Das Ballermann-Lied «Layla» von DJ Robin & Schürze erobert in Deutschland und der Schweiz die Hitparaden. Nun wurde das Lied in unserem nördlichen Nachbarland offiziell zum Sommerhit gewählt.
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Was ist die Geschichte des Sommerhits? Und wie wird ein Song überhaupt ein solcher? Ein schriftliches Ping-Pong mit Musik-Experte Hanspeter «Düsi» Künzler über Kate Bush, Luca Hänni, «Layla» und andere Strandlieder.
Hanspeter «Düsi» Künzler, du als Musik-Spezialist musst das doch wissen: Gibt es in diesem Sommer keinen coolen Sommerhit?
Wenn man Sommerhit als Gassenhauer definiert, der aus dem Nichts kommt und plötzlich in aller Munde ist, dann wäre «Running Up That Hill» von Kate Bush die perfekte Antwort. Bei der ersten Veröffentlichung im August 1985 schaffte es die Single in der Schweizer Hitparade auf Platz 10, in England auf Platz 3.
Die Renaissance hat Kate Bush der vierten und neusten Staffel der Netflix-Serie «Stranger Things» zu verdanken. Auf diese Weise erreichte das Lied ein viel grösseres Publikum als beim ersten Mal und landete in vielen Ländern, darunter auch in der Schweiz, an der Spitze der Charts.
Mehr noch: Auf der Strasse, im Tram und im Büro hört man immer wieder den gesummten Refrain von «Running Up That Hill». Ein Sommerhit schlechthin!
«Running Up That Hill» – ein Sommerhit? Sorry, damit überzeugst du mich nicht wirklich.
Ich habe jetzt noch meine Töchter gefragt, sie sind 24 und 21 Jahre alt, und ihnen ist bis jetzt auch nichts anderes als der Song von Kate Bush eingefallen.
Zur Person: Hanspeter «Düsi» Künzler
Der Zürcher Journalist Hanspeter «Düsi» Künzler lebt seit bald 40 Jahren in London. Er ist Musik-, Kunst- und Fussball-Spezialist und schreibt für verschiedene Schweizer Publikationen wie blue News und die NZZ. Regelmässig ist er zudem Gast in der SRF3-Sendung «Sounds».
Viele Sommerhits drehen sich um die Themen Liebe, Sex und Strand. Gibt es vielleicht deshalb heuer keinen Sommerhit, weil uns der Krieg in der Ukraine trotz ganz vieler Hitzetage die Laune immer wieder auf schreckliche Weise verdirbt?
Das bezweifle ich sehr. Gerade in schwierigen Zeiten werden Ablenkungen wie ein Gute-Laune-Song gewöhnlich mit Gusto verschlungen.
So grundsätzlich: Was macht einen Song zum Sommerhit aus?
Oft sind es Lieder, die in den Discos und Strandbars in südlichen Ferienländern dumm und dusselig gespielt werden und dann von den Touristen quasi als Souvenir ins Heimatland zurückgebracht werden. Ein bisschen Exotik gehört dazu, ein flotter Rhythmus auch, und vielleicht ein klanglicher oder sprachlicher Gimmick. Es kann auch einfach ein unwiderstehlicher Ohrwurm sein. Umso besser, wenn darin das Wort «Sommer» vorkommt.
Hast du ein Beispiel?
«In The Summertime» von Mungo Jerry ist das Paradebeispiel.
Ich habe jetzt gerade im Internet nachgeschaut: Der Song ist 1970 erschienen. Hat also schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel. Hast du vielleicht noch ein neueres Beispiel?
Ich kann auch noch älter: «Yes, We Have No Bananas» von Louis Primas war ein Riesenknüller im Sommer 1923. Neuer wären dann «Livin’ La Vida Loca» von Ricky Martin anno 1999 oder «Old Town Road» von Lil Naz X und Billy Ray Cyrus im Sommer 2019.
Zu meinen sommerlichen Lieblingsliedern gehört neben «Sommersprossen» der deutschen Band UKW aus dem Jahr 1981 auch «Rain On Me» von Lady Gaga und Ariana Grande, der 2020 erschienen ist.
Uff, «Sommersprossen» ist zum Glück nie zu mir auf die Insel (Künzler lebt in London, Anmerkung der Redaktion) durchgedrungen. «Rain on Me» ist etwas gar synthetisch für meinen Geschmack.
Häufig wird ein Sommerhit auf Spanisch gesungen. Woran könnte das liegen?
Ich sage nur: Strand-, Sonnen- und Après-Plage-Nostalgie.
Was für Kriterien müssen sonst noch erfüllt sein, damit ein Song zum Sommerhit taugt?
Ein bisschen Geblödel schadet nie. Und man muss Mitgrölen können, egal wie besoffen Mann oder Frau ist oder wie stark der Sonnenbrand schmerzt.
Muss ein Sommerhit auch viele Menschen nerven?
Auf jeden Fall. Siehe – in meinem Fall – «Rain on Me». Schliesslich gehört zu den Strandferien, dass man jegliche Geschmacks-Sensoren ausschaltet. Entspannung pur halt.
Wusstest du, dass es für Sommerhits sogar eine musikwissenschaftliche Formel gibt? Es ist der sogenannte Ohrwurm-Quotient.
Nein, wusste ich nicht. Ich habe es jetzt aber gegoogelt und finde: Blödsinn.
