Experte warnt vor Solar-Blase Wie China mit Photovoltaik Probleme löst – und neue schafft

Von Johannes Neudecker, dpa

7.4.2024 - 22:47

Ein Photovoltaik-Energieprojekt in der Autonomen Präfektur Changhi der Hui.
Ein Photovoltaik-Energieprojekt in der Autonomen Präfektur Changhi der Hui.
Bild: dpa

China baut mehr Solarzellen, als es derzeit braucht. In der Schweiz hat das bereits erste Opfer in der Unternehmenslandschaft gefordert. Aber die Rechnung könnte auch für Peking nicht aufgehen.

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  • China stellt Solar-Panels in enormem Ausmass her. Diese verdrängen dank ihrer tiefen Preise die Produkte aus Europa.
  • China erstellt zudem riesige Solarparks, um die Dekarbonisierung seiner Wirtschaft voranzutreiben.
  • Solarstrom und die zugehörige Ausrüstung sollen auch die schwächelnde Immobilien-Wirtschaft ersetzen. Doch Experten warnen bereits vor einer Solar-Blase, aufgebläht durch eine künstliche Nachfrage.

Solarzellen so weit das Auge reicht: Im Westen Chinas produzieren riesige Parks in abgelegenen Gegenden grünen Strom aus Sonnenenergie für das energiehungrige Land. Die Volksrepublik ist Spitzenreiter in der Branche, doch die schiere Flut an Panels zieht der Solarindustrie in anderen Ländern den Stecker.

Jüngst schloss die deutsche Firma Meyer Burger unter dem Preisdruck aus China ihr Werk im sächsischen Freiberg. Das politische Berlin debattiert derweil erfolglos über Förderungen für die unter Druck geratene Branche, während Peking mit grüner Technologie die Weichen für die wirtschaftliche Zukunft Chinas stellen will.    

«Die Solarindustrie repariert im Grunde drei Hauptprobleme auf einmal, die Peking gerade zu lösen versucht», sagt Wirtschaftsanalyst Jacob Gunter von dem auf China spezialisierten Forschungsinstitut Merics in Berlin. «Erstens ist es ein neuer Wachstumstreiber. Zweitens ist Chinas immer dominantere Position auf dem globalen Markt für Solarpaneele geopolitisch enorm nützlich für Peking. Drittens hilft sie, das Problem durch die Agenda für Dekarbonisierung zu lösen.»

Peking braucht eine Alternative zu Bau- und Immobilienbranche

Die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt investierte Jahrzehnte in Immobilien, was rund ein Fünftel der Wirtschaftsleistung ausmachte. Doch der Sektor mit seinen hoch verschuldeten Konzernen steckt in einer schweren Krise und bremst den Wirtschaftsmotor. Zudem trugen grosse Infrastrukturprojekte zum Wachstum bei. Mittlerweile sind die nötigen Brücken, Autobahnen und Zugstrecken jedoch gebaut. 

Grosse Solarparks sind deshalb eine Alternative – allerdings mit weniger Wirkung, wie Experte Cheng Zhang erklärt. «Verglichen mit Investments in Immobilien ist der Multiplikatoreffekt dieser Industrie noch zu klein», sagt der Vorsitzende des chinesisch-europäischen Forums für den Wandel zu sauberer Energie. Heisst: Wer in Solar investiert, verdient dabei nicht so viel wie bei Immobilien. Derzeit habe China mehr Solarpaneele in Grossprojekten verbaut als alle Länder auf der Welt zusammen, sagt Cheng. 

Experte: Die Solar-Blase ist schon da

Doch nun fehlen in China die Abnehmer. Gunter sagt: «Die Blase ist bereits da. Chinesische Hersteller von Solarpaneelen fertigen viel mehr Paneele als in China und eigentlich auch auf der Welt im Moment verbraucht werden können.» Der Experte sieht dahinter die Politik der Regierung. Anders als bei E-Autos, wo Konsumenten die Nachfrage regeln, treibt Pekings Industriepolitik die Solar-Nachfrage voran. «Das grosse Problem ist, dass die Blase, die sich gebildet hat, nicht unbedingt platzen könnte, sondern dass das Mass an Überkapazität bedeutet, dass Hersteller von Solarpaneelen in anderen Märkten nicht mit dem Preis mithalten können.» 

