Kolumne Hört endlich auf, auf den Alten rumzuhacken!

Marianne Siegenthaler

5.7.2018

Kostenfaktor, Seuche oder Klotz am Bein, so betiteln Politik und Gesellschaft die alternden Mitmenschen. Deren Kaufkraft hingegen bleibt gern gesehen, am liebsten bis weit übers Rentenalter hinaus.
Kostenfaktor, Seuche oder Klotz am Bein, so betiteln Politik und Gesellschaft die alternden Mitmenschen. Deren Kaufkraft hingegen bleibt gern gesehen, am liebsten bis weit übers Rentenalter hinaus.
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Unser Altersbild ist ausgesprochen negativ: Was nicht jung, hipp und Insta-tauglich ist, hat in unserer Gesellschaft keinen Platz mehr. Dabei wäre durchaus ein bisschen Wertschätzung angesagt, findet unsere «Bluewin»-Kolumnistin Marianne Siegenthaler.

Sie erinnern sich vielleicht: In alten Cowboy-Filmen tragen die Guten helle Hüte und die Bösen schwarze. So kann man ganz leicht erkennen, wer auf welcher Seite steht.

Im richtigen Leben geht es häufig ähnlich zu und her. Auch hier gibt es eine klare Einteilung zwischen Gut oder Böse. Ein paar Beispiele: Im Verkehr fahren die Guten Velo, die Bösen Auto. Bei der  Ernährung sind die Guten Vegis oder noch besser Veganer, die Bösen essen Fleisch. Die Guten wohnen verdichtet, die Bösen im Einfamilienhäusli. So weit, so simpel, aber harmlos.

Problematisch wirkt sich dieses Schwarz-Weiss-Denken aber in der Gesellschaftspolitik aus: Da sind es die Jungen, die den hellen Hut tragen. Erst recht, wenn sie sich zusammentun und Kinder haben. Eine junge Familie ist nämlich per se gut. Darum soll sie auch günstig wohnen können. Und Kinderzulagen bekommen. Und ihre Kinder subventioniert fremdbetreuen lassen. Und bei den Steuern entlastet werden.

Ausrangiert: Mit 45 weg vom Fenster

Wenn ein Politiker oder eine Politikerin punkten will, dann schreibt er oder sie also die Förderung junger Familien aufs windige Fähnchen – und ganz sicher nicht die Unterstützung der älteren Generation. Den schwarzen Hut tragen nämlich die Alten. Wobei nicht ganz klar ist, ab wann man dazu gehört.

Nach meiner Erfahrung war dies erstmals der Fall, als ich mit 45 Jahren einen Job nicht bekommen habe, weil ich dafür zu alt war. Und auch aus der günstigen Familienwohnung wurde leider nix, weil meine Tochter bei meiner Bewerbung nicht mehr schulpflichtig war. Und kürzlich wollte ich mir einen neuen Töffhelm kaufen, da sagt der junge Schnösel von einem Verkäufer zu mir: «Den sollte Ihr Sohn aber selber anprobieren.»

Doch auch wenn man wie ich voller Elan und Zuversicht auf die Pensionierung hinaltert, schrecken manche Meldungen gewaltig auf. So sollen die Alten als letzte geimpft werden, wenn uns dereinst eine Pandemie ereilt und der Impfstoff knapp wird. Falls dann der eine oder andere Alte  diese Pandemie nicht überlebt – umso besser.

Ein Kostenfaktor, eine Seuche, ein Klotz am Bein

Die alternde Gesellschaft, das sind nämlich nicht einfach wir alle, die wir älter werden, nein, das ist ein Kostenfaktor, eine Seuche, ein Klotz am Bein der übrigen Gesellschaft, der mitgetragen werden muss, bis dass sie denn ins Grab sinken. Das Schreckgespenst hat auch einen Namen, «Überalterung» nennt man es.

Und wenn man den Politikern, Sozialversicherungen und selbsternannten Vordenkern Glauben schenken will, dann werden die Alten schon in absehbarer Zeit die ganze Volkswirtschaft in den Ruin treiben mit den Kosten für ihre Rollatoren, Krampfadernstrümpfe und Rehabilitationsmassnahmen nach Oberschenkelhalsbruchoperationen.

Da muss man dringend Gegensteuer geben. Also erst mal «ad Seck», ihr Alten, bis zum Umfallen, also richtig lange, da wird nicht einfach mit 65 Jahren in Pension gegangen. Wie man die Alten beschäftigt, ist allerdings noch unklar, denn bereits jetzt will man ja Menschen ab etwa 45 Jahren gar keinen Job mehr geben.

Das passt gut zu dem Bild, das die Medien zeichnen, wie auch eine Studie des Schweizer Forschungsinstituts Media Tenor International ergeben hat: Senioren sind als Hauptakteure oder als Gruppe ein Randthema, sie werden praktisch gar nicht wahrgenommen. Wenn überhaupt, kommen ältere Menschen nur in Zusammenhang mit dem Rentenalter oder der Altenpflege in die mediale Berichterstattung.

Randständige Goldesel

Immerhin in der Werbebranche glaubt man an das Potential der älteren Menschen, zumindest was ihr Geld anbelangt. Bei ihnen ist doch sicher noch was zu holen, nachdem sie jede Menge Steuergelder für die Bedürfnisse aller anderen Altersgruppen abgeliefert haben.

Und schwupps sind sie dank ihrer Kaufkraft nicht mehr «die Alten», sondern «Best Ager», «Silver Generation» oder «Golden Customer». Aber die Alten sind ja nicht blöd und ausserdem ziemlich sparsam. Die kaufen ganz sicher nicht jeden Grümpel, nur weil der jetzt grad angesagt ist. Oder haben Sie jemals einen Senior vor dem Handy-Shop übernachten sehen, weil ein neues iPhone rausgekommen ist? Eben.

Solange ältere Menschen wie eine Plage behandelt werden, sind sie ganz sicher auch nicht bereit, länger zu arbeiten, als unbedingt nötig – selbst wenn es in absehbarer Zeit tatsächlich auch für sie wieder Jobs geben sollte. Und sie sperren sich auch je länger je mehr dagegen, als Sponsoren für alle anderen Altersgruppen aufzutreten und selbst nur als Kostenfaktor wahrgenommen zu werden.

Fazit: Wer etwas von den Alten will, muss ihnen auch die nötige Wertschätzung entgegenbringen. Und damit fängt man am besten früh an und stülpt nicht schon 50-Jährigen den schwarzen Hut über.

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In der Rubrik «Die Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren von «Bluewin» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine Mail an: redaktion2@bluewin.ch

Marianne Siegenthaler ist freie Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt über alles, was den Alltag und das Zusammenleben etwas einfacher, spannender oder lustiger macht. www.texterei.ch
Marianne Siegenthaler ist freie Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt über alles, was den Alltag und das Zusammenleben etwas einfacher, spannender oder lustiger macht. www.texterei.ch
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