Bötschi fragt Peter Schneider«An schlechten Tagen schaffte ich es kaum, einkaufen zu gehen»
Bruno Bötschi
18.1.2025
Psychoanalytiker und Satiriker Peter Schneider litt an Long Covid. Ein Gespräch über Beharrlichkeit, die zweite Amtszeit von US-Präsident Donald Trump – und seine Angst vor dem Tod.
Bruno Bötschi
18.01.2025, 22:46
19.01.2025, 01:17
Bruno Bötschi
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Peter Schneider studierte Philosophie, Germanistik und Psychologie. Er lebt in Zürich und arbeitet dort als Psychoanalytiker und Satiriker.
Der 67-Jährige hat für den «Tages-Anzeiger» 20 Jahre lang Fragen zu gesellschaftlichen Themen beantwortet, die, wenn möglich, übers gute Benehmen hinausgingen.
Schneider war zudem viele Jahre lang als Erzählstimme im sonntäglichen Hörspiel «Philip Maloney» und bei der Satiresendung «Die andere Presseschau» auf SRF3 zu hören.
«Ich würde sogar behaupten, im Grossen und Ganzen bin ich in das Alter hingewachsen, in dem ich mich mehr oder minder immer gefühlt habe. Was hingegen schlimm ist, dass vor einem Jahr mein bester Freund gestorben ist. Das war eine schreckliche Erfahrung. Die Trauer wird nicht besser», sagt Schneider im Gespräch mit blue News.
Peter Schneider, ich stelle Ihnen in den nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen. Und Sie antworten bitte möglichst kurz und schnell. Wenn Ihnen eine Frage nicht passt, können Sie auch einmal «weiter» sagen.
Wie viele Fragen sind es denn?
Wieso möchten Sie das wissen?
Damit ich weiss, wie viel mal ich weitersagen kann (lacht).
Schwarz oder Weiss?
Schwarz.
Berg oder Tal?
Täler sind mir lieber.
Zürich oder Berlin?
Zürich.
Wie haarsträubend war Ihr Jahresanfang?
So mittel haarsträubend. Mein Vater, er ist 93, wurde ins Spital eingeliefert.
Nein. Im Moment schaue ich kein TV und auch kein Netflix. Ich glaube, ich leide seit der Corona-Pandemie an einem Overload. Damals habe ich ziemlich viele Serien angeschaut.
Sie waren jahrelang die Erzählstimme der sonntäglichen Hörspiele von Kriminaldetektiv Philip Maloney auf Radio SRF3. Wie cool finden Sie es, dass aus dem Hörspiel jetzt eine TV-Serie geworden ist?
Wie ich gehört habe, soll Marcus Signer als Hauptdarsteller Malony sehr cool sein.
Zum Autor: Bruno Bötschi
blue News
blue News-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland. Er stellt ihnen ganz viele Fragen – immer direkt, oft lustig und manchmal auch tiefsinnig. Dabei bleibt bis zur allerletzten Frage immer offen, wo das rasante Pingpong hinführt.
Bekommen Sie heute immer noch Post von Menschen, die in Ihre Stimme verliebt sind?
Diese Art von Briefe habe ich noch nie bekommen. Hin und wieder passiert es aber, dass ich im Alltag darauf angesprochen werden, ob ich nicht die Stimme von Malony sei.
Irgendwelche Vorsätze für das neue Jahr gefasst?
Das mache ich nie.
Was halten Sie vom Verzichts-Fetischismus im Januar?
Nichts, obwohl es wahrscheinlich gesund ist, weniger oder gar keinen Alkohol zu trinken.
Ist weniger wirklich mehr?
Nein. Zu diesem Thema machte ich einmal während einer Tagung ein Experiment. Nachdem die Mehrheit des Publikums fand, weniger sei mehr, liess ich einen Karton herumgehen. Darin sollten sich die Leute aller überflüssigen Dinge entledigen: Schmuck, Geld und all dieser gering geschätzten Dinge. Das Ergebnis war interessant.
Wieso?
Im Karton lag nur wertloser Kleinkram.
Welches ist Ihre grösste Begabung, von der bisher noch niemand weiss?
Ich fürchte, so eine habe ich nicht. Ich bin gut im Durchwursteln, aber das ist hinlänglich bekannt.
Welche Rolle spielt Humor in Ihrer Arbeit als Psychoanalytiker?
