Kommentar Weiter so, Herr Petkovic!

Von Jan Arnet

19.11.2019

Vladimir Petkovic führt die Nationalmannschaft erneut an einen Grossanlass.
Vladimir Petkovic führt die Nationalmannschaft erneut an einen Grossanlass.
Bild: Keystone

Die grossen Zeitungen des Landes fordern schon länger einen neuen Nati-Trainer. Spätestens im Sommer soll Vladimir Petkovic abgelöst werden. Dabei hat er die Schweiz gerade zum dritten Mal in Folge zu einem grossen Turnier geführt. Das verdient mehr Respekt.

Vladimir Petkovic ist der erfolgreichste Nati-Trainer der Geschichte. Er weist in seiner Amtszeit einen Punkteschnitt von 1,89 auf – keiner seiner Vorgänger holte im Schnitt mehr Punkte pro Partie. Und der 56-Jährige hat mit der Schweiz Historisches geschafft: Nie zuvor konnte sich die Nati viermal in Folge für ein grosses Turnier qualifizieren – auch wenn ein Scheitern in dieser EM-Quali-Gruppe zugegebenermassen eine Blamage gewesen wäre.

Zwar blieb der Schweiz an der EM in Frankreich und an der WM in Russland der erträumte Exploit verwehrt, doch unter Petkovic konnte die Nati zumindest in der Weltrangliste mit den weltbesten Nationen mithalten: Im Sommer 2017 – drei Jahre nach Petkovics Amtsantritt – stand die Schweiz in der FIFA-Weltrangliste auf Platz vier. Aktuell hat sie Rang 13 inne, steht vor Italien und Deutschland.



Der Nachfolger von Ottmar Hitzfeld hat in seinen bislang fünf Jahren als Nati-Trainer viel geleistet. Er hat der Nati eine neue Spielphilosophie eingeimpft, die Schweizer spielen dominant, wollen Ballbesitz. Zudem hat Petkovic nach der WM 2018 einen Umbruch vollzogen, ältere Spieler wie Behrami, Dzemaili, Fernandes und Djourou aussortiert und junge Talente integriert. Im aktuellen Nati-Kader sind nur Lichtsteiner und Sommer älter als 29. Und trotz der vielen Unruhen rund um die Nati in den vergangenen anderthalb Jahren hat Petkovic die Nati erneut mehr oder weniger souverän an eine Endrunde geführt.

Die Lobeshymnen müssten ihm gewiss sein – eigentlich. Aber das Gegenteil ist der Fall. Noch immer kämpft der in Bosnien geborene Petkovic um Anerkennung im Land, in dem er seit 1986 lebt. Renommierte Schweizer Zeitungen überhäufen den Coach mit Kritik und fordern, dass sein Vertrag, der sich nach der erfolgreichen EM-Qualifikation bis Sommer 2020 ausgedehnt hat, nicht verlängert wird.


Ein paar Beispiele:

«Länger als nach der EM-Endrunde 2020 macht eine Zusammenarbeit mit Trainer Vladimir Petkovic keinen Sinn. (...) Man braucht einen Aufbruch, man wünscht sich frischen Wind. Einen neuen Kopf und eine neue Identifikationsfigur an der Spitze dieser Mannschaft.» – «Blick».

«Die Frage um den Nationaltrainer ab Sommer 2020 böte die Gelegenheit, an der exponiertesten Stelle ein Signal zum Aufbruch zu senden. Die Frage ist, ob der SFV die Chance diesmal erkennt.» – «NZZ».

«Petkovic ist wehleidig. (...) Eine Million Franken erhält er vom Verband pro Jahr. Es ist ein stolzes Salär für einen Trainer, der in zwölf Monaten im Durchschnitt elf, vielleicht zwölf Einsätze hat. Für einen Trainer, der in der Kommunikation gröbere Defizite aufweist und in dieser Beziehung nicht eben viel zur positiven Aussendarstellung der Nationalmannschaft beiträgt.» – «Tages-Anzeiger».

Keiner dieser Artikel ist älter als fünf Wochen.


Petkovic wird vorgeworfen, schlecht zu kommunizieren und sich zu mächtig zu fühlen. Der Sympathiebonus, den etwa Ottmar Hitzfeld und Köbi Kuhn hatten, fehle. Da muss man sich die Frage stellen: Was will der Schweizer Fussball-Fan überhaupt? Will er einen Schmusebären ohne Ecken und Kanten, der sich aus Diskussionen, die über die Kaderzusammenstellung hinausgehen, raushält? Klar ist: Bessere Erfolgschancen hätte solch ein Trainer nicht. 

Die Erwartungen werden immer grösser

Köbi Kuhn übernahm die Nati nach der gescheiterten WM-Qualifikation im Herbst 2001. Er führte die Schweiz zur EM 2004, wo nach der Gruppenphase Schluss war, und zur WM 2006, wo man im Achtelfinal an der Ukraine scheiterte. Als Gastgeber der EM 2008 musste sich die Schweiz für Kuhns dritte Endrunde nicht qualifizieren – wieder war schon nach den Gruppenspielen Schluss. 

