Hohe Spritpreise Nachbarländer greifen ein – auch hiesige Politiker*innen fordern Massnahmen

Von Oliver Kohlmaier

14.3.2022

Sprit so teuer wie nie: «Der hohe Preis wird vom Leid überschattet»

Sprit so teuer wie nie: «Der hohe Preis wird vom Leid überschattet»

Die Treibstoffpreise in der Schweiz steigen wegen des Kriegs in der Ukraine rasant. blue News wollte wissen, ob die Schweizer*innen ihr Mobilitätsverhalten anpassen oder sogar einen Umstieg auf Alternativen erwägen?

10.03.2022

Europa leidet unter den hohen Preisen für fossile Energieträger. Was Schweizer Politiker*innen unternehmen wollen – und wie die Nachbarländer dem Preisanstieg begegnen.

Von Oliver Kohlmaier

Seit Monaten schon steigen die Sprit-, Gas- und Ölpreise weltweit an, bedingt durch eine höhere Nachfrage infolge der konjunkturellen Erholung nach der Corona-Pandemie. Die russische Invasion in der Ukraine verschärft die Lage nun jedoch drastisch.

Besonders an den Tankstellen macht sich dies unmittelbar bemerkbar, wenngleich die Preise für Rohöl in den letzten Tagen stagnierten. In der ganzen Schweiz müssen Autolenker*innen derzeit zwei Franken und mehr für den Liter Bleifrei 95 bezahlen.

So kommt es, dass sich dieser Tage viele Ostsschweizer*innen auf den Weg ins benachbarte Österreich machen, um günstiger zu tanken. Sie profitieren dort von den niedrigeren Mineralölsteuern und dem starken Franken. 

Das SRF berichtet von einem «regelrechten ‹Tank-Tourismus›» nach Vorarlberg, etwa aus dem St. Galler Rheintal fuhren viele Automobilist*innen es zu den Tankstellen ennet der Grenze.

In der Politik herrscht Uneinigkeit darüber, wie die Auswirkungen der hohen Preise am besten beizukommen ist.

So forderte etwa Grünen-Präsident Balthasar Glättli den Bund auf, wieder autofreie Sonntage einzuführen. Ausserdem sprach sich Glättli in der «NZZ am Sonntag» für eine weitere Temporeduktion auf Autobahnen aus, auf 80 oder 100 km/h. 

Mitte-Fraktionspräsident Philipp Matthias Bregy hingegen kann sich dem Bericht zufolge für eine vorübergehende Senkung der Mineralölsteuer erwärmen.

Autolenker*innen in ganz Europa leiden unter den hohen Treibstoffkosten.
Autolenker*innen in ganz Europa leiden unter den hohen Treibstoffkosten.
KEYSTONE/Christian Beutler (Archivbild)

Die SVP hingegen fordert vom Bund den Verzicht auf einen Teil der Abgaben auf Treibstoff, Heizöl und Strom. So verlangt Nationalrat Benjamin Giezendanner im «Blick»,  die zusätzliche Besteuerung der Mineralölsteuer über die Mehrwertsteuer müsse «sofort eliminiert werden».

Einen anderen Weg wollen die Sozialdemokraten einschlagen. So spricht sich SP-Vize-Fraktionschefin Samira Marti für vergünstigte Krankenkassenprämien für ärmere Haushalte aus. «Dieses Mittel lässt sich einfach und unbürokratisch ausbauen, denn es ist bereits etabliert.»

Auch bei den Nachbarn gehören die gestiegenen Treibstoffpreise derzeit zu den grössten Alltagssorgen der Bürger*innen:

Frankreich

Die Regierung in Frankreich zeigt sich im Kampf gegen die sozialen Auswirkungen der gestiegenen Energiekosten besonders aktiv. Gaspreise wurden bereits eingefroren, der Anstieg der Strompreise auf 4 Prozent begrenzt, ausserordentliche Energieschecks ausgegeben, ein Inflationsausgleich für 38 Millionen Menschen sowie die Erhöhung des Kilometergeldes beschlossen.

Mit einem Rabatt von 15 Cent pro Liter will Frankreich nun dem drastischen Anstieg der Treibstoffpreise entgegenwirken. Die Subvention solle ab dem 1. April für vier Monate gelten und werde den Staat etwa zwei Milliarden Euro (rund 2,05 Milliarden Franken) kosten, sagte Premierminister Jean Castex am Samstag der Zeitung «Le Parisien». Die Massnahme gelte «für alle Kraftstoffe», von ihr sollten sowohl Haushalte wie auch Unternehmen profitieren.

