Ernährungstrend Intervallfasten: «Nichts anderes als eine Perversion der heutigen Zeit» 

Von Sulamith Ehrensperger

5.11.2019

Wassertrinken ist erlaubt, alles andere nur zu festen Zeitfenstern. Die derzeit beliebteste Methode ist: Acht Stunden essen, 16 Stunden fasten. 
Wassertrinken ist erlaubt, alles andere nur zu festen Zeitfenstern. Die derzeit beliebteste Methode ist: Acht Stunden essen, 16 Stunden fasten. 
Bild: iStock

Intervallfasten ist zur Zeit der grosse Trend. Von der Methode erhoffen sich viele fit und schlank zu werden. Für Ernährungsdiagnostiker Jürg Hösli hingegen hat es perverse Züge angenommen.

Herr Hösli, zählen Sie auch zu den Teilzeitfastenden?

Nein, ich komme soeben von einem geschäftlichen Mittagessen. Allerdings war ich der Einzige, der essen durfte. Alle anderen waren am Fasten.

Den anderen beim Essen zuschauen – lohnt sich dieser Verzicht?

Intermittierendes Fasten ist nichts anderes als eine Teilzeithungersnot und eine Teilzeitvöllerei. Es ist ein Zeichen der heutigen Zeit, dass man nicht mehr frühstückt. Die Urform des intermittierenden Fastens ist ja, dass man erst ab Mittag mit Essen beginnt – und sich dann in kurzer Zeit so richtig vollstopft. Eine Perversion von heutzutage: Keine Zeit mehr – nicht einmal fürs Essen.

Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik erpse in Winterthur und Zürich.
Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik erpse in Winterthur und Zürich.
Bild: erpse

Die Ernährungswissenschaft predigte vor Kurzem noch fünf bis sieben kleine, über den ganzen Tag verteilte Portionen. Jetzt fasten alle.

Wer hat denn heute noch fünf bis siebenmal am Tag die Zeit, an sich und seinen Körper zu denken. Es muss schnell gehen, ab zur nächsten Besprechung. Essen ist zur Funktion verkommen und hat kaum mehr etwas mit Genuss zu tun.

Instagram und Co. haben dem intermittierenden Fasten ein trendy Image verpasst.

Zuvor hatten wir Low-Carb, jetzt ist es Vegan und intermittierendes Fasten. Damit es ein Trend wird, muss man dem Ganzen ja einen gesunden Anstrich geben. Ich betreue immer mehr Teilzeitfastende – viele leiden unter Schlafstörungen, Stagnation im Training, Dünnhäutigkeit und Darmproblemen.

Es heisst doch immer, dass Fasten den Stoffwechsel verbessere.

Nein, der Stoffwechsel wird massiv schlechter. Das messen wir. Das einzige was besser wird aufgrund der Hungernot, ist die Fettverbrennung im Ruhezustand. Dies gilt aber für jede kalorienreduzierte Diät – ob Karotten, Ananas oder Sackhüpfen. Ich mache ja auch nicht das Feuer grösser, wenn Holz fehlt.



Gerade im Fitnessbereich ist die Methode total in. Kann das Intervallfasten tatsächlich die sportliche Leistungsfähigkeit verbessern?

Es gibt leider immer mehr Berater, die immer neue Ansätze bringen müssen. Wir beobachten bei vielen unserer Kunden, die längerfristig fasten, dass sie im Schnitt bis 20 Prozent der Leistung verlieren. Doch sie alle haben das Gefühl, härter zu trainieren, weil der Körper dem Kopf schneller das Gefühl gibt, ich kann dann nicht mehr. Je weniger intensiv nun trainiert wird, desto weniger überlasten wir uns. Das führt dann zu weniger Hunger. Ein Sportler, der aber seine Leistung kastrieren muss, um sich nicht zu überlasten, der sollte nicht seine Ernährung ändern, sondern seine Regeneration besser berücksichtigen. Dann stimmen auch Leistung und Gewichtsreduktion.

Warum legen immer mehr Studien nahe, dass Intervallfasten positive Effekte habe?

Viele dieser Studien werden dem Menschen mit einer komplexen Interaktion von Kopf und Körper nicht gerecht. Bei vielen beginnt der Tag schon mit Gipfeli und Energy-Getränk. Es folgt sodann eine Unterzuckerung, und das nächste Gipfeli ist verdrückt. Zum Zmittag ein Sandwich, es muss ja schnell gehen. Wer fastet, spart also einen Vierteltag Schrott. Und wer nach einer App oder einem Programm aus dem Internet isst, isst vielleicht qualitativ besser. Das ist doch klar, schliesslich wird Abfall mit Gold verglichen. 



Die Vor- und Nachteile dieser Methode werden teilweise leidenschaftlich wie Glaubensfragen diskutiert. Ist sie zu einem Identifikationsmerkmal verkommen?

Die Ernährung ist eine Religion, ein Alleinstellungsmerkmal. Früher mussten CEOs Marathon rennen, heute fasten sie einen Tag – sonst sind sie ja keine richtigen Männer. Doch kann es nicht sein, dass wir stur nach einem rationalen System essen, dem sich der Körper beugen muss. Wir können doch nicht erwarten, dass der Körper leistet, wenn er keinen Treibstoff hat.

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