Reaktionen auf Bundesgerichtsurteil «Frauen bleiben um ein Jahr Rente betrogen»

Lea Oetiker

12.12.2024

Protest von Frauen vor dem Bundesgericht in Lausanne.
Protest von Frauen vor dem Bundesgericht in Lausanne.
sda

Das Bundesgericht in Lausanne hat entschieden: Die Abstimmung über die AHV-Reform wird nicht wiederholt. Das sind die Reaktionen auf den Entscheid.

Lea Oetiker

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Heute hat das Bundesgericht in Lausanne entschieden, dass die Abstimmung über die AHV-Reform nicht wiederholt werden muss.
  • Das Bundesgericht hat die Beschwerden der Grünen und der SP-Frauen gegen die AHV-Abstimmung von 2022 einstimmig abgewiesen.
  • Das sind die Reaktionen darauf.

Der Urnengang zur Erhöhung des Frauenrentenalters muss nicht wiederholt werden. Das Bundesgericht hat die Beschwerden der Grünen und der SP-Frauen gegen die AHV-Abstimmung von 2022 einstimmig abgewiesen. Die Abstimmung ist somit nicht annulliert.

Ab nächstem Jahr soll das Rentenalter der Frauen schrittweise von 64 auf 65 Jahre steigen. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich.

SVP-Nationalrätin Barbara Steinmann findet den Entscheid «sehr vernünftig»

SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann findet den Bundesgerichtsentscheid zur Beschwerde gegen die Erhöhung des Frauenrentenalters «sehr vernünftig». Es wäre rechtsstaatlich bedenklich, wenn die Abstimmung aufgrund von Prognosen wiederholt worden wäre, sagte die Zürcherin auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Barbara Steinemann von der SVP ist froh über diese Entscheidung.
Barbara Steinemann von der SVP ist froh über diese Entscheidung.
KEYSTONE

Viele andere Volksabstimmungen hätten demnach auch wiederholt werden müssen. Etwa aufgrund von Zuwanderungszahlen oder dem angeblichen Sicherheitsgewinn durch den Schengen-Beitritt, schrieb die Politikerin auf X.

Wäre die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt worden, hätte auch die Abstimmung zur 13. AHV wiederholt werden müssen, da die Ausgangslage anders gewesen wäre, wenn Frauen nur bis 64 arbeiten müssten, so Steinemann.

Gewerkschaftsbund: «Frauen bleiben um ein Jahr Rente betrogen»

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund hat sich nach der einstimmigen Abweisung der Beschwerden gegen die AHV-Abstimmung von 2022 enttäuscht gezeigt. «Frauen bleiben um ein Jahr Rente betrogen», hiess es in einer Mitteilung.

Dies, obwohl die Mehrheit der Frauen klar gegen die Reform gewesen sei, teilte der Schweizerische Gewerkschaftbund (SGB) am Donnerstag weiter mit. Die Bundesrichterinnen und Bundesrichter gewichteten die Rechtssicherheit höher als die ungenügende Rentensituation der Frauen. «Obwohl Frauen tiefere Renten haben, wurde mit der Rentenaltererhöhung einseitig auf ihrem Rücken gespart.»

Die fehlerhaften Finanzszenarien hätten den Abstimmungskampf zur Erhöhung des Frauenrentenalters massgeblich geprägt. Der SGB sei weiterhin davon überzeugt, dass der Meinungsbildungsprozess ohne die Berechnungsfehler anders verlaufen wäre. Nach dem heutigen Urteil bleibe die Politik erst recht in der Verantwortung, endlich etwas gegen die grosse Rentenlücke der Frauen zu unternehmen, hiess es weiter.

Unia von «mutlosem» Bundesgericht enttäuscht

Die Gewerkschaft Unia ist vom «mutlosen» Entscheid des Bundesgerichts enttäuscht. Diese Entscheidung sei ein schwerer Schlag für die Frauen in der Schweiz, hiess es in einer Medienmitteilung.

Frauen würden um ein ganzes Jahr Rente betrogen, in einem System, das sie ohnehin schon benachteiligt, sagte Unia-Präsidentin Vania Alleva in der Mitteilung vom Donnerstag. Es bedürfe Lösungen, welche die Frauenrenten substanziell verbessern.

Die Unia fordert von der Politik nun konkrete Massnahmen wie «gerechtere Löhne für Frauen, Anerkennung unbezahlter Sorgearbeit im Sozialversicherungssystem und die Schliessung der grossen Rentenlücke».

SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer: «Wir sind enttäuscht, wir sind traurig, wir wütend - zu Recht»

SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer hat sich nach der Ablehnung der Beschwerde gegen die AHV-Abstimmung durch das Bundesgericht enttäuscht und zugleich kämpferisch gezeigt. «Wir sind enttäuscht, wir sind traurig, wir wütend - zu Recht», sagte sie nach dem Entscheid vor dem Bundesgerichtsgebäude in Lausanne vor zahlreichen Medienschaffenden.

