Kolumne am MittagKanzlerin und Mutter, wie bitte soll das gehen?
Von Julia Käser
23.4.2021
Sie macht keinen Hehl aus ihren Machtambitionen und könnte bald schon Angela Merkel beerben: Annalena Baerbock ist eine Politikerin, die nicht nur genau weiss, was sie will – sondern auch, welche Frage sie nicht mehr hören will.
Von Julia Käser
23.04.2021, 11:34
23.04.2021, 11:58
Julia Käser
Ein Aufstieg so steil wie ihre früheren Trampolin-Sprünge: Bis vor wenigen Jahren war der Name Annalena Baerbock selbst in Deutschland den wenigsten geläufig. Nun ist sie die erste grüne Kanzlerkandidatin Deutschlands – die Zustimmung des Bundesparteitags gilt als reine Formsache.
Zeit, sich etwas vertiefter mit der eloquenten Politikerin auseinanderzusetzen.
Aufgewachsen ist Baerbock auf einem Bauernhof in der Region Hannover. Schon früh begleitete sie ihre Eltern an Anti-AKW-Demos. Dreimal gewann sie an der deutschen Meisterschaft die Brozemedaille im Trampolin-Turnen. Später studierte die Grünen-Vorsitzende Politikwissenschaft und öffentliches Recht – unter anderem an der renommierten London School of Economics (LSE).
Wie viel wiegt die Kanzlerkandidatin wohl?
So weit, so gut. Wie siehts aus mit ihrem Wahlprogramm? Eine vertiefte Internet-Recherche kann Abhilfe schaffen. Bei den verwandten Suchanfragen schlägt mir Google doch tatsächlich ausschliesslich Dinge vor wie: «Annalena Baerbock Gewicht» oder «Annalena Baerbock Kinder Alter».
Zum Vergleich: Will man sich über den CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet schlau machen, tauchen immerhin Vorschläge auf wie «Armin Laschet Programm» oder «Armin Laschet heute».
Offenbar ist es von grösserem Interesse, wie viel die Kanzlerkandidatin wiegt, als, wofür sie kämpft. Beim CDU-Mann ist das anders. Auch die beiden Töchter von Baerbock interessieren überdurchschnittlich. Wer ist der Vater? Gehen sie wirklich auf eine Privatschule?
Dazu passt: Während des Interviewmarathons nach Bekanntgabe der Nominierung musste sich die 40-Jährige einer Frage besonders oft stellen: Wie will sie ihre Mutterschaft mit dem Amt der Kanzlerin vereinen? Ich glaube, ich lehne mich kaum aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass sich ein Mann diese Frage kaum hätte anhören müssen.
Die Kinder sind auch mal wichtiger als die Politik
Baerbock jedenfalls blieb cool und erfrischend ehrlich. Nur weil sie Spitzenpolitikerin sei, wolle sie nicht aufhören, Mutter zu sein, stellte sie klar. «Und es wird Momente geben, da bin ich nicht da, weil es wichtiger ist, dass ich bei meinen Kindern bin.»
Ebenso direkt hat die Parteichefin stets ihre Machtambitionen geäussert. So hat sie beispielsweise nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie sich das Kanzleramt zutraue – obwohl sie noch keine Regierungserfahrung vorzuweisen hat. Entschieden und selbstbewusst, so wird sie oft beschrieben.
Kommen wir nun doch noch zum Wesentlichen: den politischen Inhalten – das, wofür Baerbock steht. Die Völkerrechtlerin kämpft für konsequenten Klimaschutz, der Kohleausstieg bis 2030 etwa steht ganz oben auf ihrer Prioritätenliste. Ausserdem befürwortet sie ein Tempolimit von 130 Kilometer pro Stunde, womit sie sich nicht nur Freunde gemacht hat.
Die ewige Frage nach der Vereinbarkeit
Geht es nach Baerbock, muss Europa gemeinsam seine «Friedensrolle» in der Welt stärker wahrnehmen und mehr geflüchtete Personen aufnehmen und gerecht verteilen. Schliesslich will sie dafür sorgen, dass Inlandflüge in Deutschland in den nächsten Jahren überflüssig werden – weil gleichzeitig das Zugnetz so gut geworden ist.
Und bevor es vergessen geht, auch Sexismus, unter anderem in der Politik, will Baerbock bekämpfen. Damit sich die nächste Kanzlerkandidatin die ewige Frage nach der Vereinbarkeit von Kindern und Spitzenpolitik nicht mehr in Dauerschleife anhören muss.
Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.