KolumneSchwangerschaft: Keine Krankheit – aber manchmal fühlt sie sich so an
Von Michelle de Oliveira
12.8.2019
Schwangerschaft ist keine Krankheit, aber sie kann sich wie eine anfühlen. Und: Frau schreit quasi ungewollt in die Welt hinaus: Ich hatte Sex!
Wer schwanger ist, trägt diese Tatsache als dicken Bauch vor sich her. Eine sehr persönliche Entscheidung wird für Hinz und Kunz sichtbar. Frau schreit quasi ungewollt in die Welt hinaus: Ich hatte Sex!
Diese Tatsache scheint für viele Leute ein Freipass zu sein, ihre Meinung ungefragt mitzuteilen. Was eine Schwangere zu essen und trinken hat, wie sie sich zu verhalten hat, wie sie gebären soll.
Und: Wie sie sich zu fühlen hat. «Du kannst deiner Ärztin sagen, Schwangerschaft sei keine Krankheit!» sagte ein Bekannter zu mir, nachdem er zufällig mitgehört hat, dass ich wahrscheinlich bald 50 Prozent krankgeschrieben werde. Dieser Mann, notabene, hat mit schwangeren Frauen etwa so viel Erfahrung wie ich mit Prostataleiden.
Gnadenlos urteilen
Aber auch Frauen, die selbst Mütter sind, können gnadenlos mit ihrem Urteil sein. Sie waren in den Genuss einer problemlosen Schwangerschaft gekommen, erlebten dank der Hormone Energieschübe und verbreiteten diesen oft beschriebenen «Glow», der Schwangere umgeben soll.
Das ist wunderbar und jeder Frau zu gönnen. Doch anderen zu sagen, Beschwerden gehörten halt dazu, und das sei doch alles nicht so schlimm, ist eine Frechheit. Jede Schwangerschaft ist anders.
Ich bin auch der Meinung, dass eine Schwangerschaft per se keine Krankheit ist.
Aber verdammt nochmal, sie kann sich wie eine anfühlen: Herzrasen, Durchfall, Verstopfung, Hämorrhoiden, Vulva-Krampfadern, Anal-Thrombosen, Restless Leg Syndrom, Übelkeit und Erbrechen bis zum Schluss, Rücken- und Beckenschmerzen, Migräne, Blasenentzündung, bleierne Müdigkeit und gleichzeitig Schlaflosigkeit, Muskelkrämpfe, Inkontinenz, Wassereinlagerungen, Hautveränderungen und Stimmungsschwankungen sind einige der Begleiterscheinungen, die auftreten können.
Klingt nicht besonders angenehm, oder?
In der Schweiz wird erwartet, dass eine Schwangere arbeitet bis zur Niederkunft, vom Büro direkt in den Kreissaal. Das stimmt für viele Frauen und ist genauso okay, wie es okay ist, kürzerzutreten, wenn Frau nicht mehr kann.
Privatsphäre respektieren
Wird eine Schwangere dann krankgeschrieben, wird sie oft gefragt: «Wieso, was hast du denn?» Diese Frage mag mit den besten Absichten gestellt werden, aber es gibt einfach Dinge, über die man in der Kaffeepause nicht unbedingt reden will (die Auswahl ist gross, siehe Auflistung oben).
Sonst ist man – zumindest hier in der Schweiz – bei körperlichen Veränderungen und Beschwerden doch auch typisch zurückhaltend, stellt keine Fragen und zeigt sich verständnisvoll.
Auch wenn Schwangersein in den meisten Fällen ein wunderbares Ereignis ist (aber selbst da kann man sich als Aussenstehender nie sicher sein), und oft problemlos verläuft, weiss man nie, was die Frau gerade durchmacht.
Darum: Respektiert die Privatsphäre einer Schwangeren und urteilt nicht darüber, ob sie Beschwerden hat oder nicht. Und nie, nie, wirklich nie, ungefragt den Bauch anfassen.
Zur Autorin:Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – im Leben und auf der Yogamatte. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.
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