Humor spielt während meiner Arbeit die gleiche Rolle, wie er es auch in meinem Alltag tut. Ich bin aber kein forcierter Humorist. Und unter uns gesagt: Mich macht die Glorifizierung des Humors in der Psychotherapie eher depressiv.
Wirklich wahr, dass Partnerschaft, Kinder und Karriere besonders viel Sinn geben?
Funktionieren diese drei Lebensbereiche einigermassen okay, dann stimmt diese Aussage. Aber natürlich kann eine Partnerschaft auch unglücklich sein, können die Kinder missraten und die berufliche Karriere scheitern …
Uff … dazu kommt mir jetzt gerade nichts Spezifisches in den Sinn. Ich könnte höchstens sagen: All das, was ich heute weiss, hätte ich damals schon gerne gewusst.
Im «Tages-Anzeiger» betreuten Sie 20 Jahre lang eine Kolumne, in der Sie Fragen von Leser*innen beantworteten.
Stimmt auch.
Ihre Kolumne in der «Sonntagszeitung» schrieben Sie 18 Jahre lang. Woher nehmen Sie Ihre Ausdauer?
Das hat möglicherweise mit dem Prinzip «Beharrlichkeit» zu tun. Je länger ein Mensch eine Arbeit tut, desto routinierter wird er darin – und in meinem Verständnis eben auch besser. In meinem Fall gab es zudem keinen Grund aufzuhören. Ich habe mit meiner journalistischen Tätigkeit immer gutes Geld verdient.
Wann ging Ihnen das letzte Mal der Schnauf aus?
Im wörtlichen Sinn vor ziemlich genau einem Jahr, als mich Long Covid erwischte. Damals musste ich beim Treppensteigen regelmässig eine Pause einlegen. An besonders schlechten Tagen schaffte ich es kaum, einkaufen zu gehen.
Was gibt Ihnen das Schreiben?
Meistens Geld. Aber natürlich hat es auch mit der Erfüllung eines gewissen Mitteilungsdrangs zu tun.
Mit Ihren Arbeiten für Medien haben Sie im vergangenen Jahr aufgehört. Wie viele Verlage haben Sie seither angefragt, ob Sie jetzt Ihre Autobiografie schreiben werden?
Kein einziger. Und das ist auch gut so.
Falls ich richtig recherchiert habe, sind Sie am 22. September 1986 zum ersten Mal in den Schweizer Medien in Erscheinung getreten.
Das könnte hinkommen.
Damals schrieben Sie in der «Schweizer Illustrierten» über «Die neuen Wunschväter».
Diese Geschichte kommt mir nicht bekannt vor. Im Übrigen war ich damals auch noch gar nicht Vater.
Vielleicht erinnern Sie sich an den Text, wenn ich Ihnen den Lead vorlese: «Wilhelm Busch würde staunen: Vater werden ist heute für manche Männer schwerer geworden als Vater sein. Ihre Zuschauer-Rolle macht ihnen Kummer – sie möchten gern selbst gebären können.»
In der Schweiz gibt es noch einige andere Menschen, die ebenfalls Peter Schneider heissen (lacht). Aber ganz ausschliessen will ich es nicht, dass dieser Text von mir ist.
Ist das heute immer noch ein Thema unter Männern, dass sie gerne ein Kind austragen würden?
Ich glaube nicht. Dieses Thema erlebte in den 1980er Jahren nur einen kurzen Hype – ganz ähnlich wie die Frage, ob manche Männer an einem Gebärneid leiden würden.
Sie sind 67 Jahre alt. Sind Sie eher altersmild oder altersradikal?
Altersradikal finde ich peinlich. Da denke ich immer an Jean Ziegler oder andere Menschen, die von sich aus behaupten, sie seien im Altersunruhestand.
Und altersmilde?
Ich würde eher sagen, ich bin heute abgeklärter als in frühen Jahren.
Was dachten Sie, als der «Nebelspalter» im vergangenen Oktober über Sie schrieb: «Es kann passieren, was will: Peter Schneider hat eine gesicherte Meinung dazu, und die Journalisten fragen ihn noch so gerne, weil er spricht, wenn man den Knopf drückt. Ist ja nicht so wichtig, was dabei herauskommt.»
