blue News Autor traf Sinéad O'Connor «Sie sprach leise, war scheu und misstrauisch»

Von Hanspeter «Düsi» Künzler aus London

27.7.2023

Sinéad O'Connor war eine der bekanntesten Musikerinnen Irlands. Am 26. Juli 2023 verstarb die Sängerin nur 56-jährig in London. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt.
Sinéad O'Connor war eine der bekanntesten Musikerinnen Irlands. Am 26. Juli 2023 verstarb die Sängerin nur 56-jährig in London. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt.
Antonio Calanni/AP/dpa

Die vor allem durch ihren Welthit «Nothing Compares 2 U», aber auch durch ihre oft umstrittenen Aktionen bekannte irische Sängerin Sinéad O’Connor ist im Alter von erst 56 Jahren unerwartet verstorben. Die Todesursache ist noch nicht kommuniziert worden. Hanspeter Künzler erinnert sich an sie.

Von Hanspeter «Düsi» Künzler aus London

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die irische Künstlerin Sinéad O'Connor wurde am 26. Juli 2023 in ihrem Londoner Apartment leblos aufgefunden. Die Todesursache ist unbekannt.
  • Musikjournalist und blue News Autor Hanspeter «Düsi» Künzler traf die Irin zum Interview.
  • Ein Rückblick auf die Begegnung und ihr gewaltiges Schaffen.

«Nothing Compares 2 U» war ein Welthit – der grösste im Jahr 1990. Und das Album, auf dem die Single zu finden war – «I Do Not Want What I Haven’t Got» – verkaufte sich phänomenale sieben Millionen Mal.

Ein Mass von Erfolg also, von dem die meisten angehenden Popstars nur träumen können. Sinéad O’Connor dagegen empfand den gewaltigen Rummel als Fluch. «Aus meiner Sicht hat der Hit meine Karriere aus der Bahn geworfen», sagte sie in einem Interview mit der «New York Times» zum Erscheinen von ihren Memoiren vor zwei Jahren, «und das Zerreissen vom Papst-Foto hat mich auf den richtigen Weg zurückgeführt.»

23 Jahre alt war die Künstlerin, als ihr Lied und damit das Video mit der einsamen Träne, die über ihre Wange hinunterläuft, um die Welt gingen. Zwei Jahre älter war sie geworden, als sie während einer Liveübertragung von «Saturday Night Live», einer der populärsten Sendungen im amerikanischen Fernsehen, das Portrait des damaligen Papstes zerfetzte und dafür vom Sender NBC lebenslängliches Auftrittsverbot kassierte. Auf dem Times Square wurden danach ihre CDs von einem Bagger flachgewalzt, Frank Sinatra gab an, ihr den Hintern versohlen zu wollen, und selbst von der punkto spektakulären PR-Aktionen auch nicht gerade zimperlichen Madonna wurde sie für diese Aktion heftig kritisiert.

Hanspeter «Düsi» Künzler
zVG

Der Zürcher Journalist Hanspeter «Düsi» Künzler lebt seit bald 40 Jahren in London. Er ist Musik-, Kunst- und Fussballspezialist und schreibt für verschiedene Schweizer Publikationen wie blue News und die NZZ. Regelmässig ist er zudem Gast in der SRF-3-Sendung «Sounds».

Schon als Teenager für ihr «anders» sein eingestanden

Dabei hatte O’Connor ihre Geste bitterernst gemeint. Sie wollte damit auf den – wie es sich später herausstellte – weit verbreiteten (nicht nur) sexuellen Missbrauch von Kindern im kirchlichen Alltag hinweisen, den die Autoritäten bis dahin geflissentlich unter den Teppich gewischt hatten. Das Thema hatte für sie als Irin spezielle Brisanz. Ihre Kindheit war schwierig gewesen. Von der Mutter sei sie schwer misshandelt worden, berichtete sie, Autoritäten jeglicher Art brachten sie in Rage, Schulmeister wussten ihre anarchistische Art nicht zu zähmen.

So landete sie in einem sogenannten Magdalenenheim – einem Heim für diffizile Kinder und «gefallene» junge Frauen, das von Nonnen mit brachialer Disziplin geführt wurde. Ebenfalls erst nach O’Connors Fotoprotest wurden im Garten eines solchen Heimes in Dublin über hundert anonyme Gräber entdeckt. Über Dekaden hinweg hatte der Orden die ihm anvertrauten Frauen aufs Schlimmste misshandelt und in ihren Wäschereien Gratisarbeit leisten lassen. O’Connor selber hatte im Heim weniger körperlichen als psychologischen Terror erlebt. Zusammen mit dem von ihr als klaustrophobisch, frauenfeindlich und überhaupt ungerecht empfundenen Einfluss der katholischen Kirche auf das Leben in Irland halfen die Erlebnisse, einen rebellischen Geist zu formen, der sich schon als Teenager zum Lebensziel gemacht hatte, für Toleranz, Gleichberechtigung und vor allem das Recht einzustehen, «anders» zu sein. Mit Ausnahme des kurzen Momentes als Popstar blieb sie dieser Einstellung bis ans Lebensende treu.

