Die KolumneKann man als Mutter die beste Freundin der Tochter sein?
Marianne Siegenthaler
30.5.2018
Eine Freundschaft zwischen Mutter und Kind ist ein Ding der Unmöglichkeit. Das heisst aber nicht, dass sich die beiden zumindest zeitweise genauso gut verstehen, wie Freundinnen das tun.
Wir haben schon viele vergnügliche Stunden miteinander verbracht: Gemütliche TV-Abende mit Poulet-Nuggets und Mayo, während Heidi Klum und ihre dürre Truppe um die Wette hungerten.
Ein gemeinsamer Shopping-Trip nach Florenz, wo wir hemmungslos zugeschlagen haben – nicht nur in den Boutiquen, auch in den Restaurants. Und stundenlange Telefonate, um über all die Irren, Unfähigen, Ignoranten und Deppen abzulästern, mit denen wir uns bei der Arbeit, im Laden, im Strassenverkehr und bei den Behörden tagtäglich herumschlagen müssen.
Meine Tochter und ich machen also genau das, was beste Freundinnen auch miteinander tun: Gute Momente erleben, in denen wir uns sehr vertraut sind, zusammen lachen, uns auch mal ohne Worte verstehen oder uns gegenseitig das Herz ausschütten.
Trotzdem halte ich die Behauptung «Meine Mutter ist meine beste Freundin», zu der sich Ex-Missen und andere Cervelat-Promis hinreissen lassen, für einen Mythos. Und ich kenne keine Frau im «richtigen» Leben, die ihre Tochter als ihre beste Freundin bezeichnet.
Taschengeld kürzen, Saustall aufräumen
Denn seien wir mal ganz ehrlich: Kann denn jemand eine Freundin sein, der einen jahrelang um acht ins Bett schickte, das Taschengeld kürzte, wenn man zu spät nach Hause kam, und einem verbot, mit Kajal um die Augen zur Schule zu gehen? Wohl kaum.
Oder würden Sie Ihrer besten Freundin zweimal täglich sagen, sie solle endlich ihren Saustall aufräumen? Die getragenen Klamotten nicht unterm Bett, sondern im Wäschekorb deponieren? Oder haben Sie jemals das Lieblings-Shirt Ihrer besten Freundin klammheimlich in die Kleidersammlung gegeben, weil Sie dieses einfach grauenhaft gefunden haben? Eben.
Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass man seiner besten Freundin wohl kaum sagen würde, ihre Leggins in fehlfarbenem Muster bringe die Proportionen recht unvorteilhaft zur Geltung.
Aber nicht nur mein Dasein als nörgelndes und sich ständig wiederholendes Mami verunmöglichte eine Freundschaft. Auch meine Tochter leistete sich vor allem in der Pubertät einiges, was eine echte Freundin ganz sicher niemals tun würde: So lieh sie sich immer mal wieder irgendwas von mir aus, was ich dann nie mehr gesehen habe. Haute einfach ab, wenn ihr was nicht gepasst hat.
«Mami» als Synonym für «Personal»
Aber auch wenn sie nicht zuhause war, war die Präsenz meiner Tochter überdeutlich, denn die Spur, die sie von der Haustür zu ihrem Zimmer mit Jacke, Tasche und was auch immer legte, war nicht zu übersehen. Weder freundliches Bitten noch ultimatives Fordern brachte sie dazu, sich auch mal zu bücken und irgendwas aufzusammeln.
Für ein pubertierendes Kind ist nämlich «Mami» nur allzu oft ein Synonym für «Personal» – und das ist schliesslich zuständig fürs Aufräumen, Putzen, Wiederauffinden von Ohrsteckern und die Herstellung von Brownies («Aber bitte keine Fertigmischung!»).
Heute ist meine Tochter erwachsen, lebt in einer eigenen Wohnung und kommt ab und zu auf Besuch. Dann wirft sie sich ganz ungeniert aufs Sofa und schaut sich irgendwelche amerikanischen Serien an, in denen es darum geht, dass heiratswillige, leicht hysterische Frauen im Kreis von einem Dutzend Begleiterinnen das passende Brautkleid finden. Oder eine Frau in Schürze und seltsamer Frisur Torten bäckt. Oder so ähnlich. Und das, obwohl sie weiss, dass ich solche Sendungen einfach schrecklich finde.
Wer will unter diesen Umständen denn von Freundschaft reden?
Und möchte ich wirklich eine beste Freundin, der ich einst die Windeln wechselte? Die mit den Sprüchen der 80er Unruhen nichts anfangen kann? Die nicht weiss, wer Marc Bolan ist? Zur Info: Das ist der Sänger von «T. Rex», einer kultigen Rockgruppe aus den 1970ern.
Und die in genau den Kleidern rumläuft, die ich schon damals, als sie erstmals im Trend waren, grauenhaft gefunden habe? Leggins beispielsweise. Oder Jeans, die bis in die Taille reichen.
Will umgekehrt eine junge Frau eine beste Freundin haben, die ihre echten Probleme nicht wirklich ernst nimmt? Tochter: «Mein Handy funktioniert nicht mehr, mimimi.» Mutter: «Dann telefonier doch mit dem Festnetz.» Eben.
Und nicht zuletzt will doch keine Frau eine beste Freundin, die eine Art jüngere, schönere und fittere Ausgabe ihrer selbst ist, oder?
Fazit: Mütter und Töchter können keine Freundinnen sein – niemals! Das soll aber nicht heissen, dass die beiden nicht auch tolle Zeiten miteinander haben. Doch all die vielen gemeinsamen Erlebnisse ändern nichts an der Tatsache:
Wir bleiben wir immer Mutter und Tochter. Und das ist gut so.
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