Kolumne am Mittag Berghain – diese Momente der Glückseligkeit vermisse ich schrecklich

Von Bruno Bötschi

26.5.2020

Der Kolumnist ist ein Tanzfüdli. Im Sommer 2019 gab es einen Moment, den er ganz bestimmt nie mehr vergessen wird – im Garten des berühmten Berliner Technoclubs Berghain.

Ausgehen macht glücklich.

9. Juni 2019. Berghain Berlin. Ein lauer Sommerabend. Ganz viele Menschen tanzen ganz ausgelassen im Garten des Berliner Technoclubs. Und ich mittendrin. Das Thermometer zeigt noch immer über 30 Grad. Ich liebe es, wenn es so richtig heiss ist.

Und dann, so irgendwann zwischen acht und neun Uhr am Abend, spielt der DJ sein letztes Lied – «Don't You Want Me» von der britischen 80er-Popband The Human League. 

Plötzlich stehe ich einige Sekunden fast bewegungslos da, bis ich realisiere, was passiert: Ein Moment der Verbundenheit, des Zusammenseins, der Innigkeit, ich würde fast sagen: des Einsseins.

Von einer Sekunde auf die andere tanzt die Menge nicht nur, sondern alle, wirklich alle im Garten singen mit. Verzückte Gesichter und die Arme hoch zum Jubel für The Human League.

Don't you want me, baby?
Don't you want me, oh
Don't you want me, baby?
Don't you want me, oh

Ausgehen macht glücklich, Musik auch. Sie trifft den Bauch, ergreift den Brustkorb, schüttelt den Oberkörper durch.

Es sind solche Momente der Glückseligkeit, die ich in den letzten Wochen und Monaten schrecklich vermisst habe. Es sind solche Momente, die die Corona-Pandemie unmöglich werden liess. 

Depressionen schieben gilt nicht

Die Theater, die Opernhäuser, die Musikclubs, die Technotempel dieser Welt sind geschlossen. So lange schon. Das Virus hat sie alle lahmgelegt. «Die Kultur, eine Errungenschaft der Menschheit, liegt darnieder,» schreibt Peer Teuwsen in der «NZZ am Sonntag». Er hat recht. Leider.

You were working as a waitress
In a cocktail bar, when I met you
I picked you out, I shook you up
And turned you around
Turned you into someone new

Wegen der Corona-Pandemie müssen seit Mitte März auch alle Berliner Clubs geschlossen bleiben. Auf einen Schlag waren über 9'000 Mitarbeitende sowie zehntausende Kunstschaffende ohne Beschäftigung. Doch Depression schieben gilt nicht, nach vorne zu schauen, ist das Gebot der Stunde.



Ja, es gibt immer wieder Lebenszeichen. Die Aktion «United We Stream» etwa, sie soll Musik und Clubatmosphäre in die eigenen vier Wände bringen und dabei die Berliner Clubs, die Künstler und die Veranstalter trotz Clubsperre zu unterstützen.

Ein gute, nein, wunderbare Idee. Aber allein vor der Flimmerkiste tanzen? Ach, irgendwann ist das einfach nur noch langweilig. Gopfertori!

Tanzen statt Cornflakes

Ausgehen macht glücklich. Die Elektropophits von The Human League sind ein Fest der guten Laune. Aber das will ich nicht allein im Wohnzimmer, sondern zusammen mit seinen Freundinnen und Freunden feiern.

Don't, don't you want me?
You know I can't believe it when I hear that you won't see me
Don't, don't you want me?
You know I don't believe you when you say that you don't need me

Ich will endlich wieder einmal am Sonntagmorgen im Takt über die Tanzfläche stapfen, statt Cornflakes und Cappuccino zu geniessen. Ich will einfach tanzen, weil mir das viel mehr Spass macht als neben schwitzenden Menschen in schlecht belüfteten Fitnesscentern Muskelaufbau zu betreiben.

Sich die Nächte um die Ohren zu schlagen, beschwingt. Hoffentlich darf ich es bald wieder tun – zusammen mit meinen Freundinnen und Freunden.

Ausgehen macht glücklich.

Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «Bluewin» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.

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