Migros-Töchter vor der Abwicklung «Natürlich ist man wehmütig. Ich habe hier meine Lehre gemacht»

Von Sven Ziegler

21.6.2024

Schon leer: Ein Regal bei Melectronics in Winterthur. Spätestens Ende November ist definitiv Schluss.
Schon leer: Ein Regal bei Melectronics in Winterthur. Spätestens Ende November ist definitiv Schluss.
Bild: zis

Melectronics verschwindet, auch die anderen Töchter will die Migros nach und nach loswerden. Wie geht es den Angestellten? Und merkt man den Kahlschlag vor Ort? blue News hat sich umgesehen.

Sven Ziegler

21.6.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Migros verkauft einen Grossteil ihre Tochterfirmen. 
  • Melectronics geht an Mediamarkt. 17 Filialen werden geschlossen.
  • Die Angestellten gehen unterschiedlich mit der Situation um, wie ein Augenschein vor Ort zeigt. 

Die Migros wird ihre Töchter los. Schritt für Schritt sollen Do it + Garden, SportX, Micasa und weitere Tochterunternehmen in den kommenden Monaten verkauft werden.

Den Anfang gemacht hat diese Woche Melectronics. Die Elektronik-Fachmarktkette geht an Mediamarkt, 17 Filialen werden geschlossen. Rund 100 Mitarbeiter verlieren ihre Stelle, sie sollen anderweitig in der Migros-Gruppe weiterbeschäftigt werden. 

blue News besucht Filialen, die in den kommenden Wochen für immer schliessen werden und solche, die an Mediamarkt übergehen. Im Einkaufszentrum Grüzepark in Winterthur ist bereits ersichtlich, dass die Filiale spätestens im November ihre Türen für immer schliesst. Es ist nicht viel los. Ein einzelner Verkäufer steht zwischen den Regalen – die bereits auffallend leer sind. 

Verkäufer: «Vermutlich gar nicht mehr»

Eine ältere Dame erkundigt sich nach Druckerpatronen. Die Aufhängungen sind leer, Hinweise sind keine angebracht. Der junge Verkäufer lächelt freundlich, teilt mit, man könne diese auf Wunsch bestellen. Wann denn der Bestand wieder aufgefüllt werde, fragt die Dame. Der Verkäufer lächelt etwas verkrampfter. «Vermutlich gar nicht mehr», meint er. 

«Vermutlich wird nicht mehr aufgefüllt»: Leeres Regal bei Melectronics in Winterthur.
«Vermutlich wird nicht mehr aufgefüllt»: Leeres Regal bei Melectronics in Winterthur.
Bild: zis

Ob er einen neuen Job erhalte, wisse er noch nicht, sagt er im Gespräch mit blue News. Seinen Namen will er, wie alle anderen Gesprächspartner, nicht in den Medien lesen – er wolle es sich mit der Migros nicht verscherzen. «Mir gefällt mein Job, ich liebe Technik.» Ob er sich vorstellen könne, künftig im Lebensmittelbereich zu arbeiten? «Eigentlich nicht, nein. Das ist nicht meins. Aber wenn es gar keine andere Lösung gibt …» Dass der Standort bis im November geöffnet bleibe, glaubt der junge Mann nicht. «Sie sehen ja, wie es hier schon aussieht.»

Auch im SportX-Geschäft direkt nebenan wissen die Angestellten nicht, wie es mit ihnen weitergeht. Der Verkaufsprozess für die Sportartikel-Kette sei noch im Gang, liess die Migros Anfang Woche wissen. An den Wänden hängen Poster, die versichern: «Wir sind weiterhin für dich da.» Die Verkäufer*innen lächeln, bieten ihre Beratungen an.

«Unsere Leidenschaft brennt weiter» heisst es auf den Plakaten bei SportX.
«Unsere Leidenschaft brennt weiter» heisst es auf den Plakaten bei SportX.
zis

Eine Verkäuferin räumt ein: «Manchmal ist es schon schwierig, wenn man nicht weiss, ob man seinen Job behalten kann. Aber wir machen das Beste draus – etwas anderes bleibt uns ja nicht übrig.» Kündigen komme für sie nicht infrage. «Ich will in der Sportartikel-Branche bleiben. Es wäre mein absoluter Traum, dass wir von der Konkurrenz gekauft werden. Und natürlich, dass ich meinen Job behalte.» Sie habe Kinder zu Hause. «Die müssen ja auch essen.»