Laut Cheng schmälert das Überangebot zudem den Gewinn der Firmen und treibt sogar manche in die Zahlungsunfähigkeit. «Überkapazität ist ein immer ernsteres Problem geworden», sagt er. Doch die Kommunistische Partei zählt Solarzellen, Batterien oder E-Autos zu den sogenannten neuen Qualitätsproduktivkräften. Hinter diesem sperrigen Begriff, den die Staatsführung aus der Theorie von Karl Marx weiterentwickelte, verbergen sich mehr oder weniger sämtliche Hochtechnologien, bei denen China führend werden will. 

Solarparks statt Zellen auf Dächern

«Peking hat deutlich gemacht, dass die Entwicklung von Solarenergie ganz oben auf der nationalen Strategie stehen wird, um Chinas Energie-Wandel anzutreiben, sagt die Klimapolitik-Expertin von Greenpeace Ostasien, Gao Yuhe. Immer mehr Firmen sähen dezentralen Sonnenstrom als eine Investitionsmöglichkeit, auch um die Energie selbst zu nutzen und überschüssige in das Netz abzugeben. 

2023 verbaute China deutlich mehr Solarmodule. Laut dem Energieministerium betrug die neu hinzugefügte Kapazität etwa 216 Gigawatt, während 2022 rund 87 Gigawatt hinzukamen. Zum Vergleich: Deutschland baute 2023 laut Bundesnetzagentur 14,1 Gigawatt zu. Für 2024 rechnet Chinas Industrieverband für Photovoltaik mit bis zu 220 Gigawatt an neu installierter Solarenergie. Mittlerweile verbaut China mehr Leistung in Solar-Kraftwerken statt auf Dächern privater oder gewerblich genutzter Gebäude. Die riesigen Solarparks stehen in Gebieten mit guter Einstrahlung wie der Provinz Xinjiang oder in der Inneren Mongolei. 

Solar als Abschreckung

Bis 2025 und damit früher als ursprünglich erwartet, will China die Spitze beim Kohlenstoffdioxid-Ausstoss erreicht haben. Doch noch immer produziert die Volksrepublik ihren Strom zu 60 Prozent aus Kohle. Auch deshalb treibt Peking den Ausbau von Solar- und Windenergie so massiv voran, während Länder wie Deutschland etwa Windenergie-Ausbau nicht schnell genug vorankommen. Bis 2060 will die Volksrepublik klimaneutral sein. 

Doch warum produziert China so viel mehr Solarzellen, als es braucht? Peking will einerseits den weltweiten Solar-Markt dominieren. Aber laut Merics-Experte Gunter nutzt die Regierung die Technologie auch zur Abschreckung. Denn die geltenden US-Sanktionen schneiden China zum Beispiel von wichtiger Halbleitertechnik ab. Die Solarpaneele seien damit eine Art Flaschenhals, den Peking zudrücken könne, falls die USA oder Europa ihre Sanktionen verschärfen wollten, erklärt Gunter.    

Abhängigkeit von China könnte weiter wachsen

Chinas billige Solarzellen schüren in Europa bereits die Sorge vor einer Deindustrialisierung. In Deutschland könnte mit dem Aus von Meyer Burger die Abhängigkeit grösser werden – laut Gunter ein Risiko: Wenn man wegen einer geopolitischen Krise nicht mehr an Solarpaneele aus China komme, müsste man aus dem Nichts eine neue Solarindustrie schaffen. «Das wird die Autonomie, mit der man seine Grüne Agenda verfolgen kann, ernsthaft beeinträchtigen», sagt er. Man müsse sich nicht von China entkoppeln. «Aber ich glaube, ein Mix, bei dem man zu 100 Prozent China die Solarenergie herstellen lässt, die wir brauchen, ist unrealistisch und naiv», sagt er. 

Selbst Experten der hoch angesehenen Peking Universität machten bereits auf Kritik aufmerksam, dass Chinas Überkapazitäten die internationale Handelsordnung beeinträchtigen könnten. Man müsse das ernst nehmen, sagte Ökonom Huang Yiping unlängst bei einem Forum, wie mehrere Medien berichteten. Wenn eine Welle des Protektionismus gegen chinesische Produkte weltweit an Fahrt gewinnt, könnte das ihm zufolge die Entwicklung vor allem bei Innovationen schädigen.

Von Johannes Neudecker, dpa