In anderthalb Jahren will die Schweizer Nati an der Heim-EM für Furore sorgen. Um das zu schaffen, müssen noch viele Baustellen aufgeräumt werden. Ob auch Trainerin Inka Grings eine solche ist, das muss der Verband entscheiden.
Das erste grosse Ziel wurde erreicht
Unter Inka Grings hat die Schweizer Nati nur eines von 14 Spielen gewonnen. Klingt grausam. Man muss aber genauer hinschauen. Den einen Sieg hat die Schweiz nämlich an der WM im Auftaktspiel gegen die Philippinen eingefahren, im ersten Pflichtspiel unter Grings. Nach zwei torlosen Remis gegen Norwegen und Gastgeber Neuseeland sicherte sich die Schweiz den Gruppensieg, ohne dabei auch nur einen einzigen Gegentreffer zuzulassen. Im Achtelfinal setzte es zwar eine herbe 1:5-Pleite gegen den späteren Weltmeister Spanien ab, doch mit dem Einzug ins WM-Achtelfinal wurde das Hauptziel erreicht.
Alle Nati-Spiele unter Inka Grings
- Polen – Schweiz 0:0 (Testspiel, 17.02.2023)
- Schweiz – Polen 1:1 (Testspiel, 21.02.2023)
- Schweiz – VR China 0:0 (Testspiel, 06.04.2023)
- Schweiz – Island 1:2 (Testspiel, 11.04.2023)
- Schweiz – Sambia 3:3 (Testspiel, 30.06.2023)
- Schweiz – Marokko 0:0 (Testspiel, 05.07.2023)
- Philippinen – Schweiz 0:2 (Weltmeisterschaft, 21.07.2023)
- Schweiz – Norwegen 0:0 (Weltmeisterschaft, 25.07.2023)
- Schweiz – Neuseeland 0:0 (Weltmeisterschaft, 30.07.2023)
- Schweiz – Spanien 1:5 (Weltmeisterschaft, 05.08.2023)
- Schweiz – Italien 0:1 (Nations League, 22.09.2023)
- Spanien – Schweiz 5:0 (Nations League, 26.09.2023)
- Schweden – Schweiz 1:0 (Nations League, 27.10.2023)
- Schweiz – Spanien 1:7 (Nations League, 21.10.2023)
Verblendete Aussenwahrnehmung
In der Nations League heissen die Gegner nun Italien, Spanien und Schweden, letztere führen die Weltrangliste an. Einzig Italien bewegt sich auf Augenhöhe. Gegen die beiden anderen Teams wäre jeder Punktgewinn eine Überraschung. Oder wie es Inka Grings nach der dritten Pleite innert 88 Tagen gegen Spanien sagt: «Wir dürfen uns nicht mit solchen Nationen messen. Wer das macht, hat – mit allem Respekt – keine Ahnung von Fussball.» Und damit trifft die 45-jährige Deutsche einen wunden Punkt. Die Schweizer Nati hat in den letzten Jahren zwar grosse Fortschritte gemacht, der Abstand zur Weltspitze war – und ist es noch immer – sehr gross.
Zu wenig Spielerinnen auf absolutem Top-Niveau
Mit Lia Wälti und der gegen Spanien gelbgesperrten Noelle Maritz (beide Arsenal) sowie Luana Bühler (Tottenham) und Géraldine Reuteler (Frankfurt) hat die Schweiz vier Spielerinnen im Kader, die bei Topvereinen in der Startelf gesetzt sind und oft über 90 Minuten spielen.
Viele weitere Spielerinnen stehen bei Top-Vereinen unter Vertrag, etwa Ana-Maria Crnogorcevic (Atlético Madrid), Nadine Riesen (Frankfurt), Riola Xhemaili (Wolfsburg), Eseosa Aigbogun (AS Roma), Alisha Lehmann (Aston Villa) oder die beiden PSG-Spielerinnen Ramona Bachmann und Viola Calligaris. Aber sie sind in ihren Vereinen nicht (mehr) die ganz grossen Player, spielen selten, kommen aus einer Verletzung oder laufen gerade ihrer Bestform hinterher.
Beim letzten Zusammenzug standen – und das ist keine Ausnahme – auch sieben Akteurinnen aus der semiprofessionellen Women’s Super League im Kader. Diese Spielerinnen können ihr Leben nicht gänzlich nach dem Fussball ausrichten und gehen grösstenteils nebenher einer Arbeit nach, weil sich keine den Lebensunterhalt vom Fussballspielen finanzieren kann. Und sie sind das internationale Tempo nicht gewohnt, der Unterschied zu den Top-Ligen ist gewaltig und droht immer grösser zu werden, weil in vielen Nachbarländern der Frauenfussball deutlich stärker gepusht wird als das hierzulande der Fall ist.
Individuelle Fehler
Die Spiele gegen das derzeit den Frauenfussball dominierende Spanien ausgeschlossen, war die Schweiz unter Grings dennoch nie chancenlos. Aber individuelle Fehler, schlechte Zuteilung bei Standardsituationen sowie fehlender Killerinstinkt im Abschluss haben Punkte gekostet. So geschehen bei den 0:1-Niederlagen gegen Italien und Schweden. Aber auch das ist natürlich eine Frage der Qualität.
