Fabienne Kocher sorgte in Tokio für den ersten Schweizer Diplomrang seit Einführung des Frauenjudos bei Olympia (1992). Nach einem famosen Halbfinal-Vorstoss blieb der 28-jährigen Zürcherin die Karriere-Krönung aber verwehrt – und am Ende nur die Tränen.
Im Kampf um eine der beiden Bronzemedaillen musste sie sich zum Abschluss der Britin Chelsie Giles beugen, gegen die Kocher an der WM im Vormonat in Budapest noch triumphiert hatte. «Giles hatte mich wohl effizient analysiert und agierte sehr konterstark», so Kocher, die letztlich Fünfte wurde.
Dazu habe die Britin ihre langen Beine effizient eingesetzt. Als Kocher in Zugzwang mit Waza-Ari-Rückstand im Finish noch mehr Risiken einging, schlitterte sie in die vorzeitige Niederlage. Doch ansonsten verblüffte Kocher mit einem insgesamt starken Auftritt, auch wenn sie im Halbfinal gegen die nachmalige Zweite Amandine Buchard schon nach 16 Sekunden als Verliererin feststand.
Kocher konnte aber in den ersten drei Kämpfen ihre angestrebte Linie durchziehen und zum Auftakt erstmals überhaupt auch die spanische WM-Zweite Ana Perez Box bezwingen, gegen die sie im WM-Halbfinal in Budapest noch den Kürzeren gezogen hatte.
Wirbel um zu wenig Stoff
Zudem liess sich Kocher durch ein Bekleidungs-Malheur am Wettkampftag in Tokio nicht aus der Ruhe bringen. Bei ihrem Kimono war in der Vorwettkampf-Kontrolle im Brustbereich zu wenig Stoff beanstandet worden. «Wahrscheinlich war er durch das Waschen etwas eingegangen», so Kocher. Auf jeden Fall wird dies vom Weltverband jeweils dadurch geahndet, dass der Judoka dann einen vom Weltverband zur Verfügung gestellten Anzug tragen muss und der Coach, in diesem Fall Nationaltrainer Alexej Budolin, beim Einlauf und während dem Kampf nicht mehr von der Coaching-Zone den Athleten betreuen darf.
Allerdings erwies sich dies nun nicht als Nachteil. Denn wegen der Corona-Bestimmungen mit dem Zuschauer-Verbot war die Tribüne dünn besetzt. Und Budolin war es von dort aus erlaubt, jederzeit seine durchaus gut hörbare Stimme einzusetzen. Neben dem Tatami wären Coach-Anweisungen jeweils nur bei Unterbrüchen erlaubt gewesen.
Aus der Ferne verfolgte auch Sergei Aschwanden den insgesamt erfreulichen Auftritt von Kocher. Der Urner mit kenianischen Wurzeln, der 2008 in Peking mit Olympia-Bronze die letzte Schweizer Medaille im Judo holte und seit gut einem Jahr Verbandspräsident ist, sagte gegenüber «blue Sport»: «Auf diesem Diplom lässt sich aufbauen. Jeder hätte vor dem Wettkampf für einen 5. Rang von Fabienne unterschrieben. Doch natürlich zählen in erster Linie Medaillen. Daher ist es schade, denn die Britin wäre auf jeden Fall wie an der WM in Fabiennes Reichweite gewesen.»
Aschwanden glaubt auch an Stump
Aschwanden glaubt, dass sich auch der EM-Dritte Nils Stump (73 kg) am Montag eine Medaillenchance erkämpfen könnte. Unabhängig von Stumps Abschneiden steht fest, dass Nationaltrainer Alexej Budolin bis 2024 Nationaltrainer bleiben soll. «Er hat einen unbefristeten Vertrag und wir sind zufrieden mit seiner Arbeit.» Auch für Kocher steht bereits fest, dass sie die drei Jahre bis Paris weitermachen will. «Ich habe nun ein solch gutes Level erreicht, dass ein Aufhören keinen Sinn für mich machen würde.»
Aschwanden will derweil bei swissjudo mit dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen für die Nationalkader-Angehörigen nochmals nachgebessert werden. Damit mit drei bis fünf angestrebten Startern 2024 in Paris das Ziel eines Medaillengewinns realisiert werden kann.
So wird per Ende Jahr in Magglingen ein Olympia-Zentrum für Judo eröffnet und die Zusammenarbeit mit der Armee (Stichwort ZeitsoldatInnen) intensiviert. Die Athleten werden dann in Magglingen leben und trainieren können - Kost und Logis inbegriffen. Unabhängig davon wird indes beispielsweise der Leistungsstützpunkt Brugg (vorab bis Stufe U23) beibehalten, wo auch Kocher sich ihren Olympia-Schliff holte.
Evelyne Tschopp, die als ebenfalls qualifizierte Ersatzkämpferin mit nach Tokio gereist war, befand sich am Einsatztag von Kocher übrigens nicht mehr vor Ort. Die Baselbieterin bescheinigte gegenüber «blue Sport» indes unter anderem ihrer internen Konkurrentin Kocher eine «konsequente» Kampfführung, die diese bis in den Olympia-Halbfinal geführt hätte.