Vor gut einem Monat trägt Atalanta Bergamo sein Champions-League-Spiel gegen Valencia im Exil im San Siro vor knapp 45'000 Zuschauern aus. Heute besteht der Verdacht, dass die Partie ein starker Treiber für das Coronavirus war.
Die Gefahr von einer Covid-19-Ansteckung war und ist vor allem im Norden Italiens verheerend. Fast im Minutentakt tröpfeln derzeit schockierende Nachrichten rein. Als Epizentrum des Coronavirus gilt Bergamo, mit aktuell einem Todesfall pro halbe Stunde. Die Stadt wird darum auch als Wuhan Italiens bezeichnet.
In den letzten Tagen gab es einige Hypothesen, wieso ausgerechnet im Herzen der Lombardei die Pandemie am schlimmsten wütet. Die plausibelste Theorie ist auch gleichzeitig wahrscheinlich die traurigste.
Ausgerechnet der Höhepunkt in der Vereinsgeschichte von Atalanta soll der Beschleuniger für das tödliche Virus gewesen sein. Am 19. Februar spielte Bergamo in der Champions League gegen Valencia. Weil das heimische Stadion «Gewiss Stadium» nicht den Uefa-Richtlinien genügte, mussten Nati-Spieler Remo Freuler und seine Teamkollegen ihr Achtelfinal-Hinspiel im Exil im San Siro bestreiten. Doch für die Vereinsleitung, die Fans und die Fussballer der «La Dea» (dt: Göttin) selbst war die neue Spielstätte auch eine tolle Gelegenheit.
Bittersüsser Triumph
Statt 21'300 Tickets zu Hause konnte so das Doppelte verkauft werden. 2'500 Gästefans aus Valencia waren angekündigt, 40'000 Menschen reisten am Spieltag per Auto, Bus oder Zug aus Bergamo ins 60 Kilometer entfernte Mailand. Schliesslich wurden 44'236 Zuschauer vermeldet – Vereinsrekord.
Das altehrwürdige San Siro bietet eigentlich knapp 80'000 Zuschauern Platz, doch wegen Statikproblemen ist der oberste Ring schon länger abgesperrt. So wurden für die Partie nur so viele Sektoren geöffnet wie nötig. Für die Stimmung unter den euphorischen Fans war die Massnahme ein Glücksfall, zumal ihr Team die Spanier mit 4:1 abfertigten.
Was die ahnungslosen Fans aus Bergamo nicht wissen konnten: 540 Anhänger kamen allein aus dem Val Seriana, einem Tal mit viel Industrie – und einem Infektionsherd. Zwei Wochen nach der verhängnisvollen Begegnung – nach Ablauf der Inkubationszeit – gingen die Fallzahlen in Bergamo und Umgebung rasant in die Höhe, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt. Auch wenn die Eruierung der Ereigniskette aufgrund der zeitlichen Distanz und der Anzahl Menschen schwierig ist, spricht man in Italien von der «Partita zero» (dt: Spiel null).
Valencia-Spieler im Pech, Bergamo-Spieler im Glück
Dass sich in der dichtgedrängten Menschenmenge im San Siro der Coronavirus ausbreitete, ist auch die These von Fabiano Di Marco. Der Leiter einer renommierten Klinik wählt in einem Interview mit «Corriere della Sera» drastische Worte: «Das Spiel zwischen Atalanta und Valencia im San Siro war eine biologische Bombe». Ein bekannter Virologe stützt die These und ist der Ansicht, dass in der kollektiven Euphorie so viel Schleim und Speichel in der Luft waren, dass sich viele ansteckten.
Zwei Wochen später fürs Rückspiel war das Bewusstsein für die Krankheit bei den UEFA-Verantwortlichen zwar ein anderes, doch abgesagt wurde die Partie in Valencia dann trotzdem nicht, obwohl sich auch in Valencia die Fälle mehrten. Das Geisterspiel entschied Atalanta dank dem vierfachen Torschützen Josip Ilicic erneut für sich.
Wenige Tage später meldete Valencia, dass 35 Prozent der Mitarbeiter des Klubs positiv auf das SARS-CoV-2-Virus getestet wurden. Gemäss dem «Tages-Anzeiger» ist jedoch nicht zwingend belegt, dass alle Infizierten auf die Begegnungen mit den Norditalienern zurückzuführen sind. Valencia spielte zwischen den zwei Terminen mit Atalanta in der spanischen Meisterschaft auch gegen Deportivo Alavés, den Verein aus Vitoria. Und dort hatten sich kurz davor sechzig Menschen bei einer Beerdigung angesteckt. Bis heute ist aber auf wundersame Art und Weise noch kein Spieler von Atalanta Bergamo positiv getestet worden.