Einmal mehr ist Rafael Nadal nur durch eine Verletzung zu stoppen. Der eigene Körper ist für den 22-fachen Grand-Slam-Champion in seiner Karriere der wohl grösste und konstanteste Gegner.
38 Spiele hat Rafael Nadal in dieser Saison bestritten. Das Wimbledon-Halbfinale gegen Nick Kyrgios wäre Partie Nummer 39 gewesen. Der Konjunktiv verrät es: Es wird nicht zu dieser Partie kommen. Rafael Nadal muss für das Spiel wegen einer Bauchmuskelverletzung Forfait geben.
Durch die kampflose Niederlage stirbt auch Nadals Traum vom Grand Slam – dem Sieg aller vier Grand-Slam-Turniere im gleichen Kalenderjahr. In Melbourne und in Paris gewann der Spanier die bisherigen beiden Major-Turniere und auch in Wimbledon fehlten ihm bloss noch zwei Siege.
Überhaupt verlief die Saison für Nadal – zumindest auf die Resultate bezogen – wie am Schnürchen. Von seinen 38 Spielen hat Nadal nur drei verloren. Nach 20 Siegen zum Saisonstart verlor der Spanier im Finale von Indian Wells gegen Taylor Fritz. Nach der Partie spricht der Spanier von Atemproblemen und zwei Tage später wird bekannt: Er spielte mit einem Ermüdungsbruch in der Rippe – Nadal fällt in der Folge einen Monat aus.
Bei seiner Rückkehr auf die Tour erreicht Nadal in Madrid die Viertelfinals, wo er an seinem Landsmann Carlos Alcaraz scheitert. Im folgenden Turnier in Rom ist in der dritten Runde gegen Denis Shapovalov Schluss. Nadal klagt über starke Schmerzen im Fuss. Es ist das chronische Müller-Weiss-Syndrom, welches ihn diesmal stoppt.
Ebendiese Verletzung plagt Nadal auch bei seinem Lieblingsturnier in Roland Garros. Doch der 36-Jährige lässt sich diesmal nicht aufhalten, kämpft sich zu seinem 14. Triumph an den French Open. Nach dem Turnier erklärt er: «Ich habe mit einem betäubten Fuss gespielt, die Nerven wurden blockiert.» Einen Wimbledon-Start lässt er zu diesem Zeitpunkt noch offen.
Durch eine pulsierte Radiofrequenztherapie kriegt Nadal seine Fussprobleme mehr oder weniger in den Griff und kann in Wimbledon starten. Es reicht ihm bis ins Halbfinale, dann macht ihm eine andere Stelle des Körpers zu schaffen: Ein Riss im Bauchmuskel. Die Schmerzen sind so stark, dass sich Nadal im Viertelfinal gegen Taylor Fritz zwar zum Sieg quält, für das Halbfinale gegen Nick Kyrgios aber Forfait geben muss.
Damit wird der Ausnahmekönner einmal mehr in absoluter Bestform durch eine Verletzung ausgebremst – wie so oft in seiner zähen, und doch so erfolgreichen Laufbahn. Die körperlichen Probleme beginnen dabei schon in jungen Jahren.
Drei Anläufe für Roland Garros
Nachdem Nadal im Jahr 2002 auf der ATP-Tour Fuss fasst und sich in der Weltrangliste auf Position 200 vorarbeitet, darf der Spanier in der folgenden Saison regelmässig an Turnieren auf höchster Stufe antreten. Eine erstmalige Teilnahme bei Roland Garros wird ihm aber verunmöglicht – durch eine im Training eingefangene Ellbogenverletzung.
Ein Jahr später – Nadal hatte unterdessen bereits ein erstes Mal Roger Federer bezwungen – will sich der Spanier beim Sandplatzturnier in Estoril für Roland Garros in Form spielen. Das Vorbereitungsturnier geht für das aufstrebende Talent wegen einer Stressfraktur im Mittelfussknochen aber abrupt zu Ende. Nadal muss drei komplette Monate pausieren und verpasst nicht nur die French Open, sondern auch Wimbledon.