Hitzfeld entfachte an der WM 2014, wo die Schweiz den Viertelfinal nur knapp verpasste, grosse Euphorie. Aber zuvor war diese Ära auch nicht von herausragenden Erfolgen geprägt: Gruppen-Aus an der WM 2010, für die EM 2012 konnte sich die Nati gar nicht erst qualifizieren. Und dann war da noch diese Blamage gegen Luxemburg ...

Seit Petkovics Ankunft sind die Erwartungen in der Schweiz immer mehr gestiegen – das ist absolut positiv und auch dem Trainer zu verdanken. Er führte die Mannschaft mittlerweile an drei Endrunden und sowohl in Frankreich als auch in Russland in die K.o.-Phase. Das Überstehen der Gruppenphase versteht sich hierzulande mittlerweile als Pflichtaufgabe – auch an der bevorstehenden EM 2020. Dass allein eine Achtelfinal-Qualifikation für ein kleines Land wie die Schweiz noch immer als Erfolg gesehen werden muss, scheinen viele Journalisten, Experten und auch Fans vergessen zu haben. 

Mannschaft steht hinter Petkovic

Gewiss: Das Achtelfinal-Aus gegen die Schweden an der WM 2018 war eine riesige Enttäuschung. Den Trainer deswegen – bald anderthalb Jahre danach – aber immer noch zu kritisieren, ist falsch. Zumal seine Mannschaft in der Folge gezeigt hat, dass sie in Russland zu mehr fähig gewesen wäre. Nur wenige Monate danach feierte die Schweiz gegen den WM-Halbfinalisten Belgien einen 5:2-Sieg und qualifizierte sich fürs Finalturnier der Nations League.

Ohnehin müssten die Spieler doch eigentlich am besten wissen, welcher Trainer für die Nati am besten ist. Zwar gab es in der Vergangenheit Probleme mit Spielern wie Xherdan Shaqiri oder Valon Behrami, doch Petkovic geniesst in der Nati grossen Respekt.

«Er ist ein super Trainer, der innerhalb der Mannschaft gut ankommt und beliebt ist», sagte Granit Xhaka im Oktober. «Wir haben uns individuell sowie als Mannschaft weiterentwickelt und alle wünschen uns eine positive Zukunft mit ihm.» Captain Stephan Lichtsteiner, der einige Male nicht im Kader stand, meinte nach dem Irland-Spiel vor wenigen Wochen: «Sein Vertrag sollte verlängert werden.»

Auch mit Shaqiri wurden die Wogen geglättet und selbst Valon Behrami, der nach seinem Nati-Rücktritt sagte, er sei vom Trainer «menschlich enttäuscht», musste gestehen: «Petkovic ist ein grosser Trainer, diese Meinung werde ich nie ändern.»

Junge Spieler wurden integriert

Apropos Behrami: Der Entscheid, den Routinier für die Nations-League-Spiele nicht aufzubieten, was den Spieler schliesslich zum Rücktritt bewegte, erwies sich als goldrichtig. Der überragende Mann bei der Nati in der EM-Quali war ausgerechnet Denis Zakaria, vor Behramis Abgang einer seiner Stammplatz-Konkurrenten im zentralen Mittelfeld. Der 22-Jährige spielt auch im Klub gross auf, führt mit Gladbach, wo er Stammspieler ist, sensationell die Bundesliga an. Der zwölf Jahre ältere Behrami – zweifellos ein verdienter Spieler, der für die Nati viel geleistet hat – hat seinen Vertrag beim FC Sion nach nur fünf Spielen wieder aufgelöst und steht aktuell ohne Verein da. Fraglich, ob Behrami aktuell überhaupt eine Chance hätte, es in ein Nati-Aufgebot zu schaffen.

Petkovic hat also alles richtig gemacht. Er gab jungen Spielern eine Chance. Kevin Mbabu (24), Djibril Sow (22) und Albian Ajeti (22) gaben allesamt erst nach der WM 2018 ihre Nati-Debüts und haben sich mittlerweile komplett in die Mannschaft integriert. Die Aufgebote von Christian Fassnacht, Eray Cömert, Cedric Itten und Ruben Vargas (mittlerweile in Augsburg) zeigen zudem, dass Petkovic ein Auge auf die Super League hat.

Am Ende des Tages wird wohl das Abschneiden an der EM darüber entscheiden, ob Vladimir Petkovic die Nati auch nach dem Sommer 2020 coachen wird oder nicht. Bis dahin sollte man dem Trainer das nötige Vertrauen entgegenbringen und ihn seine Arbeit machen lassen, denn die war bis jetzt alles andere als schlecht. Weiter so, Herr Petkovic!



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