Schliesslich, so der Minister, seien die gestiegenen Kraftstoffpreise «die grösste Sorge der Franzosen» geworden.

Die Ermässigung werde demnach erst bei der Zahlung an der Kasse oder per Bankkarte an der Zapfsäule vorgenommen und sei daher nicht von Anfang an auf den am Eingang der Tankstelle angezeigten Preisen sichtbar, erläuterte Castex. Er rief Händler und Ölkonzerne zu «einer zusätzlichen Geste» auf, um die Kraftstoffpreise weiter zu senken. 

Deutschland

In Deutschland sind die Treibstoffpreise unter den Schweizer Nachbarn mit einigem Abstand am höchsten, hauptsächlich aufgrund der Mineralölsteuer. Beim nördlichen Nachbarn tobt derzeit eine heftige Debatte über den angebrachten Umgang mit den Höchstpreisen – auch innerhalb der Regierung.

Finanzminister Christian Lindner will laut einem Medienbericht einen staatlichen Tank-Zuschuss auf den Weg bringen — ähnlich wie Frankreich. Die Höhe stehe noch nicht fest, berichtete die «Bild»-Zeitung am Sonntagabend. Der Politiker plant demnach, dass der Betrag beim Bezahlen an der Tankstelle abgezogen werden soll.

Der Tankstellenbetreiber soll die Quittung später bei den Finanzbehörden einreichen können. Eine Entscheidung über die Massnahme könnte der «Bild»-Zeitung zufolge womöglich schon in dieser Woche fallen.

Laut Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen greifen die Vorschläge der FDP hingegen zu kurz. Er sprach von Erleichterungen im Bereich «Strom, Wärme und Mobilität», von Energieeffizienz sowie «markwirtschaftlichen Impulsen» und kündigte am Sonntagabend ein Massnahmenpaket an. Die Regierung werde «das Gesamtpaket jetzt in einem Arbeitsprozess schnell und konstruktiv schnüren.»

Die Preise für Diesel und Benzin treffen auch Autolenker*innen in Deutschland hart.
Die Preise für Diesel und Benzin treffen auch Autolenker*innen in Deutschland hart.
Michael Kappeler/dpa

Italien

Auch beim Nachbarn im Süden kämpfen die Bürger*innen mit den hohen Preisen für Treibstoff. Am Wochenende machten sich viele Menschen in den Grenzregionen auf den Weg zu den Tankstellen der Nachbarländer Österreich und Slowenien. 

Der Umnut in der Bevölkerung wächst angesichts ohnehin schon hoher Belastungen stetig. Für den 19. März ist zudem ein Streik der Frachtunternehmen angekündigt, die wegen der hohen Treibstoffpreise Stützungsmassnahmen von der Regierung fordern.

Die Regierung von Premierminister Mario Draghi plant für diese Woche ein Paket mit verschiedenen Massnahmen. Der Minister für ökologischen Umbau, Roberto Cingolani, nannte die gestiegenen Preise derweil einen «kolossalen Betrug».

Die Welt erlebe laut dem Minister einen ungerechtfertigten Anstieg der Kraftstoffpreise, für die es «keinen technischen Grund» gebe. Es handle sich um eine Spekulationsspirale.

Österreich

Während Schweizer*innen derzeit nach Vorarlberg zum Tanken fahren, zieht es grenznahe Österreicher*innen nach Ungarn. Denn dort hat die Regierung die Spritpreise bis April gedeckelt, verschiedene Medien berichten übereinstimmend von Autokolonnen vor den Zapfsäulen.

Wie hierzulande leiden auch in Österreich gerade die einkommensschwachen Familien unter den hohen Benzinpreisen. Die Regierung konnte sich jedoch noch nicht zu konkreten Massnahmen durchringen. Zur Debatte stehen verschiedene Möglichkeiten, etwa eine zeitweilige Aussetzung der Mehrwertsteuer oder auch eine Senkung von Lohnsteuer sowie Sozialversicherungsabgaben.

Der konservative Bundeskanzler Karl Nehammer lud am Sonntag zum «Energiepreis-Gipfel», konkrete Massnahmen wurden aber noch nicht beschlossen. In den kommenden Tagen werde man auf politischer Ebene beraten, «welche Massnahmen wir setzen können, um diese Teuerung abzufedern», liess Nehammer lediglich ausrichten.

Eine generelle Senkung der Mehrwert- oder Mineralölsteuern fordern SPÖ, FPÖ und die Arbeiterkammer. Wie «Der Standard» berichtet, hätten sich dagegen jedoch «praktisch alle Fachleute» ausgesprochen.

Mit Material von dpa, sda und afp.