2005 schafft Nadal endgültig den Durchbruch und brilliert als 19-Jähriger mit 11 Turniersiegen in nur einem Jahr. Bei seiner ersten French-Open-Teilnahme marschiert er sensationell zum Titel. Dank 16 Siegen und 3 gewonnen Turnieren in Folge stösst er im Spätsommer bereits auf Position 2 der Weltrangliste vor – bis er im Oktober erneut ausgebremst wird. Mit einer Fussverletzung muss er erst für den Masters Cup in Schanghai zum Saisonabschluss, dann auch für den Saisonstart bei den Australian Open Forfait geben.
Ein ständiger Begleiter
Das Comeback gelingt eindrücklich. Im Frühling 2006 reiht Nadal 26 Siege aneinander und ist insbesondere auf Sand nicht zu bezwingen. Beim Wimbledon-Vorbereitungsturnier im Queens Club wird der Lauf dann unsanft gestoppt. Mit einer Schulterverletzung muss Nadal seinen Viertelfinal gegen Lleyton Hewitt aufgeben. Immerhin ist die Blessur diesmal nicht allzu dramatisch, kurz darauf stösst Nadal in Wimbledon bis in den Final vor, wo er Roger Federer unterliegt.
Auch im Jahr 2007 verschont die Verletzungshexe den Stier aus Manacor nicht. Nach geschafftem Titel-Hattrick bei den French Open spielt er sich auch in Wimbledon wieder ins Endspiel, fängt sich dort aber nicht nur eine weitere Pleite gegen Federer, sondern auch die nächste Knieverletzung ein. Diese beeinträchtigt den Spanier während der gesamten zweiten Saisonhälfte und ist mitentscheidend, wieso Nadal bis zum Saisonende keinen grossen Titel mehr einfährt.
Im folgenden Jahr reiht sich Erfolg an Erfolg. In Roland Garros und erstmals auch in Wimbledon triumphiert der Spanier – im August löst er Federer nach 237 Wochen von der Weltranglistenspitze. Die herausragende Saison nimmt aber ein unschönes Ende. Beim Masters in Paris Ende Oktober muss Nadal den Viertelfinal gegen Davydenko nach verlorenem Startsatz aufgeben und alle weiteren Turniere des Jahres absagen. Aufs Neue macht das Knie Probleme.
Verunmöglichte Titelverteidigungen
Kurz nach seiner ersten Niederlage bei den French Open überhaupt muss Nadal einen nächsten Rückschlag verkraften. Wegen einer Sehnenentzündung in beiden Knien kann er die Titelverteidigung in Wimbledon 2009 gar nicht erst in Angriff nehmen – gleichbedeutend mit dem Verlust der Weltranglistenposition 1. Wenig später verunmöglicht der eigene Körper auch die Mission Titelverteidigung in Australien. Das Viertelfinal-Duell mit Murray muss Nadal mit einer Knieverletzung vorzeitig aufgeben, diese zwingt ihn zu einer rund einmonatigen Zwangspause.
Zum Ende der Saison 2010 muss Nadal für das Masters in Paris Forfait erklären und wird auch zum Auftakt des neuen Jahres nicht von Blessuren verschont. Im Australian-Open-Viertelfinal fängt er sich im Startsatz eine Oberschenkelzerrung ein und muss sich Landsmann David Ferrer anschliessend klar geschlagen geben. Zudem plagt sich Nadal in dieser Phase mit Adduktorenproblemen herum.
Eine nächste Hiobsbotschaft erhält der Spanier im März 2012 in Miami, wo er nicht zum Halbfinal gegen Murray antreten kann. Grund dafür ist eine Sehnenentzündung im Knie, Folge davon eine Zwangspause bis Mitte April. Damit aber nicht genug. Kurz später erleidet Nadal eine weitere Verletzung am Knie, die ihn für die Olympischen Spiele in London, die US Open in New York sowie die restliche Saison ausser Gefecht setzt. Erst nach 222 Tagen kehrt Nadal im Februar 2013 auf den Platz zurück – und wie. Zehn Titel sahnt er bis zum Saisonende ab, darunter auch die French und die US Open.
