Die Corona-Krise könnte sich für den Profifussball als grösste Prüfung der Geschichte herausstellen. Aufgrund riskanter Strategien stehen etliche Klubs am Rande des Konkurses. Am schlimmsten trifft es wie so oft die Kleinen. Aber nicht nur.
Seit Mitte März ruht der Ball, die Stadien sind leer und die Trainingsplätze werden nur spärlich genutzt. Wo sonst wöchentlich Spektakel auf dem Rasen geboten wird, herrscht totale Stille. Das sorgt nicht nur für Wehmut bei Spielern und Fans, es reisst auch gigantische Löcher in die Kassen der Vereine. Solange die Zuschauer ausbleiben, fehlen den Klubs überlebenswichtige Einnahmen.
«Volle Stadien werden wir erst wieder sehen, wenn wir in Sicherheit sind. Und dafür braucht es einen Impfstoff», so Sandra Zampa, Unterstaatssekretärin des italienischen Gesundheitsministeriums. Was für Italien gilt, ist auch für den Rest Europas anzunehmen. Zwar will man in mehreren Ländern – unter anderen auch in der Schweiz – sobald wie möglich wieder mit Geisterspielen loslegen, auf Spiele mit Zuschauern wird man sich aber gedulden müssen. Experten rechnen nicht vor 2021 mit einem Impfstoff, möglicherweise lässt das lebensrettende Vakzin sogar noch länger auf sich warten.
Der Geldfluss stockt – es fehlt an allen Ecken und Enden
Das lässt vor allem die kleineren Vereine Alarm schlagen. Wer nicht in den grossen Ligen oder den europäischen Wettbewerben aufläuft, dessen Existenz hing schon immer von der Tageskasse an Heimspielen ab. Selbst Klubs, die von grosszügigen Besitzern profitieren, müssen aktuell zittern. Denn auch die Geschäfte der Mäzene sind unweigerlich durch die Corona-Krise angeschlagen. Geisterspiele könnten immerhin die TV-Gelder wieder ins Rollen bringen. Aber für kleine Klubs, die oft nicht viel vom Kuchen erhalten, ist das nur ein Tropfen auf den heissen Stein.
Hinzu kommt, dass auch Sponsoring-Einnahmen rückläufig sind. Wie Thun-Präsident Markus Lüthi im Heimspiel Spezial auf «Teleclub» am Sonntag erwähnt, gingen den Berner Oberländern seit Beginn der Krise 30 Prozent der Sponsoring-Einnahmen verloren. Das sind massive Zahlungen, die auch nach Wiederbeginn des Spielbetriebs für einige Zeit ausbleiben werden.
Bereits vor der Krise dem Bankrott nahe
Dasselbe gilt für die finanzielle Unterstützung der Fans. Unzählige Anhänger haben europaweit bereits ihren Job verloren oder mussten auf Kurzarbeit umstellen. Viele von ihnen können sich das TV-Abo oder die Saisonkarte in Zukunft nicht mehr leisten. Die fetten Jahre sind vorbei. Von den Rekordeinnahmen von 28,4 Milliarden Euro, welche die europäischen Fussballklubs gemäss dem Wirtschaftsprüfungsunternehmen «Deloitte» in der Saison 2017/18 erzielten, wird 2020 nicht mehr viel übrig bleiben – auch wenn die Zahlen für 2019 noch einmal in die Höhe schnellen dürften.
Wer nun denkt, die Klubs seien dank der profitablen letzten Jahre auf diese Krise vorbereitet, der irrt gewaltig. In einem irrsinnigen Wettbieten schnellten Transferablösen und Lohnzahlungen im letzten Jahrzehnt drastisch in die Höhe. Die Vereine agierten auf Messers Schneide. Real Madrid beispielsweise erwirtschaftete aus einem Umsatz von 750 Millionen Euro für das Geschäftsjahr 2018/19 lediglich 31 Millionen Euro Gewinn. Das ist eine Umsatzrendite von unter fünf Prozent. Der FC Barcelona präsentierte sogar noch miesere Zahlen. Trotz eines Rekordumsatzes von 990 Millionen Euro lag der Gewinn bei gerade einmal 4,5 Millionen Euro. Das ist eine Umsatzrendite von weniger als einem halben Prozent. Von einem vorhandenen Geldpolster kann nicht die Rede sein. Zwei der grössten Schwergewichte im europäischen Fussball könnten in naher Zukunft in arge finanzielle Nöte kommen.
