Hazel Brugger erstarrt vor Angela Merkel Wo ist die Königin der Schlagfertigkeit geblieben?

Bruno Bötschi

27.11.2024

Angela Merkel und Hazel Brugger unterhielten sich eine Stunde lang über die Memoiren der Altbundeskanzlerin.
Angela Merkel und Hazel Brugger unterhielten sich eine Stunde lang über die Memoiren der Altbundeskanzlerin.
Bild: Screenshot Youtube

Altbundeskanzlerin Angela Merkel stellt sich den Fragen von Hazel Brugger. Und dann geschieht, was kaum eine*r erwartet hat: Die Komikerin wird von der ersten Sekunde an ihrer Schlagfertigkeit beraubt.

Bruno Bötschi

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Hazel Brugger durfte sich eine Stunde lang mit Altbundeskanzlerin Angela Merkel über deren Memoiren unterhalten.
  • Wer würde da nicht Ja sagen, wenn so eine Anfrage kommt? Blöd nur, dass die Komikerin von der ersten Sekunde an ihrer Schlagfertigkeit beraubt war.
  • Die blitzgescheite Brugger tut sich während des Gesprächs sichtlich schwer mit Merkel. Fast scheint es so, als habe sie sich von deren Hölzernheit anstecken lassen.
  • Trotzdem ist in den Medien und im Netz kaum Kritik über das Interview zu finden. Und von einer Entzauberung Bruggers durch Merkel will die grosse Mehrheit schon gar nichts wissen.

«Hazel Brugger lebt schnell. Gerade erst 30 geworden und schon zweifache Mutter, Hausbesitzerin, Firmenchefin, Erfolgspodcasterin und Dauergast in grossen Shows. Vor allem aber ist sie eins: Immer noch wach. Die neue Soloshow der unangefochtenen Königin der Schlagfertigkeit.»

So lautet die Beschreibung von Bruggers Bühnenprogramm «Immer noch wach», das die 30-jährige Komikerin aktuell vor fast immer ausverkauften Sälen zum Besten gibt.

Trotz übervoller Agenda fand Brugger eine Stunde Zeit für Angela Merkel. Die Schweizer Wahl-Deutsche durfte Merkel interviewen. Wer würde da nicht Ja sagen? Blöd nur, dass die Komikerin von der ersten Sekunde an ihrer Schlagfertigkeit beraubt wurde.

Die Komikerin erstarrt vor der Altkanzlerin

Aber fangen wir von vorne an: Die Altbundeskanzlerin hat ihre Memoiren veröffentlicht. 736 Seiten lang. Denn die Interpretation ihrer eigenen Geschichte könne «sie ja nicht nur den anderen überlassen», sagt Angela Merkel.

Während des Gesprächs mit Komikerin Hazel Brugger ist die Erinnerung an die Kanzlerin wie ein «Merkel-Gefühl» sofort wieder da. Man kennt sie eben tatsächlich, nach 16 Jahren Job als Kanzlerin.

Gleichzeitig ist von der ersten Sekunde des Interviews an spürbar, wie die Komikerin vor der Altkanzlerin erstarrt. Es dauert eine schiere Ewigkeit, bis Brugger aus dieser Schockstarre erwacht und zu ihrer liebenswürdigen Frechheit zurückfindet.

Dazu musst du wissen: Das Video ist eine Produktion des Verlags Kiepenheuer & Witsch, also des Herausgebers von Merkels Memoiren. Es ist Werbung.

«Find das Merkel-Brugger-Interview unangenehm»

Auf X kommentiert eine Userin namens Lene: «Find das Merkel-Brugger-Interview ja unendlich unangenehm, hat jemand von euch reingeschaut und wenn ja, wie fandet ihr's?»

Der «Tages-Anzeiger» schreibt gar von einem Fiasko. Und weiter: «Tatsächlich wirkt die Schweizerin im Merkel-Gespräch geradezu verwandelt: So seriös und zugleich unsicher, wenn es um Pointen geht, hat man die 30-jährige Ausnahmekomikerin noch nie erlebt.»

Über Angela Merkel erzählen Menschen, die sie besser kennen, sie sei privat lustig und sehr unterhaltsam. In ihrer öffentlichen Rolle schien das jedoch nur selten auf. Auch während des Gesprächs mit Hazel Brugger gibt es kaum etwas zu lachen.

Himmel, wo ist die unangefochtene Königin der Schlagfertigkeit geblieben?

