Erfolgstrainer verlässt Union – eine WürdigungÜber Urs Fischer kursieren keine Witze in Berlin
Michael Angele
16.11.2023
Urs Fischer ist nicht mehr Trainer des FC Union Berlin. blue News Autor Michael Angele würdigt die Leistung des Schweizers mit dem deutschen Underdog-Club – und ihn als Menschen, der den Berliner*innen ans Herz gewachsen ist.
Michael Angele
16.11.2023, 08:51
16.11.2023, 08:56
Michael Angele
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Urs Fischer und der FC Union Berlin gehen getrennte Wege.
Der Schweizer hat mit dem Underdog-Club die Champions League erreicht und wurde zum «Trainer des Jahres» gekührt.
Zusammen mit Thomas Borer hat Urs Fischer in Berlin Grossartiges für die Schweiz geleistet. Der Schweizer Botschafter hatte den Deutschen gezeigt, dass die scheinbar biederen Nachbarn Party können.
Zur Erinnerung: Borer wurde 1999 auf den begehrten Posten gehoben, weil er sich in der unappetitlichen Geschichte mit dem Raubgold verdient gemacht hatte.
Dass die Schweiz nicht mehr primär mit Profitieren assoziiert wird, ist ein Vierteljahrhundert später auch Trainer Urs Fischer zu verdanken. Denn Fischer brachte etwas nach Berlin, was man eher im Untertagebau in Niederschlesien vermuten würde als in Zürich: ehrliche Arbeit.
Der Respekt der Fans für Urs Fischer war enorm
Das ist nicht nur eine Redewendung. Wer mit den Fans des FC Union ins Gespräch kam, spürte, dass der enorme Respekt für Fischer echt war.
Ich habe nie jemanden ironisch über Fischer reden hören – was in einer Welt, in der das Reden über Fussball einen Witz über das Personal fast immer einschliesst, nahezu unmöglich ist.
Aber es kursieren keine Witze über Urs Fischer in Berlin. Nur er selbst hat gelegentlich über sich gelacht. Etwa über seinen Helvetismus «schlussendlich» (in Deutschland sagt man: schliesslich).
Fischer schaffte es sogar, dass Menschen sich mit dem Schweizer Fussball auseinandersetzten, die das sonst nie getan hätten. Man wusste um die tiefe Bindung zu seinem FCZ. Vor allem aber wusste man von den Verletzungen, die ihm sowohl sein Heimatverein als auch der FC Basel mit haarsträubenden Entlassungen zugefügt hatten.
Die Fans fürchteten sich vor Fischers Heimweh
Die Sensibilität von Fischer war nie gross Gegenstand von Debatten, aber sie war Basis für das Sprechen über ihn.
Sie zeigte sich etwa in der ständigen Sorge der Fans, dass er den Verein aus schierem Heimweh verlassen könnte. Dass er nur auf den sechzigsten Geburtstag wartet, um den wahren Grund hinter einer Pseudo-Logik verstecken zu können (was nun leider überflüssig geworden ist).
Sie zeigte sich auch in der Bewunderung für seine Führung der Spieler. Wie schafft er es nur, ständig neue Spieler so schnell zu integrieren? Was sagt er denen? Welches Gefühl gibt er ihnen? Klar gab es da seinen verlängerten Arm, den Kapitän Christopher Trimmel, und den schlauen Sportchef Oliver Ruhnert. Aber Urs Fischer steht auch für Teamarbeit.
In Berlin gibt Fischer kaum jemand die Schuld
Trimmel wurde immer älter und Ruhnert ständig mit neuen Aufgaben in Verbindung gebracht. Die Sache lief in die falsche Richtung.
Ich habe niemanden getroffen, der Fischer dafür die Schuld gab – ausser Fischer selbst, in seinen zerknirschten Auftritten vor der Presse.
Der Arbeiter Fischer hatte nun, wie er sagte, seine «Baustellen». Es waren leider typische Berliner Baustellen: Stehen gefühlt eine Ewigkeit da, nichts bewegt sich, du musst einen anderen Weg nehmen.
Fischer auf einer Stufe mit Müller und Favre
Das hat Fischer nun getan. Nach Kurt Müller und Lucien Favre ist er der dritte Schweizer, der im Berliner Fussball seine Spur hinterlassen hat.
Stürmer «Chudy» Müller wurde 1973 mit Hertha Vizemeister 1973, Favre als Trainer 2009 Vierter. Das sind respektable Leistungen. Ich meine mich zu erinnern, dass Müller in der legendären Fussballkneipe «Holst am Zoo» Freibier bekam. Und Favre, nun, der hatte es in der Hand, mit Hertha noch am letzten Spieltag Meister zu werden. Man verlor 0:4 beim Tabellenletzten Karlsruher SC. Favre hatte es vermasselt.
Von Fischer wird keiner sagen, dass er es vermasselt hat. Ich bin sicher, die Fans werden ihm wirklich ein Denkmal bauen.
Sie haben schlussendlich auch ihre einmalige Stehplatztribüne mit eigenen Händen gebaut. Auf diese Tribüne kommt bald ein teurer Oberrang mit lauter Sitzplätzen.
Auch so gesehen hat der Arbeiter Fischer Union zur rechten Zeit verlassen.