Trauer um Gino Mäder Mutter und Schwester bei Gredig: «Solange wir über ihn sprechen, stirbt er nicht»

Von Syl Battistuzzi

27.10.2023

Sandra Mäder (rechts) und Lisa Camenzind sprechen in der SRF-Sendung «Gredig direkt» über den Verlust ihres Sohnes und Bruders Gino Mäder.
Sandra Mäder (rechts) und Lisa Camenzind sprechen in der SRF-Sendung «Gredig direkt» über den Verlust ihres Sohnes und Bruders Gino Mäder.
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Bei «Gredig direkt» sind die Mutter und Schwester vom verstorbenen Radprofi Gino Mäder zu Gast. Sie reden über die grosse Lücke, welche sein Tod in der Familie hinterlässt. 

Von Syl Battistuzzi

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Gino Mäder stürzte Mitte Juni in der 5. Etappe der Tour de Suisse in der Abfahrt vom Albula zum Zielort La Punt bei hohem Tempo. Tags darauf erlag der 26-Jährige im Kantonsspital Chur seinen Verletzungen.
  • In der SRF-Sendung «Gredig direkt» gaben seine Mutter und seine Schwester einen Einblick in ihr Seelenleben. 

Gino Mäder wurde bei der diesjährigen Tour de Suisse nach schlimmen Sturz am Albulapass aus dem Leben gerissen. Seine Mutter Sandra Mäder und Schwester Lisa Camenzind sprechen in der SRF-Sendung «Gredig direkt» über die Auswirkungen des Schicksalsschlags auf die Familie.

Warum sie überhaupt bereit sind, über den Vorfall zu reden, will Moderator Urs Gredig als Erstes wissen: «Es ist für uns ein Teil des Prozesses, den wir verarbeiten. Es ist vielleicht auch für die Fans schön zu wissen, wie wir damit umgehen und wie die Fans auch uns mit einbeziehen, um den Prozess zu verarbeiten», erläutert die Mutter.

In welcher Phase sie in der Trauerarbeit stehen würden, kann Schwester Lisa Camenzind nicht pauschal beantworten. «Es ist sehr unterschiedlich. Es gibt solche, die haben mehr damit zu kämpfen. Es tut uns allen extrem weh», betont sie. Aber die individuellen Situationen der Familienmitglieder würden sich halt unterscheiden.

Irgendwelche Änderungen in der Familienstruktur kann die Mutter nicht ausmachen: «Wir funktionieren wie immer.» Man habe nie ein grosses Wort darüber verloren, wer was machen soll, so Sandra Mäder.

«Auch wenn wir nicht mehr zusammen wohnen, nicht mehr zusammen leben, wir wissen genau, wie der andere tickt», erklärt sie die Beziehung zu Andreas Mäder, dem Papa von Gino. Das Gleiche sei bei den anderen Kindern – neben Lisa gib es noch Jana und Laura – der Fall. 

Gino immer noch allgegenwärtig

Gino sei immer noch «extrem präsent», hält Schwester Lisa fest und betont: «Als er verstorben ist, wurde erst bewusst, wo er überhaupt stand in der Familie. Für mich war er einfach Gino, mein Bruder. Solange wir über ihn sprechen, stirbt er nicht. Darum sprechen wir so extrem viel darüber.»

Ob sie schon wieder positive Gefühle zulassen könne, will Gredig von Ginos Mutter wissen. «Ich kann nicht damit umgehen», gesteht sie. Natürlich gebe es Phasen, wo sie über banale Sachen wie Chili-Ess-Wettbewerbe schmunzeln könne. Aber sie sei halt ein sehr emotionaler Mensch.

«Ich bin noch keinen Schritt weiter. Ich bin noch nicht an dem Punkt, an dem ich sage, ‹der Tag ist jetzt einfacher für mich›. Wenn ich arbeiten kann, wenn ich viel Beschäftigung habe, dann geht es. Dann komme ich aber nach Hause – oder am Wochenende – und dann nimmt es mich wieder. Dann bin ich wieder ein Haufen Elend. Es gibt bessere Tage, es gibt schlechtere Tage – aber gute Tage, an denen ich wirklich sagen kann, es geht mir gut, die habe ich nicht», so die Mama mit brüchiger Stimme. 

