Hazel Brugger interviewt Angela Merkel «Sie wirken jetzt nicht so wie eine Streberin auf mich»

Bruno Bötschi

26.11.2024

Die Altkanzlerin stellt sich den Fragen einer Komikerin. Angela Merkel, deren Memoiren heute erschienen sind, wollte unbedingt von Hazel Brugger interviewt werden. Wie das Gespräch war, erfährst du hier.

Bruno Bötschi

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  • Angela Merkel und Hazel Brugger haben sich eine Stunde lang über die Memoiren der Altbundeskanzlerin unterhalten.
  • 16 Jahre trug Merkel in Deutschland die Regierungsverantwortung. Im Buch «Freiheit – Erinnerungen 1954–2021», welches heute erschienen ist, blickt sie darauf zurück. 
  • Auf den 736 Seiten gibt sich die 70-Jährige äussert detailversessen, verrät kaum Persönliches – und sorgt trotzdem für die eine oder andere Überraschung.
  • «Ich habe jetzt nach dem Lesen des Buches das Gefühl, ich weiss alles über Sie – ausser wer Sie sind», sagt Brugger am Ende des Gesprächs. Merkel kontert trocken.

Angela Merkel nervt es, dass sie einst beim G20-Gipfel auf die Frage der Medien, ob sie sich als Feministin fühle, nicht mit einem ganz klaren «Ja» geantwortet hat.

In ihrer Biografie «Freiheit – Erinnerungen 1954–2021» schreibt die deutsche Altbundeskanzlerin über die innere Zerrissenheit, die sie wegen dieses Zauderns geplagt habe.

Komikerin Hazel Brugger rechnet es Politikerin Angela Merkel im Gespräch hoch an, dass sie in dem Buchkapitel den sogenannten «Politikersprech» für einmal vergisst und stattdessen offen zugibt, dass «es nicht ideal war, wie ich es gemacht habe».

Merkels Biografie ist ein Frauenprojekt

Drei Jahre nach ihrem Abschied von der politischen Bühne hat Angela Merkel ihre Biografie veröffentlicht. Das Buch schrieb die 70-Jährige gemeinsam mit ihrer langjährigen Weggefährtin und Beraterin Beate Baumann. 

Das Buchprojekt von Merkel und Baumann löste laut dem «Spiegel», einen Ansturm der Verlage aus. Am Ende machte Kiepenheuer & Witsch (KiWi) das Rennen – ein Unternehmen, das mit Kerstin Glebe von einer Frau geführt wird. Es heisst, dies sei der ausschlaggebende Faktor gewesen.

So passt es denn auch ganz gut, dass Angela Merkel das erste TV-Interview zu ihrem Buch einer Frau gibt: «Sie hat ein Buch geschrieben und hat sich gewünscht, mit mir (das stimmt wirklich 😳) darüber zu reden», schreibt Hazel Brugger auf ihrem Instagram-Account.

Angela Merkel wird in Zürich lesen

Brugger scheint – anders als sonst – zu Beginn des Gespräches mit Merkel extrem nervös zu sein. Vielleicht hat es damit zu tun, dass es für die Komikerin die «krasseste Begegnung» überhaupt ist, wie sie später im Interview antönt.

Die Leichtigkeit, die Hazel Brugger sonst in ihren Gesprächen an den Tag legt – etwa mit den muskelgestählten Frauen und Männern auf einer Fitnessmesse in München –, geht ihr fast komplett ab.

Dazu musst du wissen: Das Video ist eine Produktion des Verlags Kiepenheuer & Witsch, also des Herausgebers von Merkels Memoiren. Es ist Werbung.

Nachdem Angel Merkel verraten hat, dass sie plant, mit ihrem Buch auf Lesereise zu gehen, wirft Hazel Brugger ein, dass sie die Deutsche dann gern auf der Bühne anmoderieren würde.

«Na ja, ich weiss nicht, ob Sie das nicht langweilen würde, wenn ich 55 Minuten lang rede, und Sie kommen nur am Anfang und Ende dazu», sagt Merkel trocken.

Antwort Brugger: «Das mache ich schon.»

Später verrät die Altkanzlerin, dass sie an allen Orten, die sie auf der Lesetour besucht, einen anderen Ausschnitt aus ihren Memoiren vorlesen will. In einem Nebensatz erwähnt sie zudem, dass sie vorhat, auch in Zürich aufzutreten.

Brugger zu Merkel: «Sie sind eine sehr fleissige Person»

Danach versucht die Komikerin weiter, Merkel Honig um den Mund zu schmieren: «Sie sind auf jeden Fall eine sehr fleissige Person und sehr pflichtbewusst. Das kommt in dem Buch auf eine nicht unangenehme Art und Weise heraus. Sie wirken jetzt nicht so wie eine Streberin auf mich.»

