Bei ihrer Zieleinfahrt im Strassenrennen der Frauen in Tokio jubelt die Niederländerin Annemiek van Vleuten über den vermeintlichen Olympiasieg. Die Ernüchterung folgt umgehend.
Kuriose Szenen ereignen sich am Sonntag beim Strassenrennen der Frauen. Annemiek van Vleuten fährt 75 Sekunden nach der überraschenden Siegerin Anna Kiesenhofer als Zweite ins Ziel, richtet sich auf und reisst die Arme in die Luft – weil sie denkt, sie habe das Rennen gewonnen. Das gesteht die 38-Jährige im Nachhinein im Interview mit SRF: «Ich habe mich wirklich dumm gefühlt». Sie habe gedacht, man habe die Österreicherin auf den letzten zehn Kilometer eingeholt. «Das letzte, was ich hörte war, dass sie nur 45 Sekunden Vorsprung hatte», so van Vleuten, die im Zielraum von ihren Betreuern aufgeklärt wird.
In der TV-Übertragung ist van Vleuten im Zielraum im Gespräch mit Betreuer Ruud Zijlmans zu hören. «Oh Ruud, ich habe mich völlig geirrt. Ich habe es überhaupt nicht gemerkt», sagt van Vleuten – und ist damit nicht alleine. Auch Landsfrau Anna van der Breggen gibt später an: «Ich wusste nicht, dass noch eine andere Fahrerin vorn ist. Wir haben die anderen Frauen eingeholt und dachten, dass wir um den Sieg mitfahren, aber am Ende war es nicht so. Das ist schade.»
Siegern Kiesenhofer war nach wenigen Kilometer zusammen mit Anna Pflichta und Omar Shapira ausgebrochen, das Trio hatte phasenweise über zehn Minuten Vorsprung. Gut 40 Kilometer vor dem Ziel liess die 30-Jährige ihre Fluchtgefährtinnen aber stehen. Als die Spitzenfahrerinnen im Feld dann Pflichta und Shapira wenige Kilometer vor dem Ziel einholten, gingen viele davon aus, alle Ausreisserinnen gestellt zu haben – darunter auch die Britin Lizzie Deignan oder die Schweizerin Marlen Reusser. Deignan sagte nach Rennschluss bei BBC: «Die Beste hat gewonnen. Annemiek war heute am stärksten.»
Kein Funk erlaubt
Grund für die Verwirrung dürfte auch sein, dass im olympischen Strassenrennen kein Funk erlaubt ist – anders als auf der Profi-Tour. Zeitabstände oder die Grösse der einzelnen Fahrerinnen-Gruppen können so nicht ständig von den Teamchefs kommuniziert werden. Zum Ende des Rennens in Tokio sollen zudem die Hinweisschilder der Begleitfahrzeuge gefehlt haben. «Das heute hat mir gezeigt, dass wir mit Funk fahren sollten. Die Leute denken, dass es so aufregender ist. Ich sage, es ist einfach verwirrender.»
Kiesenhofer dagegen wurde für ihren grossen Mut belohnt und jubelt als Amateurin, die keinen Vertrag bei einem Profi-Team inne hat, über den sensationellen Sieg. Und van Vleuten, die ihre letzte Saison auf höchstem Niveau absolviert, konnte sich mit ein wenig Verspätung auch über die Silbermedaille freuen. «Ich bin stolz darauf, wie ich heute gefahren bin. Das ist immerhin meine erste olympische Medaille.»