Kolumne am Mittag Als mich Amy Winehouse einfach sitzen liess

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

23.7.2021

Heute vor zehn Jahren starb Amy Winehouse. 27 Jahre alt nur war sie geworden, ganze zwei Alben hatte sie zu ihren Lebzeiten veröffentlicht. Aber ihre Stimme bleibt unvergessen und ihre Präsenz prägt in London noch immer ein ganzes Quartier.

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

23.7.2021

In jeder Ecke im Londoner Viertel Camden begegnet sie einem, die Amy Winehouse.

Im «Good Mixer», der Absturz-Knelle an der Inverness Street, wo sie einst Billard spielte, hängt ihr Konterfei ebenso wie im Hawley Arms, dem Gastropub, wo sie mal eine Portion Chips verdrückte.

Im legendären Musik-Pub Dublin Castle an der Parkway hat jemand ihr Porträt an die Wand gepinselt, die Bronze-Statue im Markt wird täglich Hunderte Mal fotografiert. Zahllose Strassenkünstler haben ihr in den Gassen rundum mit der Spraydose gehuldigt.

Ihr Haus ist auf Google Maps markiert, regelmässig werden dort Blumen hinterlegt. Eine solche Verehrung kann nicht mit Marketing-Konzepten erzwungen werden. Sie ist ein Zeichen der aufrichtigen Bewunderung, die ihr in diesem Quartier zukommt, wo sie einst alle gekannt haben.

Anderswo mag Winehouse als begnadete Soul-Sängerin bekannt sein, von deren Album «Back to Black» 16 Millionen Exemplare verkauft worden sind. Deren Hits «Rehab» und «Valerie» zum Programm jeder Karaoke-Party gehören. Deren Raubbau am eigenen Körper ihre Muse tragisch früh erlöschen liess.

In Camden ist Amy Winehouse eine wahre Volksheldin.

Eine furiose Frau

Amy Winehouse war eine furiose Frau. Furios die Stimme – ein Röhren halbwegs zwischen Tina Turner und Grace Jones. Furios die Frisur – ein pechschwarzer Hexenbesen, der sich gut als Drogenversteck eignete. Furios auch die Emotionen – im Frieden wie im Rosenkrieg.

Furios die Stimme, furios die Frisur und furios auch die Emotionen: Amy Winehouse.
Furios die Stimme, furios die Frisur und furios auch die Emotionen: Amy Winehouse.
Bild: Getty Images

Geboren wurde sie am 14. September 1983 in Nordlondon. Die Eltern trennten sich, als sie neun Jahre alt war. Früh gab es Probleme: Die Mutter war ihrem Temperament nicht gewachsen, die Primarschule nicht, auch die Theaterschule nicht, und erst recht nicht die Brit School für angehende Popstars, die sie wie Adele, Katie Melua und Jessie J. als Teenager kurz zu besuchen versuchte.

Aber ihr Talent war stärker als alle Regeln, die man ihr in den Weg legte. 20 Jahre alt war sie, als im Oktober 2003 ihr Debut-Album «Frank» erschien und ihr gleich eine Nominierung für den prestigereichen Mercury-Preis fürs «wichtigste britische und irische Album des Jahres» eintrug.

Sündenböcke wurden zu Hauf gefunden

In den zehn Jahren seit ihrem Tod sind zahllose Thesen über die Gründe für ihren traurigen Lebenslauf aufgestellt worden. Sündenböcke zuhauf wurden gefunden.

Die Reihe reichte vom Vater über diverse Boyfriends und den Ehemann bis hin zu den Papparazzi, die sie gnadenlos verfolgt hätten, dazu Plattenfirma und Manager, denen es nur um die eigene Kasse gegangen sein soll (ein früher Manager, der ihr ans Herz legte, sich in den Drogen- und Alkoholentzug zu begeben, wurde zum Dank entlassen und mit dem Song «Rehab» lächerlich gemacht).

Ich selber hatte zwei Begegnungen mit Winehouse.

Das ist nicht viel. Auf keinen Fall will ich mir anmassen, ihren komplexen Charakter verstanden oder gar die Wurzeln ihrer Probleme erkannt zu haben. Immerhin gaben mir diese zwei Treffen einen Eindruck davon, wie schwierig es für ihre private und berufliche Umwelt gewesen sein muss, mit ihrem explosiven Temperament umzugehen.



Das erste Mal sollte ich sie noch vor dem Erscheinen des Debut-Albums interviewen. Den Termin hatte ich von mir aus beantragt, ich fand das Album toll. Als ich pünktlich zum Termin im Pasta-Restaurant in Camden erschien, sass der Journalist, der vor mir dran war, immer noch wartend am Tisch.

