Folgen für die SchweizWas passiert, wenn kein Öl und Gas mehr aus Russland kommt?
Von Oliver Kohlmaier
1.4.2022
Der Krieg in der Ukraine hat Europas Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland auf verheerende Weise deutlich gemacht. Welche Folgen hätte ein Lieferstopp für die Schweiz?
Von Oliver Kohlmaier
01.04.2022, 17:37
01.04.2022, 17:53
Von Oliver Kohlmaier
Die schweren Verwerfungen auf den Energiemärkten und die damit verbundene Preisanstiege erscheinen angesichts des menschlichen Leids in der Ukraine wie eine Fussnote. Dennoch bekommen vor allem Schweizer*innen mit niedrigem Einkommen die Preisanstiege täglich zu spüren — ob an der Zapfsäule, im Detailhandel oder beim Heizen.
Die bittere Erkenntnis, beim Import fossiler Brennstoffe von Putin abhängig zu sein, führt in ganz Europa zu heftigen Debatten. Denn ohne Zweifel würde ein Importboykott von russischem Erdgas und Erdöl Russland massiven wirtschaftlichen Schaden zufügen — aber eben auch Europa.
Wie mit diesem Dilemma umzugehen ist, treibt dieser Tage die politischen und wirtschaftlichen Eliten um. Vor allem in Deutschland wird die Debatte heftig geführt. So sorgt etwa der Chef des weltgrössten Chemiekonzerns BASF für Aufsehen. Martin Brudermüller warnt in drastischen Worten vor einem Importstopp oder längerfristigen Ausfalls von Gas- und Öllieferungen aus Russland.
«Das könnte die deutsche Volkswirtschaft in ihre schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs bringen», sagte Brudermüller der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung».
Dass es einen Importboykott geben wird, erscheint gleichwohl unwahrscheinlich. Mehrere europäische Regierungschefs haben entsprechenden Forderungen mit Verweis auf die drastische Abhängigkeit eine Absage erteilt. Im Blickpunkt steht ohnehin noch ein zweites, umgekehrtes Szenario. Putin dreht Europa den Gas- und Ölhahn zu. Gedroht hat der russische Präsident damit schon merhmals.
Schweizer Wirtschaft steht bislang gut da
Wer am Ende wen boykottieren würde, wäre gleichwohl zweitrangig. In jedem Fall hätte ein Ausbleiben von fossilen Energieträgern aus Russland verheerende ökonomische Auswirkungen auf Europa. Und damit auch auf die Schweiz.
Bislang jedoch scheinen sich der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland nicht spürbar auf die Industriekonjunktur hierzulande auszuwirken.
Wie die Credit Suisse am Freitag mitteilt, habe die Produktion zugenommen, die Auftragsbücher seien weiterhin voll und der Personalaufbau dauere an. Und während die Teuerungsrate im März im gesamten Euroraum auf 7,5 Prozent kletterte, stieg die Inflation in der Schweiz auf vergleichsweise niedrige 2,4 Prozent.
Die hohen Energiepreise belasten die Schweizer Wirtschaft gleichwohl schon jetzt. Jedes fünfte von der CS befragte Unternehmen befürchtet deswegen Produktionsausfälle in den kommenden sechs Monaten, 23 Prozent befürchten sogar Kurzarbeit.
Sollte es zu einem Lieferstopp von russischem Erdgas und Erdöl kommen, wären die direkten Folgen für die Schweiz jeddoch weitaus geringer als bei den Nachbarn, sagen Experten.
«Man versucht schon jetzt, russisches Erdöl zu meiden»
Dem Verband der Schweizerischen Gasindustrie zufolge kommen etwa 43 Prozent der Gasimporte in die Schweiz aus Russland. Wird der gesamte Energieimport betrachtet, fällt dieser mit rund 7 Prozent vergleichsweise gering aus.
«Die Schweizer Wirtschaft wäre bei einem russischen Erdgas-Lieferstopp deutlich weniger exponiert als die deutsche», sagt Klaus Abberger von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich auf Anfrage von blue News. Dies gelte sowohl für die Konsument*innen — etwa beim Heizen — als auch für die Unternehmen.
Die Verwundbarkeit der Schweiz bei den Erdgasimporten sei aufgrund des niedrigen Anteils im Energiemix als relativ gering anzusehen. Beim Erdöl ist es Abberger zufolge zudem leichter, auf alternative Bezugsquellen zurückzugreifen. Es zeige sich, dass Russland auf dem Rohölmarkt nicht so hohe Preise erzielen könne wie andere wichtige Förderländer. «Man versucht schon jetzt, russisches Erdöl zu meiden», sagt Abberger.
Beim Erdöl würde sich im Falle eines Boykotts zwar wohl kein massiver Mangel einstellen. «Das Problem aber ist der Preis», sagt Abberger. Die Schweizer Konsument*innen müssen sich auch weiterhin auf steigende Preise an den Zapfsäulen sowie für Heizöl einstellen.
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10.03.2022
Indirekte Folgen grösser
Im Falle eines russischen Lieferstopps wäre die Schweiz jedoch in viel stärkerem Masse von den indirekten Folgen betroffen, erklärt Abberger. Insbesondere würden sich gestörte Liefeketten und Ausfälle bei der Herstellung von Vorprodukten auswirken, auf die viele Schweizer Industriebetriebe angewiesen sind.
Wie Rudolf Minsch, Chefvolkswirt von Economiesuisse, auf Anfrage mitteilt, wären bei einem Lieferstopp insbesondere Firmen betroffen, die Prozesswärme mit Gas herstellen und keine Anlagen haben, welche auf Erdöl umgestellt werden können.
Dabei handle es sich um energieintensive Unternehmen wie etwa aus der chemischen Industrie oder bei Herstellern von Stahl, Glas oder auch Papier. Wie Abberger sieht auch Minsch das Problem vorwiegend bei den Lieferketten, auf die auch viele Schweizer Betriebe angewiesen sind: «Vorprodukte aus Deutschland oder Österreich etwa werden vielfach von Firmen hergestellt, die ihre Energie aus Gas beziehen.»
Franken würde aufgewertet
Aufgrund der starken Verflechtung der Schweizer Wirtschaft mit dem EU-Ausland sind negative Auswirkungen auf die konjunkturelle Entwicklung Abberger zufolge auch hierzulande zu erwarten. Durch einen Boykott fossiler Brennstoffe aus Russland könnten zahlreiche EU-Länder, vor allem Deutschland und andere mitteleuropäische Länder, in eine Rezession schlittern.
Diese Gefahr betont auch Rudolf Minsch. Bei einem Lieferstopp würde die Nachfrage auf den Märkten stark in Mitleidenschaft gezogen. «Es käme wohl zu einer Rezession in Europa», sagt Minsch.
Ein entsprechender Einbruch hätte laut Abberger noch einen weiteren Effekt: «Wir erwarten für den Fall eines russischen Lieferstopps auch eine Wechselkursreaktion», erklärt der Konjunkturforscher.
Der ohnehin starke Franken würde demnach noch weiter aufgewertet. Dadurch würde zwar der Anstieg der Energiepreise gedämpft. Die vielen exportorientierten Unternehmen in der Schweiz müssten durch die Verteuerung der Exporte jedoch Verluste hinnehmen.