Ernst Röhm Der schwule Nazi und seine wilden Berliner Nächte

Von Bruno Bötschi

6.8.2023

Das «Eldorado» war in den 1920ern der berühmteste Nachtclub von Berlin. Eine neue Netflix-Doku erzählt vom Nazi-Hass auf die queere Lebenslust – und beleuchtet dabei auch das Leben des schwulen SA-Chefs Ernst Röhm.

Von Bruno Bötschi

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Netflix-Doku «Eldorado – Alles, was die Nazis hassen» zeichnet ein komplexes Bild der wilden 1920er- und 30er-Jahre in Berlin.
  • Obwohl die Doku nur anderthalb Stunden dauert, macht sie drastisch deutlich, wie brutal queeren Menschen ihre Rechte entzogen werden können.
  • Im Zentrum des Filmes steht der Berliner Club Eldorado, wo Marlene Dietrich und Charlie Chaplin genauso zu Gast waren, wie der schwule SA-Chef Ernst Röhm.

Weder für die Nazis noch für die queere Community taugt er als Vorbild: Ernst Julius Günther Röhm.

Er war schwul und von 1931 bis 1934 Stabschef der Sturmabteilung, kurz SA genannt. Auf Anordnung von Adolfs Hitler wurde er beim «Röhm-Putsch» am 1. Juli 1934 umgebracht.

Nun schaut die Netflix-Doku «Eldorado – Alles, was die Nazis hassten»auf diese Zeit zurück und erzählt – mit Archivmaterial und O-Tönen von Zeitzeugen und Geschichtsforscher*innen – von mehreren Einzelschicksalen.

Das «Eldorado» war ein wunderbar-verrückter Ort

Das legendäre Berliner Nachtleben der 1920er soll über 120 queere Orte gekannt haben. Im Mittelpunkt der Doku über die Freiheiten, die unter Diktator Adolf Hitler verloren gingen, steht der Nachtclub Eldorado an der Motzstrasse.

Seine Werbung versprach: «Hier ist’s richtig».

Das «Eldorado» ist ein wunderbar-verrückter Ort und wegen seiner frivolen-schrillen Darbietungen ein beliebter Zufluchtsort der queeren Community.

Das «Eldorado» an der Motzstrasse in Berlin warb mit dem Slogan «Hier ist‘s richtig».
Das «Eldorado» an der Motzstrasse in Berlin warb mit dem Slogan «Hier ist‘s richtig».
Bild: Netflix

Ein Club wahrscheinlich irgendwo zwischen «Berghain», dem heute berühmtesten Techno-Club der Welt, und dem ehemaligen «Studio 54» in New York City, aber halt vor 100 Jahren.

Marlene Dietrich und Charlie Chaplin gehören genauso zu den «Eldorado»-Gästen wie Charlotte Charlaque und Toni Ebel, zwei trans Frauen, die zu den ersten Personen zählen, die im Berliner Institut für Se­xu­al­wissenschaften von Magnus Hirschfeld geschlechtsangleichend operiert wurden.

Den Nationalsozialisten war das bunte Treiben im «Eldorado» ein Dorn im Auge – obwohl dort auch hochrangige Nazis wie SA-Führer Ernst Röhm verkehrten. Dieser hatte sich 1924 von seiner Frau scheiden lassen.

Die Doku taucht in den Mikrokosmos des queeren Lebens ein

«Eldorado – Alles, was die Nazis hassten» bespricht in den Spielfilm-Szenen keine auserzählten Geschichten. Stattdessen lässt die Dokumentation einen ins Mikrokosmos des queeren Lebens eintauchen.

Regisseur Benjamin Cantu drehte vor und hinter der Kamera mit einem überwiegend queeren Team.

In der Doku wird aufgedeckt, wie fragil die Freiheiten der queeren Menschen in den 1920er Jahren waren. Und dass diese Freiheiten in den Augen Hitlers und seiner Schergen ein Gräuel sind.

Die Homosexualität von Röhm war aber auch für den politischen Gegner ein gefundenes Fressen – insbesondere während Wahlkämpfen vor den Reichstags- und Landtagswahlen.

Die SPD-nahe «Münchner Post» veröffentlicht 1932 Briefe Röhms, in denen er sich selbst als homo­sexuell bezeichnete. Adolf Hitler hält seinem Weggefährten jedoch die Treue – zumindest vorerst.

Hitler will, dass sich Ernst Röhm selbst umbringt

Mit der Machtergreifung der Nazis ist es mit den Berliner Frivolitäten schnell vorbei. Viele schreckliche Jahre folgen, die ihren brutalen Höhepunkt im Zweiten Weltkrieg finden.

Das «Eldorado» in Berlin muss 1932 schliessen, da «Tanzlustbarkeiten homosexueller Art zu unterbleiben» haben. Zwei Jahre später werden in der legendären «Nacht der langen Messer» Ernst Röhm und seine befreundete SA-Offiziere festgenommen.

Die meisten Verhafteten werden im Konzentrationslager Dachau erschossen. Ernst Röhm hingegen wird im Gefängnis Stadelheim inhaftiert.

Adolf Hitler verlangt, dass er sich selbst umbringt. Was Röhm jedoch verweigert. Schliesslich erschiessen ihn zwei SS-Männer.

«Es könnte abermals eine Freiheit auf Zeit sein»

Obwohl die Netflix-Doku nur anderthalb Stunden dauert, macht sie auf drastische Weise deutlich, wie brutal schnell queeren Menschen ihre Menschenrechte durch einen politischen Umsturz wieder entzogen werden können.

Was wäre, wenn es damit beginnt, dass eine rechtsextreme Partei wie die AfD – übrigens mit einer queeren Frontfrau, die in der Schweiz lebt, an der Spitze – in Deutschland Aufwind bekommt?

Oder damit, dass Drag-Queens zur «Gefahr für unsere Kinder» in Zürich verunglimpft werden. Oder damit, dass die Schulleitung in Stäfa ZH von einem SVP-Nationalrat wegen der Organisation eines Gender-Tages bloss gestellt wird und in der Folge Morddrohungen ausgesprochen werden.

So bleibt nur die Hoffnung, dass die Vorahnung des Kommentators in der «Berliner Zeitung» nicht demnächst Wahrheit wird:

«Ja, die Stadt Berlin sieht sich heute als Stadt der Freiheit, aber das tat sie schon einmal. Es könnte abermals eine Freiheit auf Zeit sein.»

Die Doku «Eldorado – Alles, was die Nazis hassen» ist bei Netflix abrufbar.