Wieso ein Blödsinn?
Wenn die Formel wirklich funktionierte, gäbe es jeden Tag einen neuen Sommerhit. Die Musiker*innen wären verdammt froh um den Zaster.
Spotify wagte bereits Anfang Juni eine erste Prognose, welche Hits uns durch den Sommer 2022 begleiten werden. Auf der internationalen Liste «Songs of Summer» steht aktuell ganz vorne «As It Was» von Harry Styles. Deine Meinung zu dem Song?
Gefällt mir, könnte auch einfach mit der Akustikgitarre gespielt werden. Übrigens habe ich den Co-Komponisten Thomas Hull einmal interviewt. Damals hiess er noch Kid Harpoon, spielte Gitarre und hatte gerade ein feines Solo-Album aufgenommen – sein einziges. Wir sassen im Pub und hatten es gut.
Ebenfalls vorne mit dabei: Lizzo mit «About Damn Time».
Ganz lustig, ja, aber besonders ohrwurmig finde ich das Stück nicht.
In Deutschland ermittelt das Marktforschungsinstitut GfK Entertainment den offiziellen Sommerhit. Diese Firma ist in unserem Nachbarland auch für die Charts zuständig. Dieser Tage haben die den Ballermann-Song «Layla» zum Sommerhit 2022 gekürt. Ist dieses Lied bis zu dir auf die Insel durchgedrungen?
Wow, Eric Clapton! Schönes Lied! – Im Ernst: Nein, die deutsche «Layla» habe ich auf der Insel noch nie gehört. Aber jetzt natürlich ebenfalls gegoogelt. Oh Schreck, dieser Party bleibe ich mit Sicherheit fern.
Das mit Sexismus-Vorwürfen konfrontierte und daher umstrittene Lied «Layla» wurde mehr als 60 Millionen Mal gestreamt und steht seit fünf Wochen an der Spitze der Charts in Deutschland. Und auch in der Schweiz rückte der Song vergangenen Sonntag an die Spitze der Hitparade. «An Layla führt in diesem Sommer kein Weg vorbei», schreiben die deutschen Charts-Ermittler.
Soso. Wie gesagt, am Strand geht oft auch der Musikgeschmack baden. «Bier her, Bier her, oder ich fall um!»
Wie sieht es eigentlich mit dem Sommerhit 2022 bei dir auf der Insel aus?
Harry Styles. Und Kate Bush. Im Pub: Mungo Jerry.
Blöde Frage: Dürft ihr in London seit dem Brexit überhaupt noch Musik vom europäischen Festland hören?
Jetzt erst recht! Aus Protest. Bloss im Radio kommt sowas jetzt nicht mehr.
Ich habe jetzt gerade nochmals Hitparade.ch gecheckt und nachgeschaut, ob ein*e Musiker*in aus der Schweiz Chancen auf den Sommerhit 2022 hat. Ich sehe aber weit und breit niemanden. Du vielleicht?
Analog zur Tatsache, dass Schweizer Sommerhits oft aus den Jukeboxes von Spanien und Italien kommen, müsste man die Sommerhits von Schweizer Künstler*innen vielleicht eher in den Hitparaden von Japan, China oder England suchen, und da sehe ich leider noch nichts.
Wie hoch schätzt du das Sommerhit-Potenzial des neuen Songs von Luca Hänni ein, der mit Sarah Engels gemeinsame Sache macht und «Ma Bonita» schmachtet?
Nicht schrill genug, nicht laut genug, nicht knackig genug für einen echten Sommerhit.
Wenn du auf die letzten 10, 15 Jahre zurückschaust, erinnerst du dich da an einen Schweizer Sommerhit mit viel Ohrwurm-Qualität?
Also, «079» von Lo & Leduc fand ich eigentlich ganz lustig. Und «Mamacita» von Loco Escrito. Gilt «Hippie-Bus» von Dodo? Oder ist das eher ein Frühlings-Hit?
Aber jetzt ehrlich, das einzige neuere Schweizer Sommerlied, das ich heissestens liebe, ist «In Case I Fall For You» von Black Sea Dahu.
Ein Freund von mir findet, Sommerhits seien selten kreativ.
Ein bisschen Kreativität steckt auch im doofsten Sommerhit. Schliesslich muss man auch auf eine doofe oder gnadenlos kalkulierte Idee erstmal kommen. Und dann auch noch den Mut haben, sie in die Tat umzusetzen.
Verrätst du mir zu guter Letzt noch deine Top-5 der Sommerhits. Es gibt jedoch eine Einschränkung: Die Songs dürfen nicht älter als 35 Jahre sein.
So eine Gemeinheit! – Du weisst genau, dass «In The Summertime» von Mungo Jerry älter als 35 Jahre alt ist.
Ich schicke dir folgende Liste unter Protest:
«Fast Car», Tracy Chapman
«A Girl Like You», Edwyn Collins
«Macarena», Los Del Rio
«Vossi Bop», Stormzy
«In The Summertime», Shaggy/Rayvon
«Was brauche ich zum Popstar?» – «Ein, zwei Stunden»
Als Kind träumte er davon Popstar zu werden. Jetzt hat er sich den Traum erfüllt: blue News Redaktor Bruno Bötschi ging ins Tonstudio, um einen Song aufzunehmen.
16.11.2021