«Schaue auf mein Bankkonto»

Klar ist seit dieser Woche: Die Angestellten von 20 Melectronics-Filialen behalten ihre Jobs. Sie wechseln zu Mediamarkt. So etwa zwei Verkäuferinnen, die im Verkaufszentrum Amriville in Amriswil TG arbeiten. Noch tragen sie das blaue Melectronics-Hemd, welches bis November durch das rote Shirt der Konkurrenz ersetzt wird.

«Natürlich ist man irgendwie wehmütig, ich habe hier meine Lehre gemacht. Aber klar, ich bin vor allem froh, dass ich meinen Job behalte», sagt eine der Verkäuferinnen. Ihre Kollegin lacht und ergänzt: «Hey, ehrlich gesagt, mir ist es am Ende recht egal, ob ich blau oder rot trage – am Ende muss ich auf mein Bankkonto schauen.» Als blue News sie fragt, ob mit dem Verkauf der Tochterfirmen Gottlieb Duttweilers Erbe definitiv abgewickelt sei, lacht die junge Frau. «Ach, weisst du, ganz ehrlich: Zu Duttweilers Zeiten gab's ja keinen Melectronics. Heute sind Geschäftszahlen wichtig. Und da müssen die oben halt schauen, dass es irgendwie stimmt.» 

Zu sehen ist vom neuen Eigentümer indes noch nichts. Auch nicht in Mels SG, wo Mediamarkt den Standort im Pizolpark übernimmt. «Ich kann Ihnen leider nicht sagen, wann genau hier Mediamarkt übernimmt», sagt ein Verkäufer zu einem neugierigen jungen Mann. «Über die Einzelheiten werden wir erst in den kommenden Wochen informiert.»

Überrascht vom Kauf sei er nicht gewesen, sagt er zu blue News. «Wir reden ja miteinander. Und da hat man schon Gerüchte gehört.» Ob er froh sei, seinen Job zu behalten? «Klar, natürlich. Aber ich habe Freunde, die in Filialen arbeiten, die geschlossen werden. Da macht man sich natürlich Sorgen.» 

Noch unklar ist neben SportX auch die Zukunft von Do It + Garden, Micasa und weiterer Tochterfirmen. Während Do It + Garden im Internet um Kunden buhlt, ist bei Micasa nichts von bevorstehenden Änderungen zu sehen. Die unterschiedlichen Kommunikationsstrategien der Tochterunternehmen ist bereits früher aufgefallen.

Auch die Angestellten gehen unterschiedlich mit der Situation um. Anders als bei Melectronics will bei Micasa an zwei verschiedenen Standorten niemand mit blue News sprechen. «Wir wissen ja selbst nichts», meint eine Verkäuferin, ehe sie in einem Pausenraum verschwindet.

Eine ältere Kundin hört unser kurzes Gespräch mit. Sie taucht zwischen den Kissen auf und meint: «Es ist schon traurig. Mir ist egal, welche Marke da steht. Aber was die Migros da mit ihrem Unternehmen macht, ist schon himmeltraurig.»

Bei OBI brummt das Geschäft

Auch die Baumarktkette OBI, für die Migros in der Schweiz Franchisenehmerin ist, steht hierzulande vor einer ungewissen Zukunft. Die zehn Standorte in der Schweiz bleiben vorerst in Betrieb. Allerdings würden derzeit «mögliche Zukunftsoptionen für die strategische Ausrichtung und den Betrieb» ausgearbeitet, heisst es bei der Migros.

Als blue News die Filiale in St. Gallen besucht, ist viel los. Menschen schieben Wagen mit Blumen, Brettern und Farbtöpfen umher. «Wenn ich das so sehe, mache ich mir um meine Zukunft nicht viele Gedanken», meint ein Verkäufer mit einem Grinsen. «Unser Geschäft läuft ja gut.» Dass die Migros diesen Zweig einfach so aufgebe, könne er sich nicht vorstellen. «Wir arbeiten deswegen einfach ganz normal weiter.»

Ein rüstiger Senior eilt heran, unterbricht das Gespräch. Er wolle umgehend eine Holzplatte zuschneiden lassen, «und das muss dann ganz exakt sein.» Der Verkäufer lacht, entschuldigt sich und meint im Fortgehen. «Sehen Sie, das Geschäft brummt. OBI bleibt, da bin ich sicher.»


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