Anabolika und die Folgen «Vermännlichung bei Frauen,  Männern schrumpfen die Hoden»

Von Sulamith Ehrensperger

23.1.2020

Der Körperkult hat sich seit dem medialen Zeitalter massiv verstärkt. Stichproben am Zoll haben ergeben, dass immer mehr Hobbysportler anabole Steroide und weitere leistungsfördernde Substanzen aus illegalen Quellen konsumieren.
Der Körperkult hat sich seit dem medialen Zeitalter massiv verstärkt. Stichproben am Zoll haben ergeben, dass immer mehr Hobbysportler anabole Steroide und weitere leistungsfördernde Substanzen aus illegalen Quellen konsumieren.
Bild: Getty Images

Für einen Traumkörper greifen immer mehr Jugendliche zu Anabolika. Doch führen diese nicht nur zu einem Zuwachs an Kraft und Selbstvertrauen. Ein Gespräch über Körperkult, Schwarzhandel und die Folgen einer Sucht.

Von «Epidemie im Gym» oder «Teenager nehmen Anabolika wie Haribo» ist in den Medien die Rede. Frau Jucker, Sie arbeiten in der Suchtprävention, ist der Konsum von Dopingpräparaten im Freizeitsport so drastisch wie es tönt?

Da der Konsum an eine Subkultur gebunden ist, lässt sich nur schwierig abschätzen, wie viel konsumiert wird. Wenn ich aber mit Lehrpersonen von Berufs- und Mittelschulen spreche, erhalte ich den Eindruck, dass praktisch in jeder Klasse jemand ist, der gemäss ihren Aussagen auffällig an Muskelmasse zugenommen hat und ein Anabolikakonsum vermutet wird. Das Angebot von anabolen Steroiden auf dem Schwarzmarkt ist gross und für jede Person einfach zugänglich.

Umfragen zeigen auch, dass etwa drei Viertel der männlichen Jugendlichen mehr Muskeln haben möchte. Warum setzen junge Leute für den scheinbar perfekten Körper ihre Gesundheit aufs Spiel?

Es ist ein bisschen vergleichbar mit einer Magersucht, bedingt durch eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Körperbildes. Anabolikakonsumierende können sich im Spiegel anschauen, und selbst wenn sie vor Muskeln strotzen, denken sie noch immer, es sei nicht genug. Es ist weniger eine körperliche Abhängigkeit als eine psychische. Ein guter Body mit definierten Muskeln ist zu einer Art Statussymbol geworden. Der Körperkult zieht sich über alle Gesellschaftsschichten und Altersgruppen hinweg. Es gibt Jugendliche, die beginnen bereits mit 16 Jahren zu konsumieren.



Wie entwickelt sich ein solches Konsumverhalten typischerweise?

Im Gespräch mit jungen Männern und Frauen, die anabole Steroide konsumieren, ist mir aufgefallen, dass viele früher mit ihrem Körper unzufrieden waren. Sie begannen deshalb mit intensivem Kraftsport, dem Konsum von Proteinshakes, stellten ihre Ernährung um und richteten sogar die Ferien nach ihren Trainings- und Essensplänen aus. Es geht dabei nicht um Erfolge im sportlichen Wettkampf, sondern um den perfekten Körper – und dieser Gedanke dominiert den Alltag.

Laura Jucker ist Projektleiterin bei der Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelmissbrauchs (ZFPS), Erwachsenenbildnerin und Supervisorin. 
Laura Jucker ist Projektleiterin bei der Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelmissbrauchs (ZFPS), Erwachsenenbildnerin und Supervisorin. 
Bild: zvg

Mit dem Konsum von anabolen Steroiden ist es zwar möglich, innerhalb weniger Wochen an Muskelmasse zuzulegen. Daneben braucht es jedoch ein diszipliniertes, aufwendiges Krafttraining und die entsprechende Ernährung. Auch die genetische Veranlagung spielt eine wichtige Rolle.

Über welche Kanäle kommen Jugendliche an ihren Stoff?

Der Online-Handel mit Präparaten boomt. Die Zollbehörde beschlagnahmt deshalb auch jedes Jahr viele Pakete mit Dopingsubstanzen. Aber auch ohne den Bezug über das Darknet ist es offensichtlich kein Problem, die Substanzen zu kaufen. Unsere Recherchen zeigten, dass es auch in einschlägigen Fitnesscentern Personen gibt, die mit Dopingsubstanzen dealen.

Sehen Sie Parallelen zwischen Drogenabhängigen und Anabolikasüchtigen?

Ja, der Konsum von Anabolika kann zur Sucht werden. Auch bei Anabolika werden Substanzen eingenommen, die man legal nicht kaufen kann. Typisch ist auch, dass die Konsumierenden die zum Teil grossen Risiken des Konsums negieren und das Gefühl haben, sie hätten bezüglich unerwünschter Nebenwirkungen alles im Griff.

Anabolika werden grösstenteils illegal auf dem Schwarzmarkt bezogen. Es ist unklar, ob deren Konsum eine körperliche Abhängigkeit erzeugen kann. 
Anabolika werden grösstenteils illegal auf dem Schwarzmarkt bezogen. Es ist unklar, ob deren Konsum eine körperliche Abhängigkeit erzeugen kann. 
Bild: Getty Images

Wie sieht diese Sucht typischerweise aus?

