Die Kolumne Mit 50 noch ins Ballett-Training: Was soll das bringen?

Bruno Bötschi

28.4.2018

Einfach mal etwas ganz anders zu machen als bisher – auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist – kann ungeheuer belebend und inspirierend sein (Symbolbild).
Einfach mal etwas ganz anders zu machen als bisher – auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist – kann ungeheuer belebend und inspirierend sein (Symbolbild).
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Wann haben Sie das letzte Mal was zum ersten Mal gemacht? Als Kind waren wir so neugierig und fragten unsere Eltern dutzendmal am Tag «warum». Später merken wir oftmals gar nicht, dass wir ziemlich eingleisig durchs Leben gehen.

Ist Ihnen auch schon aufgefallen, wie eingefahren manches im Leben verläuft? Dinge, die Sie schon immer so gemacht habe. Produkte, die Sie schon immer gegessen haben. Wege, die Sie schon immer so gegangen sind.

Einfach mal etwas anders zu machen als bisher – auch wenn es nur etwas Kleines ist – kann belebend und inspirierend sein. Und wird, wenn man den Mut hat, es öfter zu wagen, im Leben Vieles verändern und es bunter und gesünder machen.

Nette Worte  – werden Sie denken. Nicht nur. Ich habe die Probe aufs Exempel gemacht und ging mit fast 50 zum ersten Mal in eine Ballettstunde. Plié, Passé, Arabesque – was auf der Bühne schwebend leicht daherkommt, ist in Wirklichkeit Knochenarbeit. Momoll, ich weiss das jetzt aus ganz eigener Erfahrung.

Totales Chrüsimüsi

Anna, die Balletttänzerin aus der gleichnamigen TV- Serie, war einer der Stars meiner Kindheit. Ich war ein Tanzfüdli, bin es immer noch. Was Anna konnte, wollte ich auch können. Trotz eines Unfalls schaffte sie es bis auf die Bühne der Pariser Oper. Nur: Als Jugendlicher traute ich mich nicht, Ballettstunden zu nehmen. Das sei etwas für Mädchen, hiess es.

Vor einigen Monaten musste ich wieder an Anna denken. Eine Freundin erzählte mir von «Ballet for everyone». Ballett für jedermann? «Das geht nicht», sagte ich, «Ballett ist zu kompliziert.» Die Freundin antwortete: «Komm einfach mal mit.» Gesagt, getan, getanzt.

Wie erwartet, ich bin der einzige Mann. Und trage als einziger Socken. Für eine Probestunde reiche das, sagt Lehrerin Véronique Tamaccio. Schon geht es los – mit Dehnungsübungen auf der Yogamatte. Als Ex-Leichtathlet macht mir das wenig Probleme. Trotzdem schwitze ich schnell heftig und denke: Halte ich bis zum Ende durch?

Statt eine Pause einzulegen nach dem Aufwärmen, fordert uns Véronique auf, an die Stange zu stehen. Wir beginnen mit klassischen Stellungen: Plié, die Kniebeuge, ist die erste. Die Posen sind alle formalisiert und die meisten Begriffe der Ballettsprache französischen Ursprungs.

Kaum haben wir die ersten Stellungen gelernt, fordert Vé­ronique eine kurze Choreografie. Einmal links das Bein, einmal rechts, zweimal nach hinten und einmal nach vorn. Véronique fragt, ob der Ablauf allen klar sei. «Wenn der Kopf nicht mitkommt, können die Beine es auch nicht.» Recht hat sie: Die dritte Übung endet für mich im totalen Chrüsimüsi.

Schwitzender Mehlsack

Aber so schnell gebe ich nicht auf. «Arabesque!», ruft Véronique. Bei dieser Pose steht der Tänzer auf einem Bein, das andere wird mit gestrecktem Knie nach hinten gehoben, und der gegenüberliegende Arm ist nach vorn ausgestreckt.

Was das alles mit Arabien zu tun hat? Ich erfahre es nach der Probelektion. Die Pose ist benannt nach dem Ornament Arabeske, die aus der islamischen Kunst stammt. Und gleich nochmals: «Arabesque!» Ich denke an Anna. Bei ihr sah jede Pose federleicht aus. Wie Schweben. Der Ausdruck «schwitzender Mehlsack» wäre bei mir passender.

Und trotzdem: Ballett macht Spass. Danke, Véronique! Sie war vier, als sie mit Ballett anfing. Bis 2012 war die Ballerina im Opernhaus Zürich engagiert. Jetzt gibt sie ihr Können weiter, bietet Ballettstunden für jedermann an. Véronique ist streng, aber geduldig. Sie vergisst auch das Loben nicht. Sogar ich höre einmal «gut». Meine Brust schwellt darob derart an, dass ich aus dem Gleichgewicht komme und nur knapp einen Sturz verhindern kann.

Nach einer Stunde Training bin ich ziemlich fertig. Der Rücken zwickt. Ein bisschen Leiden hat aber noch keinem geschadet. Zum Schluss sollen wir alle Pirouetten drehen. Auf zwei Füssen beginnen und … ich verliere wieder das Gleichgewicht und torkle durch den Raum. «Deine Socken», erkennt Véronique das Problem sofort, «sie sind viel zu rutschig für das Drehen von Pirouetten.»

In diesem Moment ist klar: Ich komme wieder. Das nächste Mal aber mit Ballettschuhen an den Füssen.

Und wann haben Sie zum letzten Mal etwas zum ersten Mal getan?

www.balletforeveryone.ch

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