Eine schier endlose Liste
Nadal konserviert seine Topform und stösst zum Jahresauftakt 2014 ins Australian-Open-Finale vor, wird da gegen Stan Wawrinka aber von einer Rückenverletzung arg eingeschränkt und verliert. Und nach einer überraschenden Pleite in Wimbledon gegen Kyrgios verschwindet der Spanier erneut lange von der Bildfläche. Erst setzt ihn eine Handgelenksverletzung für Toronto, Cincinnati und die US Open – wo er überall den Titel zu verteidigen hätte – ausser Gefecht. Kurz nach dem Comeback wird er von einer Blinddarmentzündung geschwächt, worauf er sich im November einer Operation unterziehen und vorzeitig in die Ferien verabschieden muss.
Nach einer längeren Phase ohne schwerwiegende Probleme erlebt die Kämpfernatur bei den French Open 2016 Altbekanntes. Wegen einer Handgelenksverletzung kann er gar nicht zu seiner Drittrundenpartie antreten, auch Wimbledon geht ohne Nadal über die Bühne. Bei Olympia kurz darauf holt er zwar Bronze im Doppel, bezahlt die Teilnahme aber teuer und kann ab da nicht mehr schmerzfrei spielen. Nach dem Achtelfinal-Aus bei den US Open ist Nadals Saison wegen gesundheitlicher Probleme vorzeitig beendet.
Die beeindruckende Comeback-Saison 2017 mit zwei Grand-Slam-Titeln kann Nadal ebenfalls nicht wie erhofft beenden. Wiederkehrende Probleme im Knie machen ihm zu schaffen, nach einem Viertelfinal-Forfait beim Masters in Paris sind auch die ATP-Finals nach nur einer Partie beendet. Nicht besser verlaufen die Australian Open unmittelbar nach der Saisonpause, im Viertelfinal gibt Nadal gegen Cilic im 5. Satz auf. Rund neun Monate später taucht bei den US Open 2018 eine Knieverletzung auf. Nach einem 0:2-Satzrückstand gegen Del Potro kann Nadal seinen Halbfinal nicht zu Ende spielen und beendet die Saison einmal mehr vorzeitig.
Die Rückkehr des Königs
2019 erwischt es Nadal beim Laver Cup. Eine Handverletzung verhindert ein Doppel an der Seite von Federer, danach folgen Absagen für weitere Turniere. Nach verhaltenem Start ins Jahr 2020 sorgt schliesslich die Corona-Pandemie für die fast schon obligatorische Zwangspause.
In der Saison 2021 folgt der Rückschlag nach der French-Open-Teilnahme. Wegen körperlicher Erschöpfung bläst Nadal Wimbledon und die Olympischen Spiele ab. Beim Comeback-Versuch in Washington im August werden die länger anhaltenden Fussprobleme zum grossen Spielverderber. «Ehrlicherweise leide ich seit einem Jahr mehr als ich sollte unter meinem Fuss, ich muss mir eine Auszeit nehmen», erklärt Nadal und beendet seine Saison.
Dieses Jahr verblüfft Nadal dann wieder die gesamte Sportwelt. Triumph bei den Australian Open, Titel in Acapulco und dank 20 Siegen en suite im Final von Cincinnati – bis die verlässliche Verletzungshexe einmal mehr gnadenlos zuschlägt. Nadal kämpft sich einmal mehr zurück, quält sich zum Titel am French Open und ins Halbfinale von Wimbledon. Dann sind die Schmerzen aber zu gross. Eine Frage bleibt: Was hätte Rafael Nadal ohne die Verletzungen als ständiger Begleiter wohl erreicht?