Viele neue Gesichter – zu viele?
Inka Grings bietet viele «neue Gesichter» auf, wie sie es gerne ausdrückt. Darunter sind immer wieder interessante Spielerinnen, keine Frage. Die inzwischen 17-jährige YB-Stürmerin Iman Beney eroberte auf Anhieb die Herzen der Fans, verpasste die WM dann aber wegen eines Kreuzbandrisses.
Die 20-jährige FCZ-Angreiferin Alayah Pilgrim gehört auch zu den Gewinnerinnen unter Grings. Auch Smilla Vallotto vom schwedischen Spitzenteam Hammarby IF überzeugte bei ihren ersten Auftritten im Nati-Dress.
Für andere scheint die Nati aber noch eine Nummer zu gross zu sein. Und doch hat Grings nach dem Spanien-Spiel bereits wieder «neue Gesichter» beim nächsten Zusammenzug angekündigt. Da kommt schon mal der Gedanke auf, ob nicht ein paar Spielerinnen zu viel aus der heimischen Liga im Dunstkreis der Nati stehen, während beispielsweise die hochtalentierte Riola Xhemaili auf der Bank versauert. Klar, sie spielt im Verein kaum. Aber vielleicht sollte Grings ihr doch mal wieder eine faire Chance geben, sich zu präsentieren. Immerhin trainiert sie tagtäglich mit absoluten Topspielerinnen und ist sich wohl ein höheres Niveau gewohnt als manch eine Superligistin. Und jung ist Xhemaili auch, sie ist gerade mal 20-jährig.
Keine Nummer 1
Im Sommer trat Nati-Urgestein Gaëlle Thalmann zurück, rund 15 Jahre lang war sie die unumstrittene Nummer 1. Aktuell duellieren sich die beiden Bundesliga-Torhüterinnen Livia Peng (Werder Bremen) und Elvira Herzog (RB Leipzig) um die Nummer 1. Beide kassierten faule Eier gegen Spanien, beide zeigten eine gute Leistung gegen Italien (Peng) respektive Schweden (Herzog).
Es ist nur fair, dass es einen Konkurrenzkampf gibt. Dennoch würde Grings wohl gut daran tun, möglichst bald eine klare Hierarchie festzulegen. Bisweilen wirkt es, als würden bei beiden teils die Hände zittern, weil sie wissen, dass jeder Fehler ein Rückschlag im Kampf um die Nummer 1 bedeuten kann. Und auch für die Verteidigerinnen wäre es nicht schlecht, sie könnten sich an eine der beiden gewöhnen.
Taktisch zu wenig flexibel
Es ist ja schön, dass sich die Schweiz vornimmt, auch gegen Spanien mutig nach vorne zu spielen. Aber ist es nach einer 1:5 und einer 0:5-Pleite auch der richtige Matchplan? Grings selbst sagt ja, dass sie sich nicht mit solchen Teams vergleichen dürfen. Also wäre es doch einen Versuch wert, sich auch mal hinten einzuigeln. Ob es das richtige Rezept wäre, das ist nicht in Stein gemeisselt. Aber nach zwei klaren Niederlagen wäre es nicht verkehrt gewesen, etwas Grundlegendes zu verändern.
Selbstvertrauen am Boden – Unruhen im Team
Wenn sich Niederlage an Niederlage reiht, dann geht irgendwann der Glaube verloren, dass man gegen diese Teams punkten kann. Man hadert mit sich selbst und traut vielleicht auch der Mitspielerin nicht mehr zu hundert Prozent. Es ist der perfekte Nährboden für Unruhen.
Denn wie das so ist, wenn man ständig verliert, werden plötzlich die Nominationen, die Taktik, die Aufstellungen und die Trainingsmethoden hinterfragt. Oder kurz: die Trainerin. Und genau dieser Prozess scheint gerade in vollem Gange zu sein. Die Frage ist, ob es für klärende Gespräche bereits zu spät ist, weil schon zu viel Geschirr zerschlagen wurde. Von Aussen ist das nur schwer zu beurteilen.
Der Verband muss sich entscheiden
Die Frage, ob Inka Grings noch die richtige Nati-Trainerin, das muss letztlich der Verband entscheiden. Die Frage dürfte sein, ob man genauso überzeugt vom eingeschlagenen Weg, wie es die Trainerin noch immer ist? Es ist keine einfache Frage, deren Antwort wohlüberlegt sein muss. Denn es ist alles andere als sicher, dass die Schweiz mit einer anderen Trainerin oder einem anderen Trainer an der Seitenlinie auch nur einen Punkt mehr geholt hätte in den letzten Spielen. Denn die Schweizer Nati bleibt in naher Zukunft gegen Top-Nationen wie Spanien und Schweden immer Aussenseiterin. Wer etwas anderes behauptet … Sie wissen schon, der hat keine Ahnung vom Frauenfussball.