Silvan Widmer ist kein Führungsspieler im Schweizer Nationalteam. Er ist nicht einmal unbestrittener Stammspieler. Im Achtelfinal gegen Frankreich könnte der Aargauer aber zum Schlüsselspieler werden.
Der 28-jährige Silvan Widmer flog im Nationalteam jahrelang unter dem Radar. Wenn er überhaupt flog. 2014 gab er sein Debüt. Es war in San Marino das dritte Spiel der Schweiz unter Vladimir Petkovic. Seither sind in knapp sieben Jahren nur 17 weitere Einsätze dazugekommen. Meist war Widmer auf der rechten Abwehrseite die Nummer 3 hinter Stephan Lichtsteiner und Michael Lang. Petkovic nahm den Verteidiger des FC Basel weder an die EM 2016 noch an die WM 2018 mit.
Auch an der «Euro 2020» war ihm zunächst nur eine Nebenrolle zugedacht. Petkovic setzte auf Kevin Mbabu – bis Widmer im zweiten Spiel gegen Italien zum vielleicht einzigen «Sieger» aus Schweizer Sicht avancierte. Seine halbstündige Leistung an diesem so bitteren Abend belohnte die «Gazzetta dello Sport» mit der einzigen genügenden Note eines Schweizers. Vier Tage später spielte Widmer gegen die Türkei von Beginn weg und zwar so, dass er hinterher sagen durfte: «Ich bin stolz auf meine Leistung.»
Das grösste Spiel der Karriere
Jetzt steht Widmer vor einem Spiel, von dem er selbst meint, «es wird das grösste Spiel meiner Karriere, sofern ich denn auch tatsächlich spiele». Weil es am Montag in Bukarest gegen niemanden Geringeren als Weltmeister Frankreich mit seinen Superstars Kylian Mbappé, Antoine Griezmann oder Karim Benzema ginge, lässt sich auch dies sagen: Es wird die grösste Herausforderung in Widmers Karriere.
Als defensiver Spieler auf der rechten Seite wird Widmer dabei in Duelle verwickelt sein mit Mbappé, dem Weltmeister von 2018, für den Paris Saint-Germain vor drei Jahren 145 Millionen Euro nach Monaco überwies. «Ein bisschen Ehrfurcht ist schon dabei», gibt Widmer zu. Aber der prominente Gegenspieler kann auch ein Vorteil sein. «Wir sehen Mbappé und die anderen Franzosen jeweils am Dienstag und Mittwoch in der Champions League. Wir kennen ihre Stärken, aber auch ihre Schwächen. Ein spezielles Studium von einzelnen Spielern ist gar nicht mehr nötig.»
Im Duell mit dem Weltmeister setzt Widmer auch auf die Erfahrungen, welche er im letzten Herbst in der Nations League in den Spielen gegen Deutschland und Spanien gemacht hat. «Ich habe da bewiesen, dass ich mithalten kann, mehr als das sogar.» Gegen Deutschland ist ihm in Basel sogar das Tor zum 1:1 gelungen.
Vorteil Schweiz? «Keine Spur von Müdigkeit»
Der Schlüssel zum Erfolg werden nicht nur die richtige Taktik und der unbedingte Siegeswille sein, sondern im vierten Spiel innerhalb von 17 Tagen (für die Franzosen ist es das vierte Spiel innerhalb von 14 Tagen) auch die körperliche Verfassung. Widmer sieht da Vorteile für die Schweiz. Er zum Beispiel hat – auch wegen einer Verletzungspause zum Ende des Winters – im Klub in der letzten Saison nur 26 Spiele bestritten. Kylian Mbappé dagegen kam mit Paris Saint-Germain auf 47 Partien, Antoine Griezmann hat für den FC Barcelona sogar 51 Spiele absolviert.
Widmer: «Das ist nicht gesund. Mein Freund Bruno Fernandes (Manchester United, die beiden spielten zusammen bei Udinese – Red.) hat etwa 70 Spiele gemacht. Er sah am TV ziemlich ausgelaugt aus.» Und die Schweizer? «Keine Spur von Müdigkeit», meldet Widmer. «Wir haben Lust, Power und wollen beweisen, dass wir etwas reissen können.»
sda