Gino Mäder wird schmerzlich vermisst.
Gino Mäder wird schmerzlich vermisst.
KEYSTONE/URS FLUEELER

Die Anteilnahme im Fahrerfeld war riesig. Sandra Mäder arbeitete selbst als Kommissärin bei Swiss Cycling. «Es ist eine grosse Stütze. Speziell weil man das Gefühl bekommt, wie gerne sie Gino auch hatten. Und dass sie wirklich den Menschen Gino auch so gesehen haben, wie er wirklich war – ich finde das mega schön», betont die Mama. Sie kennt etwa Stefan Küng oder Stefan Bisegger von klein auf. 

«Hatte Angst um die Jungs»

«Manchmal habe ich auch fast ein bisschen Angst gehabt um die Jungs», sagt Sandra Mäder. «Hoffentlich passiert nichts, weil sie mit der Trauer fahren müssen oder blockiert sind in gewissen Situationen», beschreibt sie ihre damalige Gefühlswelt. 

Die Tour de Suisse wurde nach dem Unfalltod von Gino Mäder fortgesetzt. Die Organisatoren fällten den Entscheid nach Absprache mit der Familie.  Nicht alle fanden eine Wiederaufnahme passend. «Die Kritik war unglaublich. Egal was du machst, du machst es eh nie allen recht», findet Lisa Camenzind. «Gemeinsam hätten sie entschieden, dass sie niemanden einen Vorwurf machen wollen.»

Was genau am Albulapass passiert ist, ist unklar. Die Familie selbst will es auch nicht unbedingt wissen. «Die Untersuchungen sind abgeschlossen worden. Wir hätten das noch weiter machen können, aber wir haben gemeinsam entschieden, dass es nichts mehr an der Situation ändert», so die Schwester.



Auf die Nachfrage nach dem Grund für diese Haltung meint Lisa Camenzind: «Das Endergebnis ist das gleiche. ‹Was kann es für Gründe haben?› Er ist zu schnell gefahren, hatte einen Fahrfehler, es war etwas auf der Strasse. Das Endergebnis ist das gleiche.»

Ihre Mutter führt aus: «Es bringt uns Gino nicht zurück. Ich habe auch meine Vorstellungen, wie es passiert ist. Und die stimmen für mich.» Sandra Mäder gesteht: «Ich lebe vielleicht in dieser Traumwelt.»

«Für mich ist es so, der Gino muss es irgendwie aus dem Augenwinkel gesehen haben, dass ein Velo fliegt. Vielleicht hat er auch etwas gehört. Vielleicht ist ein Velo auf der Strasse gelegen. Das wissen wir zum Glück gar nicht.»

An dieser Stelle ereignete sich der tödliche Sturz von Gino Mäder.
An dieser Stelle ereignete sich der tödliche Sturz von Gino Mäder.
Keystone

«Dann fangen wieder Diskussionen an»

Das sei auch sehr wichtig für Magnus (Sheffield), der am gleichen Ort gestürzt war, erklärt die Mutter: «Damit er nicht das Gefühl haben muss, er sei mitschuldig an dieser Situation.»

Die Gefahren im Profi-Radsport lassen sich nicht vollständig eliminieren, findet die Mutter. Es könne immer und überall passieren, meint Sandra Mäder und nennt einen tödlichen Unfall in der Fläche bei der Polen-Rundfahrt 2019.

«Dort wurde nie darüber diskutiert, dass die Strecke falsch ist. An der Tour de France haben sie schon viele Massnahmen ergriffen. Das finde ich auch super, aber dass man irgendwelche Kurven mit Fangnetzen oder Polstern hat, die man an den Skirennen hat, ist gar nicht möglich. Und dann ist es ja ganz sicher am falschen Ort. Und dann fangen wieder Diskussionen an», gibt sie zu bedenken. 

«Ich glaube, der Sturz von Gino rüttelt die Fahrer auf, weil sie sich gesagt haben: ‹Es hätte auch mich treffen können›», führt die Mutter aus. Das sei schon viel, schliesslich müssen sie ja nicht immer noch mehr bieten, vielleicht auch für uns Zuschauer. Dann fahre man halt die Abfahrt vielleicht etwas gemässigter runter, damit man nicht immer mehr und mehr bieten muss, so Sandra Mäder. Für sie ist klar: «Sie bringen tagtäglich eine unglaubliche Leistung. Wenn er mit dem Ganzen noch etwas bewirken konnte, dann ist das sicher positiv für die Zukunft.»



Auf der Website ginomaeder.ch kann man in Gedenken an den verstorbenen Schweizer Radprofi für diverse karitative Organisationen spenden.