Verzweifelter Hilferuf Belarussische Athletin sollte in Tokio entführt werden

DPA / jar

2.8.2021

Die belarussische Olympia-Läuferin Kristina Timanowskaja kritisiert die Sportfunktionäre ihres Landes – und wird kurz darauf an den Flughafen von Tokio gebracht. Die Opposition ist überzeugt: Die autoritären belarussischen Behörden wollten Timanowskaja kidnappen.

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Aufregung um eine belarussische Athletin bei den Olympischen Spielen: Kristina Timanowskaja sollte nach Einschätzung der Opposition von den autoritären Behörden ihres Landes aus Tokio entführt werden. Nachdem sie öffentlich Kritik an belarussischen Sportfunktionären geäussert habe, sollte sie gegen ihren Willen aus Japan ausgeflogen werden, sagte die 24-Jährige in einem Video, das die oppositionelle belarussische Athletenvertretung Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF) am Sonntag veröffentlichte. Die BSSF sprach von einer versuchten «gewaltsamen» Ausreise.

Wie Bilder und Berichte unabhängiger belarussischer Medien zeigen, war sie bereits an den Flughafen von Tokio gebracht worden. Dort versammelten sich am Abend zahlreiche Journalisten. Später sagte Timanowskaja der BSSF, sie stehe mittlerweile unter dem Schutz der japanischen Polizei, an die sie sich am Flughafen gewandt habe: «Ich bin jetzt in Sicherheit.» Es werde nun nach einem Schlafplatz für die Nacht gesucht, erklärte die junge Frau, die bislang im olympischen Dorf untergebracht gewesen war.

«Sie sagten, ich müsse nach Hause fliegen»

Das Belarussische Olympische Komitee (NOK) hatte zuvor auf Telegram erklärt, die Athletin sei von einem Arzt untersucht worden und werde wegen ihrer «emotional-psychischen Verfassung» nicht an weiteren Wettkämpfen teilnehmen. Timanowskaja bezeichnete das auf Instagram als «Lüge». Dem Radiosender Euroradio sagte sie in einem Interview: «Sie haben mir einfach gesagt, meine Sachen zu packen und nach Hause zu fliegen.»

Medien berichteten, die Sportlerin werde vor Ort bereits von einem Anwalt beraten, der auf Flüchtlingsrecht spezialisiert sei. Nach BSSF-Angaben will Timanowskaja in Europa Asyl beantragen. Tschechiens Aussenminister Jakub Kulhanek erklärte am Abend auf Twitter, sein Land biete Timanowskaja ein Visum an, «damit sie bei uns internationalen Schutz erhalten kann». Auch die tschechische Botschaft in Tokio sei bereit zu helfen. «Die Situation um die Sprinterin Kristina Timanowskaja finde ich skandalös», schrieb Kulhanek.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) teilte am Sonntagabend mit, mit Timanowskaja gesprochen zu haben. Sie sei bei den Behörden am Flughafen. «Sie hat uns gesagt, dass sie sich sicher fühlt», schrieb das IOC bei Twitter. Das IOC und Tokios Organisationskomitee würden die Gespräche mit der Athletin fortführen, hiess es.

Zuvor hatte das IOC mitgeteilt, es beobachte den Fall und habe das NOK um Aufklärung gebeten. Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja begrüsste die schnelle IOC-Reaktion. «Es ist wichtig, die Verletzungen von Rechten der Athleten durch das NOK zu untersuchen», schrieb sie auf Twitter.

Timanowskaja äusserte Kritik über Sportfunktionäre ihres Landes

Die Läuferin hätte am Montag im Vorlauf über 200 Meter antreten sollen. Sie hatte sich zuvor kritisch über Sportfunktionäre ihres Landes geäussert. Die Sportlerin vermutete, dass andere belarussische Athleten nicht antreten könnten, weil für sie nicht genügend negative Doping-Proben eingereicht worden seien.

Der belarussische Machtapparat von Alexander Lukaschenko geht immer wieder hart gegen Kritiker und Andersdenkende vor. Zuletzt hatte es Razzien gegen unabhängige Medien und Nichtregierungsorganisationen gegeben, bei denen mehrere Menschen festgenommen wurden. Die EU erkennt den immer wieder als «letzten Diktator Europas» kritisierten Lukaschenko seit der weithin als gefälscht geltenden Präsidentenwahl vor rund einem Jahr nicht mehr als Staatsoberhaupt an. Bei Protesten in den Monaten nach der Wahl gab es mehrere Tote, Hunderte Verletzte und Tausende Festnahmen.