Kolumne «Oh nein, eine Schweizerin wollen wir hier nicht»

Von Michelle de Oliveira

29.4.2023

Die Kolumnistin lebt in Portugal. Sie ist froh, dass wenn sie aus dem Haus geht, niemand sagt: «Oh nein, eine Schweizerin wollen wir hier nicht, die isst sicher immer Raclette und Fondue.»
Die Kolumnistin lebt in Portugal. Sie ist froh, dass wenn sie aus dem Haus geht, niemand sagt: «Oh nein, eine Schweizerin wollen wir hier nicht, die isst sicher immer Raclette und Fondue.»
Bild: Keystone

Immer wieder begegnet die blue News-Kolumnistin rassistischem Verhalten und fremdenfeindlichen Äusserungen. Nun hat sie sich vorgenommen, das nicht länger unkommentiert zu lassen.

Von Michelle de Oliveira

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Michelle de Oliveira erlebt immer wieder rassistisches Verhalten in der Schweiz.
  • Die Kolumnistin ist sich jedoch bewusst, als weisse heterosexuelle CIS-Frau keine Ahnung davon zu haben, wie es sich anfühlt, wenn ein Mensch strukturellen Rassismus erlebt.
  • Trotzdem hat sie nun den Vorsatz gefasst, fremdenfeindliche Äusserungen nicht länger unwidersprochen zu akzeptieren.

Rassismus in der Schweiz gibt es nicht, hört man immer wieder.

Was ich aber immer wieder erlebe: Rassismus in der Schweiz. Und dabei bin ich gar nicht mehr so oft dort. Und wenn doch, erlebe ich eben nicht nur meine alte, wunderschöne Heimat, sondern auch Fremdenfeindlichkeit.

Kürzlich sass ich in einer Beiz auf dem Land. Am Nebentisch wurde gejasst und gelacht. Ich fand das gemütlich und im Gegensatz zu vielen Szene-Lokalen in Zürich so herrlich entspannt und unaufgeregt.

Bis ich mich sehr aufregen musste.

«Das darf man ja glaub gar nicht mehr sagen»

Plötzlich hörte ich einen Gast sagen:

«Ha, und jetzt bist du der N*****!»

Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren, aber auch aus ihrem ganz realen Leben mit all seinen Freuden und Herausforderungen. Sie lebt mit ihrer Familie in Portugal.

Ich zuckte regelrecht zusammen. In meiner Bubble-Realität gibt es diesen Begriff schlicht nicht mehr. Scheinbar war das auch der Jassrunde klar, denn jemand sagte: «Oh, das darf man ja glaub gar nicht mehr sagen.»

Die Mitspielerin konterte sofort: «Genau wie M....kopf, das ist doch absurd! Immerhin müssen die in Züri die Schriftzüge an den Häusern nicht abdecken, das ist endlich mal eine vernünftige Entscheidung. Obenabe!»

Ich überlegte mir kurz, mich einzumischen, auf den offensichtlichen Rassismus aufmerksam zu machen.

Ach, das bringt ja doch nichts, dachte ich mir, hielt den Mund. Und habe mich so mitschuldig gemacht an rassistischem Verhalten.

«Ist dir klar, dass das mega rassistisch ist?»

Tage später erlebte ich die nächste rassistische Episode. Ein entfernter Bekannter erzählte davon, dass er sein Haus verkauft hätte, «an eine italienischstämmige Familie».

Ich fragte mich bereits bei dieser Anmerkung, warum sie überhaupt nötig war. Das wurde mir klar, als er später anfügte: «Und die Italiener, das geht schon, das sind ja gut assimilierte Ausländer.»

Mir stand der Mund offen, und noch bevor ich etwas erwidern konnte, ging es schon weiter. Mir wurde dann erzählt, es hätte sich auch ein Inder für das Haus interessiert, «aber so einen wollen wir wirklich nicht in unserem Haus».

Diesmal hielt ich den Mund nicht und sagte: «Was bitte meinst du ‹mit so einem›? Ist dir klar, dass das mega rassistisch ist?»

Die Antwort: «Nein, ich bin doch nicht rassistisch. Ich habe nichts gegen Inder, aber stell dir mal vor, wenn der nur schon kocht. Die armen Nachbarn.» Und da war er wieder, der Rassismus, den man nicht einmal einsieht, wenn man darauf angesprochen wird.

Schliesslich sagte noch jemand zu mir: «Also gegen die Portugiesen habe ich ja gar nichts, das sind ruhige und «gschaffige» Leute. Nicht so wie die ‹-ics›.» Einmal mehr wusste ich nicht, was ich erwidern sollte. Dankbarkeit, dass man meinen Mann als «guten Ausländer» bezeichnet?

Es macht mich wütend und unfassbar traurig

Das Schlimmste ist, dass diese Menschen sich bei solchen Aussagen auch besonders tolerant vorkommen. Es sind oft die gleichen Leute, die es sich leisten können, die ganze Welt zu bereisen.

«Weisch, Asien, so spannend, so schön, diese andere Kultur und die Leute, die leben so einfach, aber die sind so glücklich und so nett.» Aber eine indische Familie in der Nachbarschaft, das wollen sie nicht.

Es macht mich so wütend und so unfassbar traurig, dass wir noch immer in solchen Kategorien denken, und Menschen schlicht wegen ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts schubladisieren.

Ich will hier gar nicht überheblich sein. Als weisse, unversehrte, heterosexuelle CIS-Frau und Schweizerin entspreche ich so sehr der Norm, wie es nur geht und habe so ungefähr alle möglichen Privilegien auf meiner Seite. Und ich habe keine Ahnung, wie es ich anfühlt, wenn man strukturellen Rassismus erlebt.

Ich bin selbst immer wieder rassistisch, ohne es überhaupt zu merken. Darum bemühe ich mich jeden Tag darum, mein Verhalten zu reflektieren, zu hinterfragen. Ich bin froh, wenn andere Menschen mich auf rassistische Aussagen oder Handlungen aufmerksam machen.

Künftig will ich nicht mehr schweigen

Und ich habe mir fest vorgenommen, bei rassistischem Verhalten anderer künftig nicht mehr zu schweigen und es hinzunehmen, wenn man die Augen verdreht, den Kopf schüttelt, mich als überempfindlich, spitzfindig und mühsam abtut und sagt: «Ach chum, jetzt tue doch nöd so.»

Es bringt in vielen Fällen wahrscheinlich wirklich nichts. Aber wenn es nur hin und wieder jemanden dazu anregt, das eigene Verhalten kritischer zu betrachten, hat es sich gelohnt.

Als Schweizerin, die in Portugal lebt, bin ich selbst Ausländerin. Ich bin wahnsinnig froh, dass wir hier ein Haus kaufen konnten und niemand gesagt hat:

«Oh nein, eine Schweizerin wollen wir hier nicht, die isst sicher immer Raclette und Fondue. Wäh, stell dir nur vor, wie das dann immer stinkt!»

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