Fortschritt in der MedizinHightech-Konkurrenz: Sind die Tage des Stethoskops gezählt?
AP/tafi
25.10.2019
Das kalte Metall auf der Brust und das aufmerksame Lauschen des Doktors beim Abhören – das gehört seit Jahrzehnten zu einem typischen Arztbesuch. Doch damit könnte es bald vorbei sein.
Es ist eines der Symbole für den Beruf des Arztes – doch zwei Jahrhunderte nach seiner Erfindung steht das Stethoskop vor einer ungewissen Zukunft. Bedroht wird seine Existenz von handlicheren, moderneren Geräten. Die werden zwar auch an die Brust gepresst, arbeiten aber mit Ultraschall und Künstlicher Intelligenz und sind mit Smartphone-Apps verknüpft, um Auffälligkeiten an Herzen, Lungen oder anderen inneren Organen zu erkennen.
Der weltbekannte Herzspezialist Dr. Eric Topol hält das Stethoskop mittlerweile nur noch für «ein Paar Gummischläuche» und damit für überflüssig. Es sei für 200 Jahre gut gewesen, aber nun müsse man weiter gehen. «Wir können das besser machen», sagt er.
Es ist eine lange Tradition, dass beinahe jede medizinische Ausbildungsstätte in den USA neue Studenten zur Begrüssung mit einem weissen Kittel und einem Stethoskop ausstattet. Doch dass der Umgang mit dem Stethoskop weiter gelehrt wird, geht über diese Symbolik hinaus. Seine Beherrschung wird vorausgesetzt, wenn jemand Arzt oder Ärztin werden will.
Warum hören, wenn man sehen kann?
In den vergangenen zehn Jahren allerdings sind Ultraschall-Scanner so klein geworden, dass sie oft nur noch die Grösse einer TV-Fernbedienung haben. In Verbindung mit Smartphones können sie bewegte Bilder und Auswertungen liefern. Befürworter sagen, diese Geräte seien fast so einfach zu bedienen wie ein Stethoskop. «Es gibt keinen Grund, auf Geräusche zu hören, wenn man alles sehen kann», findet Topol.
An vielen Ausbildungseinrichtungen lassen die neuen Geräte die Herzen der Studierenden höherschlagen. «Wow!», «Super!», «Grossartig!», rufen die Studenten in einem Kurs an der Universität von Indiana, als sie mit dem kleinen Ultraschall-Gerät die Bilder des pulsierenden Herzens eines Kommilitonen auf ein Tablet projizieren. Das Gerät der Firma Butterfly Network kam vergangenes Jahr auf den Markt. Ein Update schliesst mittlerweile Künstliche Intelligenz ein, die dem User hilft, die richtige Position für das Gerät zu finden und die Bilder zu interpretieren.
Die Studenten an der Medizinischen Fakultät in Indianapolis lernen den Umgang mit dem Stethoskop und mit den neuen Hand-Ultraschallgeräten. Programmleiter Dr. Paul Wallach geht davon aus, dass diese Geräte in den kommenden zehn Jahren Teil der normalen medizinischen Untersuchung werden – so wie der Reflex-Hammer. In den Abgesang auf das Stethoskop will er allerdings nicht einstimmen. Wallach erwartet, dass die nächste Generation von Ärzten weiter ein Stethoskop um den Hals tragen wird – und ein kleines Ultraschallgerät in der Tasche ihres Kittels.
Seit 200 Jahren nach dem gleichen Prinzip
Moderne Stethoskope haben nur noch wenig Ähnlichkeiten mit jenem Gerät, das der Franzose René Laënnec Anfang des 19. Jahrhunderts erfand. Allerdings arbeiten sie noch nach dem gleichen Prinzip. Laennëcs Erfindung aus dem Jahr 1816 war eine rund 30 Zentimeter lange Holzröhre. Damit war es einfacher, Herz- und Lungengeräusche zu hören, als wenn man nur das Ohr gegen den Brustkorb legte. Gummischläuche, Ohrstöpsel und der oft kalte Metall-Aufsatz, der zur Verstärkung der Geräusche auf die Brust gedrückt wird, kamen erst später.
Wenn das Stethoskop auf den Körper gedrückt wird, bringen die Klangwellen das Diaphragma, also jene glockenförmige Metallscheibe, zum Vibrieren. Durch die Röhren werden die Geräusche dann in die Ohren des Arztes übertragen. Konventionelle Stethoskope kosten in der Regel weniger als 200 Dollar. Die Hightech-Ultraschall-Konkurrenz liegt bei mehreren Tausend Dollar.
Die Wahrnehmung und Interpretation von Körpergeräuschen ist allerdings sehr subjektiv – und sie erfordert ein empfindliches und trainiertes Ohr. Das ist ein Argument gegen das klassische Stethoskop. Dr. James Thomas, Kardiologe bei Northwestern Medicine in Chicago, verweist auf aktuelle Studien, die gezeigt hätten, dass Absolventen in Innerer und in Notfall-Medizin viele der Körpergeräusche mit einem Stethoskop nicht gehört hätten.
Künstliche Intelligenz hört mit
Northwestern Medicine ist an einer Studie des Unternehmens Eko beteiligt, das smarte Stethoskope herstellt. Um die Erkennung von Herzgeräuschen zu verbessern, kommt Künstliche Intelligenz zum Einsatz. Ein Algorithmus findet im Abgleich mit Tausenden Herztönen heraus, ob die Herzgeräusche des Patienten normal sind oder nicht und teilt das dem Arzt über einen Monitor mit.
Der 70 Jahre alte Dennis Callinan ist einer der Teilnehmer der Studie. In seinem Leben ist er schon oft mit einem Stethoskop untersucht worden – und er empfindet keine Sehnsucht nach solchen Geräten. «Wenn man ein besseres Verständnis mit der neuen Technologie bekommt – grossartig!», sagt er.
Der Chicagoer Kinderarzt Dr. Dave Drelicharz praktiziert seit mehr als zehn Jahren und kennt den Reiz der neuen Technik. Doch solange die Preise so hoch seien, sei «der alte Gefährte noch immer das beste Werkzeug», sagt er. Wer einmal gelernt habe, mit einem Stethoskop umzugehen, dem gehe das ins Blut über. «Wenn ich es während der Arbeitszeit nicht über den Schultern trage, fühle ich mich beinahe nackt», sagt er.
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