Na ja, warum sollte mich der rechtsgerichtete «Nebelspalter» auch mögen? Obwohl ich in all den Jahren nie wirklich auf Polarisierung aus war. Ich habe vielmehr immer gedacht, im Grunde könnten mich praktisch alle mögen. Wenn ich dann aber solche Kommentare lese, wird mir immer wieder klar, dass dem eben doch nicht so ist.
Die Kritik im «Nebelspalter» tat mir auch deshalb nicht weh, weil sie schlicht nicht stimmt. Es ist einfach nicht wahr, dass ich mich zu jedem Scheiss äussere oder geäussert hätte. Aber wissen Sie was, am vergangenen Samstag habe ich X definitiv verlassen. Ich warte nur noch auf meine gesammelten Twitter-Werke zum Herunterladen.
Wieso haben Sie X verlassen?
Der Inhalt dieses sozialen Netzwerkes ist nicht mehr auszuhalten. Ich gebe zu, ich habe mich eine Zeitlang dort in meiner sehr netten Bubble eingerichtet. Aber je länger, desto mehr musste ich feststellen, dass ich dieses rechte bis rechtsradikale Gegröle nicht mehr ertrage.
Hat Sie Ihr Erfolg in den sozialen Medien süchtig gemacht?
X war lange meine verlängerte Presseschau. Ich habe mich dort aber nicht nur empört, sondern hin und wieder auch einfach gewisse Artikel aus der Presse weiterempfohlen.
Welche Kritik tut Ihnen weh?
Wenn ich grundsätzlich missverstanden werde.
Haben Sie Inputs des Publikums hin und wieder auch zu Veränderungen veranlasst?
Das gab es immer wieder. Der gravierendste Fall war, dass jemand an einem Podiumsgespräch zu mir sagte, er höre «Die andere Presseschau» für Radio SRF 3 sehr gerne, aber er finde die Ansprache «Liebe Hörerinnen an den Lautsprecherinnen» langsam etwas abgelutscht und daneben. Ich habe diese Ansprache dann bereits bei der nächsten Aufnahme weggelassen.
Warum?
Es war ein ewiggestriger Dad-Joke geworden, auf den ich heute auch nicht mehr stolz bin. Diese Gender-Belustigungen sind längst zu reaktionären Signalen ans Publikum verkommen.
Wann ist Empörung angebracht?
Über Unmenschlichkeit, diesen neuen Kitsch des Inhumanen.
Macht Sie der Gedanke an die zweite US-Präsidentschaft von Donald Trump hässig?
Dieser Gedanke deprimiert mich, und ich bin eher verzweifelt als hässig.
Donald Trump weist narzisstische Charakterzüge auf. Er feiert sich gerne selbst, lässt keine Kritik zu und ist nachtragend. Worauf sollten Staatsoberhäupter im Umgang mit ihm achten?
Das ist schwierig zu sagen, weil Donald Trump eine unberechenbare Persönlichkeit ist. Ich glaube, es ist wichtig, möglichst entschlossen gegen ihn aufzutreten und nicht auf seine ständigen Drohungen eingehen. Als Gegenüber des neuen US-Präsidenten sollte man sich nicht einlullen lassen, sondern kühl und sachlich mit ihm umgehen, wenn das auch schwierig sein wird.
Christoph von Marschall, Korrespondent des «Tagesspiegel», sagt: «Wir müssen lernen, nüchterner mit Trump umzugehen, nicht jede Aufregung mitzumachen, und einen strategischen Kurs entwickeln, wie man mit ihm umgeht»?
Einerseits ist diese Aussage durchaus verständlich, andererseits ist es aber auch ein Verharmlosungsdiskurs.
Sie würden mehr erwarten?
Ja. Es sind ja wirklich finstere Zeiten. Zu dieser Finsternis gehört die Wahlempfehlung von Elon Musk für die AfD. Ich würde ja noch so gerne sagen, es wird alles nur halb so heiss gegessen, wie es gekocht wird. Aber das ist leider nicht so.
Wenn ich daran denke, mit wie viel Energie sich manche Menschen über Themen wie «Bildschirmzeit» oder «Hornhaut in der Sandale» aufregen, dann finde ich schon äusserst seltsam, dass man sich über Donald Trump nicht aufregen soll.
Haben Sie die Homestory über Alice Weidel in der «NZZ am Sonntag» gelesen?