Mattea Meyer ist enttäuscht über den Entscheid.
Mattea Meyer ist enttäuscht über den Entscheid.
KEYSTONE

Die Behauptung, dass die AHV kurz vor dem finanziellen Ruin stehe und es keine Alternative zur Erhöhung des Frauenrentenalters gäbe, sei schon während des Abstimmungskampfs falsch gewesen und sie sei es auch heute noch, fuhr sie fort. Und die Behauptung werde auch in Zukunft falsch sein, weil es nie richtig sein könne, dass Frauen für politische Fehleinschätzungen und Fehler bezahlen müssten.

Zugleich zeigte sich die Sozialdemokratin kämpferisch. «Heute sind wir enttäuscht, aber morgen kämpfen wir weiter. Morgen werden wir erfolgreich sein», sagte sie unter dem Jubel der versammelten Sympathisantinnen und Unterstützer.

«Wir haben dieses Jahr gemeinsam mit uns allen eine 13. Rente erkämpft. Wir haben dieses Jahr verhindert, dass die Renten in der zweiten Säule abgebaut werden und wir werden so lange weiterkämpfen, bis Frauen die Rechte und den Respekt erhalten, den sie für ihre Arbeit verdienen. Das bedeutet mehr Respekt und mehr Geld», fügte Meyer hinzu.

Tamara Funiciello fordert weitere Schritte zu Gleichstellung

SP-Nationalrätin Tamara Funiciello hat nach der Ablehnung der Beschwerden gegen die AHV-Abstimmung von 2022 rasche Fortschritte bei der Gleichstellung der Frauen gefordert. «Heute haben wir verloren, morgen gewinnen wir», sagte Funiciello nach dem Gerichtsentscheid am Donnerstag vor Unterstützerinnen und Symphatisanten in Lausanne.

SP-Nationalrätin Tamara Funiciello fordert weitere Schritte zur Gleichstellung.
SP-Nationalrätin Tamara Funiciello fordert weitere Schritte zur Gleichstellung.
Keystone/Peter Klaunzer

Mit dem Bundesgerichtsentscheid sei das gleiche Rentenalter für Männer und Frauen Realität, sagte die Sozialdemokratin. Doch jetzt müsse gefälligst der Rest der Gleichstellung folgen. «Dafür reichen wir Vorstösse ein», kündigte die Co-Präsidentin der SP Frauen Schweiz an.

Sie forderte unter anderem eine Anerkennung der Care-Arbeit in der zweiten Säule, eine bessere Versicherung der Teilzeitbeschäftigung, bezahlbare Kinderbetreuung und Lohngleichheit für Männer und Frauen.

«Wir haben genug von leeren Worten und Versprechen, wir warten seit über 40 Jahren, dass die Verfassung fortgesetzt wird», fuhr Funiciello fort. «Wir dulden keinen Aufschub unserer Gleichstellung, Entschuldigungen, Vertröstungen und Erklärungen mehr, wir wollen Fortschritte sehen und zwar jetzt», sagte die SP-Politikerin an die Adresse des Parlaments und des Bundesrats.

Die Mitte respektiert den Entscheid des Bundesgerichts

Die Mitte respektiert den unabhängigen Entscheid des Bundesgerichts zur Beschwerde gegen die Abstimmung zur AHV von 2022. Der Entscheid stärke das Vertrauen in Demokratie und Institutionen, teilte die Partei auf X mit.

«Gerade angesichts der zunehmenden Polarisierung ist es zentral, dass unsere Institutionen reibungslos funktionieren und respektiert werden, damit sie effizient und unabhängig arbeiten können,» schrieb die Mitte. Das sei entscheidend für die Stabilität und den Zusammenhalt der Schweiz.

Die Partei werde sich weiterhin für eine sichere AHV einsetzen, die auf einem soliden finanziellen Fundament stehe, damit die Renten auch für die künftigen Generationen garantiert seien.

Arbeitgeberverband: «Viel Aufwand und Ärger erspart»

Der Schweizerische Arbeitgeberverband hat die einstimmige Abweisung der Beschwerden gegen die AHV-Abstimmung von 2022 begrüsst. Eine Annullierung hätte unverhältnismässigen Aufwand bedeutet und zahlreiche Fragen zum weiteren Vorgehen aufgeworfen, hiess es in einer Mitteilung.

Die wichtigen Massnahmen zur Stabilisierung der AHV blieben damit bestehen, teilte der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) am Donnerstag weiter mit. Weiter sei es im Sinne der Gleichberechtigung und der Lebenserwartung fair, wenn Frauen und Männer dasselbe offizielle Referenzalter haben.

Zudem bleibe der Verwaltung und auch der Bevölkerung «viel Aufwand und Ärger erspart». Mit einer Annullierung der Abstimmung wäre laut dem SAV unter anderem die gesetzliche Grundlage für die Mehrwertsteuererhöhung, die seit 1. Januar 2024 gilt, obsolet worden. Was mit den dadurch bereits generierten Mehreinnahmen geschehen wäre, sei unklar.

Für die Arbeitgeber sei zudem klar, dass wegen des nach wie vor hohen finanziellen Drucks auf die AHV-Finanzen weitere strukturelle Massnahmen ergriffen werden müssten. Man erwarte vom Bundesrat eine tragfähige Lösung im Rahmen der AHV-Reform 2026, welche eine realistische Erhöhung des Referenzalters gemäss Lebenserwartung vorsieht.