O'Connor sprach leise, war scheu und misstrauisch

Ich traf Sinéad O’Connor zum ersten und leider letzten Mal, als sie in London Interviews zum Erscheinen ihres Debütalbums «The Lion and the Cobra» gab. Das war 1987, sie war gerade 21 geworden. Geblieben ist mir von dieser Begegnung der Eindruck von einem Menschen voller Widersprüche und einem gewaltigen Willen. Sie sprach leise, war scheu und wirkte gleichzeitig ziemlich misstrauisch (wobei Musiker*innen zu der Zeit Journalisten noch oft automatisch als Feinde klassierten).

Dabei deutete sie aber auch an, dass sie durchaus gewillt war, die Hand zu beissen, die sie fütterte. So meldete sie Zweifel daran an, dass gewisse Leute, die sie bis dahin unterstützt hatten, dies ohne unlautere Motive getan hatten. Ganz bestimmt war ihr verhaltenes Auftreten darauf zurückzuführen, dass sie noch kaum Interviews gegeben hatte: Schon zwei, drei Jahre später hielt sie nicht mehr zurück, wenn es darum ging, gesellschaftliche Missstände wie eben den Einfluss organisierter Religion, Frauenfeindlichkeit oder Rassismus anzuprangern.

Die Musik, die das Debüt enthielt, ganz zu schweigen von einer Stimme, mit denen sie Felsen versetzen konnte, liessen indessen kein Zweifel aufkommen, dass hier eine Frau mit einer starken Vision am Werk war. Die Einflüsse auf ihre Musik waren schwer definierbar, auf jeden Fall war vieles zu laut und auch zu dramatisch für das damals vorherrschende Klischee einer introvertierten singenden Songschreiberin.

Sie suchte lebenslang nach dem tieferen Sinn

Sinéad O’Connor lebte das Leben in vollen Zügen und ohne Kompromiss. Dazu wurde sie von einer rastlosen Neugier beseelt, die sie nie lang am gleichen Ort in Ruhe liess. Zwar begegnete sie organisierter Religion mit einem vulkanhaften Furor, gleichzeitig befand sie sich lebenslang auf der Suche nach einem tieferen Sinn im Leben.

So liess sie sich von einer unabhängigen katholischen Sekte als Priesterin weihen, ehe sie sich den Namen Magda Davitt zulegte, ein Symbol dafür, dass sie mit den negativen Seiten ihres alten Lebens gebrochen haben wollte. Ein paar Jahre später wiederum wandte sie sich dem Islam zu und nannte sich fortan Shuhada Sadaqat. Solche «Gesten» wurden von den Medien gern aufgegriffen und auf geradezu gewalttätige Art verdreht: Es passte alles prächtig ins Image der spinnenden Furie, das man ihr nach dem Eklat mit dem Papst-Bild angehängt hatte. Mutigerweise machte sie auch nie ein Hehl aus ihrer fragilen geistigen Gesundheit. Viele ihrer oft rätselhaft wirkenden Aussagen entpuppten sich später als verklauselte Hilferufe.

«Sinéad O'Connor lebte das Leben in vollen Zügen und ohne Kompromiss»

Grossen Respekt für ihre Musik in Irland

Es ist schade, dass der Ruf von Sinéad O’Connor immer mit «Nothing Compares 2 U» verbunden sein wird. Zumindest die sieben Millionen Käuferinnen und Käufer des Albums, auf dem das Lied zu finden ist («I Do Not Want What Haven’t Got», 1990), werden noch ein paar Songs von ihr zu schätzen wissen. Dass die restlichen neuen Alben, die sie veröffentlicht hat (ein weiteres wartet seit zwei Jahren auf seine Veröffentlichung), kein grösseres Echo ausgelöst haben, ist wohl ebenfalls auf ihren rastlosen Geist zurückzuführen. So nämlich, wie sie sich im Privatleben von einer intensiven Liebe zur nächsten stürzte, wechselte sie auch ihr musikalisches Gewand ständig wieder. So gibt sie auf «Theology» Rasta-Gesänge zum Besten, widmet sich dagegen auf «Sean-Nós Nua» einer uririschen Gesangstradition.

Mit den stromlinienförmigen Vermarktungsstrategien der modernen Musikindustrie ist solchem Verhalten nicht beizukommen. Allerdings: Der internationalen Gleichgültigkeit der letzten Dekaden steht der gewaltige Respekt gegenüber, der ihn in Irland gezollt wurde und wird. Ihre Alben schafften fast immer den Sprung in die Hitparade, ihr letztes («I’m not Bossy, I’m the Boss», 2014) brachte es sogar auf Platz eins. Dass sich sowohl der irische Regierungschef Leo Varadkar als auch sein Stellvertreter Michéal Martin mit bewegenden Worten zu ihrem Tod meldeten, zeugt vom Respekt, den sie in ihrem Land genoss.

Mit Sinéad O’Connor hat die Welt eine Frau verloren, die ihr Leben lang singend und sprechend für Toleranz kämpfte und für die Freiheit, «anders» sein zu können.


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