Ich habe den Text nur überflogen. Das Erschreckende an dieser Geschichte ist, dass sie Teil einer Normalisierung sind. Es ist schon fast vergleichbar mit dem Dok-Film «So wurde bei Hitlers daheim gekocht» vom deutschen TV-Journalisten Guido Knopp.
Wann hat sich das Älterwerden letztmals so richtig gut angefühlt?
Ich hatte bisher noch keine richtig grossen Probleme mit dem Älterwerden. Meine Long-Covid-Erkrankung hat mir allerdings einen unangenehmen Vorgeschmack gegeben. Ich würde sogar behaupten, im Grossen und Ganzen bin ich in das Alter hingewachsen, in dem ich mich mehr oder minder immer gefühlt habe. Was hingegen schlimm ist, dass vor einem Jahr mein bester Freund gestorben ist. Das war eine schreckliche Erfahrung. Die Trauer wird nicht besser.
Haben Sie heute mehr Angst vor dem Tod als in jungen Jahren?
Ich hatte schon als Kind grosse Angst vor dem Tod.
Wieso das?
Während man den Kindern heute ein Tablet zur Unterhaltung in die Hand drückt, hat früher meine Mutter, wenn sie keine Zeit für mich hatte, jeweils das Radio angemacht. Ich hörte dann unter anderem medizingeschichtliche Hörspiele und erfuhr so auch viel über tödliche Kinderkrankheiten. Was dazu führte, dass, immer wenn ich Halsschmerzen hatte, ich glaubte, ich hätte Diphtherie und würde demnächst sterben.
Dazu müssen Sie wissen, dass meine Mutter während meiner Kindheit lange Zeit schwer krank war. Sie ist dann auch in einem Alter gestorben, das ich bereits hinter mir habe. Der Tod war für mich bisher noch nie etwas, mit dem ich mich hätte aussöhnen können.
Haben die Probleme der Menschen mit dem Älterwerden vielleicht damit zu tun, dass wir uns immer mehr der Endlichkeit des Lebens bewusstwerden?
Das glaube ich schon – nicht zuletzt aber auch wegen der Endlichkeit der Menschen um einen herum.
Was halten Sie von Beerdigungen?
Sie bieten Trost. Zusammen trauern funktioniert einfacher. Ich bin deshalb ein Befürworter von Beerdigungen (lacht).
Haben Sie ein Testament?
Ich meinte, ich hätte einmal eines gemacht, weiss aber leider nicht mehr, wo ich es abgelegt habe. Ich werde deshalb demnächst nochmals eines erstellen.
Vorsorgeauftrag – ja oder nein?
Nein.
Patientenverfügung – ja oder nein?
Ja. Ich habe sogar ein Exemplar bei meinem Hausarzt hinterlegt.
Wir kommen langsam zum Schluss und damit zum Self-Rating-Test: Sie benoten Ihr eigenes Talent von null Punkten, kein Talent, bis zehn Punkte, maximales Talent: Gärtner?
Ich gebe mir drei Punkte, weil ich keinen grünen Daumen habe. Gleichzeitig liebe ich meine Pflänzchen auf dem Balkon über alles. Ich lasse sogar zweimal im Jahr eine Gärtnerin zur Pflege von meinen zugeflogenen Unkräutlein vorbeikommen.
Koch?
Auf dem Niveau von solider Alltagsküche würde ich mich als ziemlich begabt erklären. Ich bin aber kein Kochbuch-Leser, kein Kochkurs-Teilnehmer und auch kein Gault-Millau-Beizen-Anhänger.
Bitte noch eine Punktzahl.
Neun Punkte ... na, achteinhalb.
Was kochen Sie heute Abend?
Es hat noch einen Rest Hühnerragout. Ich glaube, es hat ausserdem noch Hacktätschli und wenn ich dazu komme, mache ich noch eine Pizza. Weil ich es unter der Woche kaum schaffe, koche ich meistens am Wochenende vor.
Zeichner?
Sehr unterschiedlich. In meiner Jugendzeit war ich kurzzeitig sehr begabt im Abzeichnen der Natur. Damals hätte ich mir sieben Punkte gegeben.
Und heute?
Drei Punkte.
Demnach haben Sie das Zeichnen verlernt?
Keine Ahnung, es war einfach plötzlich weg.
Fussballer?
Eine solide Eins, ohne jede Einschränkung.
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