Wir sahen zu, wie Winehouse im Korridor vergnügt ins Handy wieherte und uns ab und zu zuwinkte. 45 Minuten später gesellte sich der nächste Medienvertreter zu uns. Winehouse war noch immer am Hüpfen und Wiehern. Die Vertreterin der Plattenfirma – eine erfahrene Frau aus den höheren Regionen der Firma – schien sich nicht zu getrauen, ein Machtwort zu sprechen.

Was wäre geschehen, wenn sie es getan hätte?

Nach eineinhalb Stunden hatte ich genug und ging heim. Ich fand ihr Benehmen respektlos und teilte dies auch der Plattenfirma mit. Einige Wochen vor dem Erscheinen von «Back to Black» fanden wir dann doch noch zusammen.

Ihre Karriere in den Klatschspalten

Ihre Karriere hatte in der Zwischenzeit vornehmlich in den Klatschspalten der Boulevardpresse stattgefunden. Winehouse, ihre Assistentin und ich trafen uns in einem Büro der Plattenfirma. Winehouse war in grandioser Laune. Die Worte sprudelten aus ihr heraus, noch ehe ich sie bitten konnte, den plärrenden Fernseher abzuschalten.

Das weisse, ärmellose Shirt, das sie vor drei Tagen getragen hatte, als sie spätnachts den Papparazzi vor die Linsen getorkelt war, war nun mit allerhand Flecken bedeckt. So schnell und intensiv redete Winehouse, dass ich oft erst später merkte, was ihr da aus dem Mund gepurzelt war. Zwischen ihren Gedanken und ihren Lippen schien es keinen Filter zu geben. Alles, was ihr in den Sinn kam, sagte sie laut heraus.

Natürlich redeten wir über das neue Album – aber eigentlich langweile sie dieses schon jetzt, sagte sie, lieber würde sie über das Album reden, das sie als Nächstes plane.

Die Liebe ihres Lebens

Immer wieder kam sie auf die Liebe ihres Lebens zu sprechen, diesen Blake (den sie später tatsächlich heiratete). Sie hätten sich trennen müssen, sonst hätten sie sich gegenseitig vernichtet, gestand sie. Jetzt habe sie einen neuen Freund, ein lieber Kerl, ein Koch – aber der sei halt doch nicht so ganz das Wahre.

Immer wieder kam Amy Winehouse während des Interviews auf die Liebe ihres Lebens zu sprechen, diesen Blake Fielder-Civil (Bild), den sie später tatsächlich heiraten sollte.
Immer wieder kam Amy Winehouse während des Interviews auf die Liebe ihres Lebens zu sprechen, diesen Blake Fielder-Civil (Bild), den sie später tatsächlich heiraten sollte.
Bild: Getty Images

Sie erzählte, wie ihr all die ausgehungerten Pub-Kumpel immer wieder leid täten, und wie sie ihnen dann Spaghetti mit Fleischbällchen koche. Sie erzählte, wie sie gestern Streit mit dem Koch gehabt hätte und darum auf dem Sofa gepennt habe – aber die Matratze im Bett sei sowieso grauenhaft, eine neue sollte noch heute geliefert werden.

In den «Back to Black»-Liedern ging es oft um Trennungsschmerz. Ob ihr das Niederschreiben dieser Texte geholfen habe, das Ende der Beziehung – mit diesem Blake, notabene – zu verarbeiten, fragte ich. «Auf jeden Fall», antwortete Winehouse.

«Am Anfang habe ich nur noch geputzt. Furios. Von zuoberst bis zuunterst das ganze Haus. Ein Zahnbürsten-Job. Nur damit ich nicht mehr an ihn denken konnte. Wenn du jemanden liebst, erinnert dich alles an ihn. ALLES! Darum musst du ihn blockieren. Alles blockieren. Ich öffnete den Kühlschrank, und da war er. Auf dem Büchergestell – er. Ich ging die Treppe hinauf und sah das Blut an der Wand, und ich musste an ihn denken. Denn wenn ich zornig bin, haue ich mit der Faust auf die Wand. Hier …»

Sie zeigte mir die blutig geschlagenen Finger, und schon sprudelten die Worte weiter. «Von dem Moment an, wo ich die Songs zu schreiben anfing, ging’s mir okay. Von jetzt an wird’s mir immer cool gehen. Denn ein Herz kann nur einmal gebrochen werden …»


Zum Autor: Der Zürcher Journalist Hanspeter «Düsi» Künzler lebt seit bald 40 Jahren in London. Er ist Musik-, Kunst- und Fussballspezialist und schreibt für verschiedene Schweizer Publikationen wie die NZZ. Regelmässig ist er zudem Gast in der SRF3-Sendung «Sounds».

Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.


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