Vom «sehr gesunden und intrinsisch motivierten Wissensdrang» geht es nahtlos zu Merkels farbenfrohen Hosenanzügen weiter. Diese seien sicherlich auch eine Antwort auf die farblose Männerwelt gewesen, so Angel Merkel. Gleichzeitig habe sie verhindern wollen, dass die Menschen sich nur noch mit ihrer Kleidung beschäftigen, statt auf ihre Worte zu hören.

2008 reiste Angela Merkel zur Eröffnung der neuen Oper im norwegischen Oslo. Doch niemand sprach über Architektur oder die Musik von Richard Wagner. Für alle gab es nur ein Thema: das Decolleté der Bundeskanzlerin.
2008 reiste Angela Merkel zur Eröffnung der neuen Oper im norwegischen Oslo. Doch niemand sprach über Architektur oder die Musik von Richard Wagner. Für alle gab es nur ein Thema: das Decolleté der Bundeskanzlerin.
Bild: Keystone

Danach sprechen die beiden Frauen über die Eröffnung der Oper in Oslo, Norwegen, im Jahr 2008. Für die Presse gab es danach nur ein Thema: das Decolleté der Bundeskanzlerin.

«Was denken Sie», will Brugger von Merkel wissen, «was sagt diese Reaktion auf den feministischen Zustand von Deutschland im Jahr 2008 aus?»

«Nichts Gutes», antwortet Merkel. 

In der Politik ist es kein Vorteil, «eine Frau zu sein»

Im weiteren Verlauf des Interviews wird deutlich, Angela Merkel will ihr Zaudern am G20-Gipfel nicht vergessen machen, aber heute mehr Kante zeigen.

Auch, weil sie während ihrer Karriere als Politikerin immer wieder erlebt habe, dass es in der Politik nicht von Vorteil sei, «eine Frau zu sein». 

Merkel erwähnt in diesem Zusammenhang die Bundestagswahl 2005. Damals seien auch noch viele Frauen in Deutschland unsicher gewesen, ob eine Frau wirklich Bundeskanzlerin werden könne.

«Es passiert etwas ganz Schreckliches in unserem Land»

Angela Merkel lebt die ersten 35 Jahre ihres Lebens in der DDR, ist ein Kind ostdeutscher Prägung. Merkel zitiert aus einem Artikel, in dem ihre 35-jährige DDR-Vergangenheit als «Ballast» bezeichnet wurde. Das hat sie verletzt.

Hazel Brugger kommt aus der Schweiz, ist teilweise in den USA aufgewachsen und lebt seit acht Jahren in Deutschland. Früh im Leben ist ihr aufgefallen, wie viel Mühe die Menschen in Deutschland mit dem Begriff «Nationalstolz» haben, was natürlich auch viel mit der Geschichte des Landes zu tun hat.

Die Komikerin möchte von der Politikerin wissen, was nötig wäre, damit sich in Deutschland ein gesunder Nationalstolz entwickeln könnte.

«Die schönste Zeit zu diesem Thema hatten wir während der Fussballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland», sagt Angela Merkel. Damals sei eine gewisse Leichtigkeit im Land spürbar gewesen, was wahrscheinlich auch mit dem polyglotten Nationaltrainer Jürgen Klinsmann zu tun gehabt habe.

Danach will Hazel Brugger wissen, ob die Altkanzlerin die rechtsextreme AfD von Anfang an ernst genug genommen habe.

Antwort Merkel: «Die AfD hat etwas begonnen, was dem Nationalstolz entgegenwirkt, sie hat gesagt: Wir sind das Volk, also unsere Partei und unsere Anhänger. Gegen diese Aussage habe ich mich immer extrem gewehrt. Wenn eine Partei sagt, wer dazu gehört und wer nicht, also wer Elite ist und wer nicht, passiert etwas ganz Schreckliches in unserem Land.»

Später will Hazel Brugger einen konkreten Tipp, wie während der kommenden Weihnachtstage beim Familienessen mit Angehörigen umgegangen werden soll, die AfD wählen.

Es gebe sicher Menschen, die nur noch schwer abzuholen seien, weil sie nicht zuhören wollen, antwortet Angel Merkel ernst. «Dort, wo ein Gespräch noch möglich ist, sollten wir unbedingt miteinander reden.»

Angela Merkel: «Na sehen Sie, so bleibt es spannend»

Gegen Ende des Interviews findet Hazel Brugger doch noch zu ihrer liebenswürdigen Frechheit zurück, als sie zu Angela Merkel sagt: «Ich habe jetzt nach dem Lesen des Buches das Gefühl, ich weiss alles über Sie – ausser wer Sie sind.»

Merkel (lächelnd): «Na sehen Sie, so bleibt es spannend.»

Brugger: «Sie sind ja nicht bekannt dafür, dass Sie ihr Privatleben nach aussen kehren.»

Merkel: «Nein.»

Brugger: «Es gibt TV-Serien wie ‹Keeping Up with the Kardashians›, die würden beispielsweise sechs Staffeln lang über irgendetwas reden ...»

Merkel: «... aber das ist ja auch deren Lebenselixier.»


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