Sogar ManCity und PSG müssen zittern
Als erste Auswirkung der Krise dürfte der Geldfluss auf dem Transfermarkt versiegen. Im Sommer stehen nicht viele Wechsel an – Experten gehen davon aus, vor allem Tausch- und Leihgeschäfte beobachten zu können. Mit dem Transfermarkt stirbt eine weitere Einnahmequelle kleinerer Klubs, die durch die Entwicklung und den Verkauf talentierter Spieler Gewinn schöpfen.
Ganz grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass der Fussball um Jahre zurückgeworfen wird. Das könnte so weit gehen, dass sich die Einnahmen der Klubs halbieren. Tritt dies tatsächlich ein, so würden sich Löhne und Ablösesummen nach der Krise etwa auf dem Niveau der Saison 2008/09 einpendeln, als die Gesamteinnahmen gemäss «Deloitte» 15,7 Milliarden Euro betrugen.
Die Frage ist allerdings, welche Vereine eine solche Transformation überleben würden. So entpuppt sich die letztjährige Transfersperre für den FC Chelsea gerade als Segen und keinesfalls als Fluch. Jürgen Klopps Entscheidung, im vergangenen Sommer auf jegliche Transfers zu verzichten, lässt die «Reds» gerade wie ein Fels aus der Brandung herausragen. Und ein früher Wiederbeginn der Bundesliga könnte die deutschen Klubs im internationalen Vergleich massiv nach vorne schnellen lassen.
Auf der anderen Seite könnte eine zweijährige Champions-League-Sperre, wie sie kurz vor der Krise gegen Manchester City ausgesprochen wurde, sogar für den englischen Meister fatal sein. Die spanischen und italienischen Klubs dürften aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation ihrer Länder extrem Mühe haben. Und Klubbesitzer, die durch die Krise um ihr Vermögen zittern müssen, werden zweimal über etwaige Investitionen nachdenken. Das könnte durch die sinkenden Ölpreise sogar einen Klub wie Paris Saint-Germain treffen.
Investoren auf Schnäppchenjagd
Aber wie in jeder Krise ergeben sich auch im Fussballgeschäft neue Chancen. Vereinsübernahmen wie die von Newcastle United durch den saudischen Kronprinzen, oder jene der Grasshoppers durch chinesische Investoren, dürften sich in naher Zukunft häufen. Europäische Fussballklubs sind aktuell zum Schnäppchenpreis erhältlich. Es gehen sogar Gerüchte um, internationale Investoren sollen Überlegungen anstellen, ganze Ligen aufzukaufen.
Trotzdem scheint es unumgänglich, dass etliche Fussballklubs auf der ganzen Welt bald Konkurs anmelden müssen. Verhindern könnte das möglicherweise die FIFA. Im Vergleich zu den Klubs hat der sonst für seine finanziellen Tätigkeiten so gerügte Weltverband nämlich tatsächlich Reserven angelegt. Über drei Milliarden Dollar in Cash soll die FIFA gemäss Berichten auf der hohen Kante haben.
Hier stellt sich natürlich die Frage, inwiefern eine solche Hilfe fair aufgeteilt werden könnte. Zum einen müssten die finanziell angeschlagenen Klubs zwar unterstützt werden, zum anderen müssten aber Vereine, die in den letzten Jahren ordentlich gewirtschaftet haben, einen gewissen Vorteil aus ihrer Weitsichtigkeit davontragen dürfen.
Seitens der FIFA hiess es zuletzt, man wolle zuerst abklären, wie schwerwiegend die finanziellen Einschnitte für den weltweiten Fussball tatsächlich seien.