch grosse Bedeutung die Stadt hatte.

Noch fast sechs Kilometer sind es bis nach Kfar Kana, das biblische Kanaan, Ziel der ersten Tagesetappe. Durch Pinienwälder geht es zunächst ins muslimische Maschad. In dessen Moschee sollen die Gebeine des Propheten Jonas liegen, der laut der Bibel von einem Wal verschluckt wurde. Kinder verlangen Süssigkeiten als Wegegeld.

Arabische Gastfreundschaft

Durch Orangen- und Olivenplantagen wandern Anette und Franziska zum Ort mit dem wohl feuchtfröhlichsten aller Wunder weiter. Hier verwandelte Jesus auf einer Hochzeit Wasser in Wein. Doch die sogenannte Hochzeitskirche ist bereits geschlossen.

Jesus Trail

An- und Einreise: Von Zürich aus fliegen Seiss und El Al nonstop nach Tel Aviv. Von dort aus mit dem Bus oder Zug weiter nach Nazareth. Für die Einreise ist ein noch mindestens sechs Monate gültiger Reisepass nötig.
Wanderung: Der 65 Kilometer lange Jesus Trail ist nicht besonders schwierig und bequem in vier Tagen zu machen. Infos zu Strecke, Unterkünften und organisierte Touren auf jesustrail.com.
Reisezeit: Der Sommer ist zu heiss. Beste Wanderzeit ist im Herbst (September und Ende November) und Frühling (März bis Mai).

Von der Terrasse des «Cana Wedding Guest Houses» winken den Pilgerinnen aus dem deutschen Hessen schon Suad Bellan und ihr Mann Sami. Sie servieren zur Begrüssung einen Minztee. Sami steckt eine Wasserpfeife an und reicht sie rum. Arabische Willkommenskultur, denn Kana ist muslimisch. Doch Suad und Sami sind christliche Palästinenser.

Die wenigsten Touristen blieben länger als zwei Stunden, sagt Suad. «Sie werden mit den Bussen zur Hochzeitskirche gefahren, trinken vielleicht noch einen für Kana typischen Granatapfelsaft, und danach geht es direkt weiter. Davon hat unser Dorf nicht viel.» Und die Touristen haben davon auch nichts, findet Anette: «Wer im Bus auf den Spuren von Jesus durch Galiläa fährt und nicht wandert, dürfte selten die Gelegenheit haben, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Nicht nur die Kirchen und biblischen Orte, auch die Menschen sind wichtig, um das Heilige Land zu verstehen.»

Übernachtung im Kibbutz

Nach dem Einkauf im Dorfsupermarkt wandern Mutter und Tochter auf staubigen Sandwegen vorbei an Feldern und durch Eukalyptuswälder bis nach Kibbutz Lavi. Franziska hat dort über Couchsurfing eine private Unterkunft bei einer jüdischen Familie klargemacht. So erfahren sie beim koscheren Abendessen viel über das Leben im Kibbutz, jüdische Traditionen und auch über den Nahost-Konflikt.

Am nächsten Morgen geht es hinauf zu den Hörnern von Hittim. Auf dem Berg wurden die Kreuzritter 1187 vernichtend von Sultan Saladin geschlagen. Bei einem Picknick geniessen Anette und Franziska den Panoramablick hinab in die Ebene, wo am Horizont bereits das Tagesziel Moshav Arbel zu sehen ist.

Die letzten Kilometer

Vom Dorf Moshav Arbel führt der Weg am nächsten Tag erst weiter hinauf zur Bergkuppe des Arbel-Nationalparks. Vor Anette und Franziska breiten sich das Jordan-Tal und der See Genezareth aus.

Der Weg führt durch Bananen- und Aprikosenplantagen und vorbei am arabischen Migdal, dem Heimatdorf der Maria Magdalena, hinab zum See. Spätestens in der Kirche von Tabgha, dem biblischen Ort der Brot- und Fischvermehrung, fängt der Touristenwahnsinn wieder an. Bis nach Kafarnaum sind es noch zweieinhalb Kilometer entlang des Seeufers.

Die archäologischen Überreste der Synagoge und der Wohnhäuser lassen erahnen, wie es hier damals ausgesehen haben muss. «Es ist interessant, den Ort kennenzulernen, an dem Jesus mit seinen Jüngern lebte. Man bekommt einen bildlichen Eindruck von dem, was man in der Bibel liest», sagt Anette am Abend. Sie hält ihre von der Wanderung geplagten Füsse ins Wasser des Sees, über den Jesus angeblich gelaufen sein soll. Für sie ist klar, dass der Weg das Ziel war.

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