In Mitleidsfalle getappt Spitex-Haushälterin erleichtert Senioren um 360'000 Franken

tgab

11.2.2025

Pro Senectute empfiehlt, in finanziellen Angelegenheiten vulnerabler Angehöriger immer mehrere Personen einzubinden, um das Betrugsrisiko zu minimieren.
Pro Senectute empfiehlt, in finanziellen Angelegenheiten vulnerabler Angehöriger immer mehrere Personen einzubinden, um das Betrugsrisiko zu minimieren.
KEYSTONE/Gaetan Bally

Ein Senior verliert am Ende seines Lebens viel Geld, weil er seiner Spitex-Haushälterin und deren Familie finanziell aus einer Notsituation helfen will. Doch deren Instagram-Account zeigt ein Leben mit Luxusuhr, Mercedes und Fernreisen.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Eine Haushälterin im Auftrag von Spitex erregt mit erfundenen Geschichten Mitleid bei ihrem 95-Jährigen Klienten.
  • Der unterstützt die sich vermeintlich in einer Notlage befindliche Frau zuerst mit kleineren Geldbeträgen und gewährt ihr schliesslich Zugriff auf sein Konto.
  • Die mutmassliche Betrügerin erleichtert den Senioren um insgesamt 360'000 Franken.
  • Ein aufmerksamer Bankmitarbeiter informiert die Töchter des Senioren, die Frau wird wegen Betrugs angeklagt.
  • Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Die finanzielle Abzocke alter Menschen passiert immer wieder und läuft oft nach dem gleichen Muster ab: Vertrauen aufbauen, Notlage fingieren und Mitleid kreieren, zuerst kleine Geldbeträge annehmen und die Summen später vergössern. Dass die Masche nach wie vor so gut funktioniert, hängt auch damit zusammen, dass die Täter*innen oft aus dem nahen sozialen Umfeld der Betroffenen stammen.

Ein besonders perfides Beispiel hat der «Beobachter» mit der Geschichte von Ralf Brand (Name geändert - Anm. d. Red.) aufgeschrieben. Nach dem Tod seiner Frau bekam der 95-Jährige im Auftrag der Spitex Unterstützung durch eine Haushälterin. Die beiden Töchter konnten das emotionale Loch ihres Vaters nicht auffangen, eine war beruflich stark eingespannt, die andere lebt in Kalifornien.

In dieser isolierten Situation gewann die Haushaltshilfe das Vertrauen ihres Klienten, brachte kleine Geschenke mit – mal ein Glas Konfitüre, mal etwas Weihnachtsschmuck – und erzählte schliesslich Geschichten, die Brands Mitleid erregten. Darin ging es zum Beispiel um eine verstorbene Schwester in Sri Lanka, die angeblich fünf Waisenkinder hinterlassen habe, um die sich die Haushälterin kümmern müsse. Ein andermal war es eine wahrscheinlich nötige Bauchoperation, die ihr bevorstehe.

Gutgläubigkeit versus Skrupellosigkeit

Brand steckte der Frau zuerst kleinere Beträge zu, die er beim Einkaufen abhob. Daraus wurden 2000, dann 5000 Franken pro Monat, jeweils gestückelt in kleinere Bargeldbeträge. Im Februar 2022 übergab Brand seiner Haushälterin seine Postkarte mitsamt der PIN.

Der Senior handelte im guten Glauben, damit eine Familie in Not zu unterstützen, doch Kontoauszüge zeigen laut «Beobachter» ab diesem Zeitpunkt Abbuchungen für Beautyshops, Modehäuser und Coiffeursalons. Einmal wurden mehrere Hundert Franken an einem Bankomaten in Kanada abgehoben.

Das Arrangement fliegt erst auf, als Brand selbst bei der Spitex anruft, um die Pflegeinstitutuion über eine monatliche Zahlunf an seine Haushälterin zu informieren – es sei eine persönliche Spende, die ihm am Herzen liege.

Allerdings dürfen die Mitarbeiter*innen der Spitex keine Geschenke oder finanzielle Zuwendungen annehmen, die einen bescheidenen symbolischen Wert überschreiten. So steht es im Arbeitsvertrag. Die Frau wird entlassen – und bleibt dennoch mit Brand in Kontakt.

Erst im Frühling 2024 wird ein Bankmitarbeiter nach einem Anruf von Brand misstrauisch, der das Bezugslimit seiner Bankkarte erhöhen will. Im Hintergrund hört er die Stimme einer Frau, die er nicht kennt. Daraufhin informiert er die Töchter.

Instagram-Account zeigt ein Leben ohne Not

Diese gehen der Sache nach, kontrollieren die Überweisungen und entdecken bei ihren Recherchen in dessen Unterlagen auch ein Testament ihres Vaters, indem er seine Lebensversicherung auf seine Haushälterin überschrieben hatte. Brands Enkelin sichert Screenshots und Videoaufnahmen vom Insta-Account eines der Söhne der Haushälterin. Die Bilder zeigen ein Leben ohne Not. Man sieht die Frau zum Beispiel auf der Motorhaube eines Mercedes-SUV, die Söhne tragen Luxusuhren.

Die Töchter reagieren umgehend, lassen das Testament annullieren, erwirken ein Kontaktverbot und erstatten Anzeige gegen die Frau wegen Betrugs. Und tatsächlich: die ehemalige Haushälterin hat keine verwaisten Nichten in Sri Lanka und auch keine Magenbeschwerden, das deckt die Einvernahme durch die Polizei auf. Der Verdacht: Die Geschichten waren erfunden, um bei Brand Mitleid zu erregen und an sein Geld zu kommen.

Über den Zeitraum von drei Jahren gerechnet, hatte sich der Betrag – Direktauszahlungen und Transaktionen der Kreditkarte – auf 360'000 Franken summiert. Die ehemalige Haushälterin bestreite die Höhe der Summe, es handele sich höchstens um ein paar Tausend Franken, ausserdem hätte Brand ihr das Geld freiwillig gegeben.

Im Oktober 2024 gibt es eine Hausdurchsuchung bei der mutmasslichen Betrügerin. Seither wartet die Familie Brand auf die Eröffnung des Gerichtsverfahrens. Brand Senior wird nicht mehr aussagen können, er ist im Dezember 2024 im Altersheim verstorben.