Die blitzgescheite Brugger tut sich schwer mit Merkel

Dabei hatte sich die Altkanzlerin doch die Komikerin ausdrücklich als Interviewerin gewünscht. Die blitzgescheite Brugger tut sich sichtlich schwer mit der spröden Merkel. Fast scheint es so, als habe sie sich von ihrer Hölzernheit anstecken lassen.

Und das, obwohl Hazel Brugger sich auf X in der Vergangenheit mit Kommentaren über Angela Merkel nicht zurückgehalten hat:

Um so schrecklicher finden einige Menschen nun das Interview zwischen den beiden Frauen:

«Wer sich über Miosga und Habeck aufregt, hat noch nicht das Interview mit Merkel und Hazel Brugger gesehen. Hat bisschen was von Putin und Tucker Carlson», schreibt User Sozlib auf X.

Fakt ist aber auch: Mehr ist da nicht zu finden an Kritik in den Medien oder dem Netz. Von einer Entzauberung Bruggers durch Merkel will die grosse Mehrheit schon gar nichts wissen.

Auch wer auf dem Instagram-Account bei Hazel Brugger nachliest, findet fast ausschliesslich begeisterte Kommentare:

«Könnt ihr beiden bitte ein wöchentliches Talk-Format starten? Ich lieb's!»

«In jeder Hinsicht das exakte Gegenteil von Donald Trump bei Joe Rogan. (Für die, die sich unsicher sind: Das ist ein Lob.)»

«Omg Mama1 trifft auf Mama2»

Das Wort «Mutti» hat Merkel mehr genutzt als geschadet

Nun denn, seit Jahren haftet Angela Merkel das spöttisch gemeinte M-Wort an. In Wahrheit profitierte die Altkanzlerin jedoch davon. Das Wort «Mutti» hat der CDU-Politikerin mehr genutzt als geschadet.

Denn die Aspekte der Mutti-Metapher verdecken ihre Schwächen. Oder wie es das «SüddeutscheZeitung Magazin» schreibt:

«Merkel hat das eigentlich abfällige ‹Mutti›-Etikett für sich arbeiten lassen, so wie sie viele ihrer scheinbaren Schwächen in Stärken umgemünzt hat – ihre ungelenke Rhetorik in Authentizität, die seltsamen Farben ihrer Hosenanzüge in ein Erkennungsmerkmal, die Raute ihrer körperlichen Unentspanntheit in ein Markenzeichen.»

Und weiter: «Merkel hat es geschafft, dass selbst ein kurzes GIF ihres verstört-unbeteiligten Gesichtsausdrucks bei einer Karnevalssitzung zur positiven Identifikation einlädt.»

Mutti hin oder her: Angela Merkel ist ein ehrgeiziger und machthungriger Mensch. Sonst hätte die Frau es niemals so weit nach oben geschafft, wäre niemals 16 Jahre Bundeskanzlerin gewesen.

Oder wie es die Chef-Interviewerin Decca Aitkenhead der «The Sunday Times» beschreibt:

«Und dann öffnen sich plötzlich einfach die Türen, und da ist diese irgendwie sehr kleine Figur da ... Es gab kein Stolzieren oder grosses Getue. Es war ein äusserst massvolles Auftreten. Die Tür öffnete sich einfach, ihr Auftritt hatte Haltung und ihre Körpersprache ist so zurückhaltend – und dennoch habe ich noch nie gesehen, dass jemand ein Gefühl von Macht in der Art ausstrahlt, wie sie es getan hat.»

Warum schalten die Synapsen von Brugger so schnell?

Angela Merkel ihrerseits sei zu spröde, um sich auf eine Blödelebene zu begeben, behauptet nun der «Tages-Anzeiger» in seiner Kritik über das Gespräch zwischen Angela Merkel und Hazel Brugger.

Und beweist damit nur, dass er Komikerin Hazel Bruggers Lebensleistung komplett falsch einschätzt. Die «einst böseste Frau der Schweiz» hat noch nie «geblödelt», also ganz sicher nicht auf der Bühne. Sie ist viel mehr die Königin der Schlagfertigkeit.

Auf Zuruf etwas improvisieren können, das nicht nur lustig ist, sondern auch Tiefgang hat – das ist eine grosse Kunst. Hazel Brugger hat das supercool drauf.

Warum die Synapsen bei der Komikerin so blitzschnell schalten und zuweilen in so herrlich abseitige Anarcho-Regionen driften? Das habe ich mich schon oft gefragt.

Gefragt habe ich mich aber auch, warum Hazel Brugger jetzt im Meet & Greet mit Angela Merkel wie ein überforderter Fan agierte: Himmel nochmals, wo ist die unangefochtene Königin der Schlagfertigkeit geblieben?


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