Es gibt nur noch dieses eine Thema Muskelaufbau, darauf ist der ganze Alltag  ausgerichtet. Darunter leiden oft Beziehungen und auch die Sexualität. In einer «On-Phase» ist die Lust auf Sex gross, in einer «Off-Phase» hingegen läuft nichts mehr. Auch finanziell ist man unter Druck: Anabolikakonsumenten erzählten mir, dass sie teilweise bis 400 Franken pro Monat ausgeben für die Substanzen. Ein junger Mann berichtete mir, dass er elf verschiedene Substanzen spritzen oder oral einnehmen würde.

Welches sind die grössten Risiken des Anabolikakonsums?

Bei Jugendlichen sind Wachstumsstörungen bis hin zum Wachstumsstopp möglich. Zudem besteht ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme. Ein junger Anabolikakonsument berichtete mir, er sei nach dem Training so zittrig, dass er kaum mehr einen Bleistift halten könne. 

Beim Konsum von Anabolika wird der natürliche Hormonhaushalt gestört und teilweise ausgeschaltet. Bei Frauen kann es zu einer Vermännlichung kommen.
Beim Konsum von Anabolika wird der natürliche Hormonhaushalt gestört und teilweise ausgeschaltet. Bei Frauen kann es zu einer Vermännlichung kommen.
Bild: iStock

Auch das Risiko für einen Herzinfarkt, Leberentzündungen, Leber- und Prostatakrebs steigt. Häufige Nebenwirkungen sind auch die Vermännlichung bei Frauen. Männern hingegen wächst die Brust und schrumpfen die Hoden. Weil die Inhaltsstoffe teilweise nicht richtig deklariert und zudem unbekannter Herkunft sind, gleicht der Konsum einer «Black Box»: Man kennt die genauen Inhaltsstoffe nicht. Bei unsachgemässer Anwendung beim Spritzen der Substanzen besteht zudem ein Verletzungsrisiko mit gefährlichen Folgen wie Spritzenabszesse, Absterben von Muskelgewebe oder Nervenschäden. Aber auch die Persönlichkeit kann sich verändern. Anabolikakonsumierende haben ein erhöhtes Risiko für aggressives Verhalten oder depressive Verstimmungen, je nach Konsumphase.

Junge Menschen vergleichen sich häufig mit anderen. Bereits nach 30 Minuten Scrollen auf Instagram ist das eigene Selbstwertgefühl deutlich kleiner, sagen Studien. Welche Rolle spielen die Social-Media-Kanäle?

Die sozialen Medien haben grossen Einfluss auf die Jugendlichen. All die Bilder von durchtrainierten Menschen spornt sie an, noch härter zu trainieren, um mindestens so gut auszusehen. Wenn ich mir die «WhatsApp»-Profilbilder von Anabolikakonsumenten anschaue, mit denen ich Kontakt hatte, finde ich nur Selfies, auf denen sie ihre Muskeln zeigen. Dass sich das Körperideal in der Gesellschaft gewandelt hat, sieht man auch an Actionhelden wie James Bond. Der erste James-Bond-Darsteller Sean Connery hatte noch einen durchschnittlich muskulösen Körper, Daniel Craig hingegen einen muskelbepackten Body mit Waschbrettbauch.

Strandszene mit Sean Connery und Claudine Auger aus dem Film «Thunderball» von 1965. 
Strandszene mit Sean Connery und Claudine Auger aus dem Film «Thunderball» von 1965. 
Bild: Getty Images, United Artists
Daniel Craig und Eva Green in den Wellen – eine Szene aus «Casino Royale» von 2006.
Daniel Craig und Eva Green in den Wellen – eine Szene aus «Casino Royale» von 2006.
Bild: Keystone, AP Photo, Sony Pictures

Sportlich zu sein wie James Bond oder das Bondgirl gilt als cool und gesund. Werden Anabolika unterschätzt?

Viele Eltern sind stolz auf ihre durchtrainierten Söhne und Töchter, die regelmässig im Fitnesscenter sind, auf die Ernährung und genügend Schlaf achten. Ihnen ist nicht bewusst, dass für den Muskelaufbau vielleicht auch Doping wie anabole Steroide im Spiel sein könnten. Ich denke, da ist ganz viel Unwissen über die Verbreitung des Anabolikakonsums und welche Risiken der Konsum dieser Substanzen mit sich bringt.




Was können Eltern oder Lehrpersonen bei einem Verdacht tun?

Wichtig ist, dass man nicht wegschaut und verharmlost, sondern das Gespräch sucht. Sportlehrerinnen und -lehrer sind dem Thema vielleicht näher als andere. Eltern können ihren Kindern gesundes Ess- und Sportverhalten vermitteln – und dass nicht der Traumbody aus der Werbung zählt, sondern ein gutes Gefühl für den eigenen Körper.

Die Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelmissbrauchs (ZFPS) hat die Risiken des Anabolikakonsums zu einem ihrer Schwerpunkte ernannt. Mit einem Schulungsfilm, Broschüren und der Webseite Bodytuning-check.ch wollen sie Berufs- und Mittelschüler und -schülerinnen, Lehrpersonen wie Eltern über die Risiken des Konsums informieren, und damit auch eine Debatte über das heutige Bild vom idealen Körper anstossen.

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