Kontroverses Energie-Projekt Zürich und Schaffhausen planen Kraftwerk am Rheinfall

smi

11.7.2024

Eine Million Menschen besuchen jedes Jahr den Rheinfall. Ein Wasserkraftwerk will ihm einen Teil seines Wassers abgraben.
Eine Million Menschen besuchen jedes Jahr den Rheinfall. Ein Wasserkraftwerk will ihm einen Teil seines Wassers abgraben.
KEYSTONE

Ein Vorschlag mir Sprengkraft: Die Kantone Schaffhausen und Zürich haben Pläne, einen Teil des Wassers des Rheinfalls abzuleiten und zu Strom zu turbinieren. Gegner*innen sehen ein Schweizer Wahrzeichen in Gefahr.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Regierungen der Kantone Zürichs und Schaffhausens überlegen sich, am Rheinfall ein unterirdisches Wasserkraftwerk zu bauen.
  • Dem Rheinfall würde maximal ein Fünftel seines Wassers abgegraben, um dieses zu Strom zu turbinieren.
  • Die Schaffhauser Nationalrätin und Präsidentin von Aqua Viva, Martina Munz kritisiert das Projekt scharf.
  • Der Schaffhauser Regierungsrat Martin Kessler ist offen für das Projekt. Regierungsrat Martin Neukom (ZH) sieht nur am Rheinfall Potenzial für ein Wasserkraftwerk im Kanton Zürich.

Nirgends ist die Energie, die in fliessendem Wasser steckt, offensichtlicher als an grossen Wasserfällen wie dem Rheinfall. Und solange Wasser den Rhein hinunter fliesst, steht diese Energie zur Verfügung. Warum also nicht den Höhenunterschied und die grosse Wassermenge nutzen, um Strom zu gewinnen?

Der Vergleich drängt sich auf, in der NZZ macht ihn die Schaffhauser SP-Nationalrätin Martina Munz: «Es ist, als würde man Solarpanels am Matterhorn installieren.» Sie gehört zu den Gegner*innen des Projekts. Sie ist zudem Präsidentin der Gewässerschutz-Organisation Aqua Viva, die sich immer wieder kritisch zu neuen Wasserkraft-Projekten äussert. 

Munz sorgt sich um das Wahrzeichen Schaffhausens, das auch eines der Schweiz ist, wie der berühmte Gipfel in Zermatt, die Kapellbrücke in Luzern oder die Weinberge des Lavaux.

Rheinfall-Kraftwerk wäre komplett unterirdisch

Die Pläne sehen natürlich nicht vor, den Rheinfall durch ein Wasserkraftwerk zu ersetzen. Es soll lediglich oberhalb des Katarakts unter der Wasseroberfläche Wasser abgeführt und auf eine Turbine geleitet werden. Unterhalb des Wasserfalls würde es in den Rhein zurückfliessen. Zu sehen wäre das Kraftwerk von aussen nicht.

Die Anlage würde dem Rheinfall aber rund 20 Prozent des Wassers entziehen, das schäumende Naturschauspiel also etwas weniger spektakulär machen. Maximal 125 Kubikmeter pro Sekunde dürften entnommen werden. In einem Sommer mit normaler Niederschlagsmenge fliessen rund 600 Kubikmeter über die Felsen zwischen Neuhausen und Schaffhausen.

Gemäss Simulationen würde der Wasserfall besonders bei mittlerer Abflussmenge weniger eindrücklich aussehen, wäre das Kraftwerk in Betrieb. Bei Niedrigstand des Rheins und wenn besonders viel Wasser kommt – in den letzten Wochen zeitweise über 1000 Kubikmeter pro Sekunde – sei der Unterschied kaum zu erkennen, urteilt die «NZZ». 

70 Gigawattstunden Strom könnten so jährlich generiert werden – so viel wie fünf grosse Windräder.

Sorge um Tourismus und Natur

Der Rheinfall zieht jährlich rund eine Million Besucher*innen an. Das Kraftwerk würde das Naturschauspiel schmälern, kritisiert Munz. Hinzu komme, dass in Rheinau etwa weiter flussabwärts bereits ein Kraftwerk den Rhein staue. Dies mindere die Fallhöhe des Wasserfalls und beeinträchtige diesen. Zudem bedrohe das Projekt auch einen Äschen-Bestand, eine Fischart, die beim Bund als «stark gefährdet» gilt.

Befürworter des Projekts ist der Schaffhauser Regierungsrat Martin Kessler (FDP). «Jede Kilowattstunde zählt», betont der Vorsteher des Baudepartements, der auch für Energiefragen zuständig ist.

2022 haben die Schaffhauser Stimmenden ein Gesetz angenommen, das ein zweites Wasserkraftwerk am Rhein erlaubt. Dieses könnte jenes am Rheinfall sein. Er ist – auch aufgrund der Simulationen – überzeugt, dass dieses den Rheinfall als Naturschauspiel nicht weniger eindrücklich machen würde.

Rheinfall-Kraftwäre würde im Zürcher Boden gebaut

Ein Kraftwerk am Rheinfall wird immer wieder diskutiert. Jüngst hat der Zürcher Regierungsrat Martin Neukom (Grüne) das Projekt wieder ins Gespräch gebracht. Die Grenze zwischen Zürich und Schaffhausen verläuft in der Flussmitte.

Im Rahmen der öffentlichen Anhörung für Wind- und Wasserkraftgebiete vor wenigen Tagen hat Neukom erklärt, der Kanton Zürich sehe einzig am Rheinfall Potenzial zum Ausbau der Wasserkraftnutzung. 

Voraussetzung für die Realisierung sei, dass alle dort geltenden strengen Natur- und Landschaftsschutzauflagen erfüllt würden.

Noch gibt es nur eine grobe Machbarkeitsstudie für ein unterirdisches Laufkraftwerk am Rheinfall in Zürcher Boden. Zürich und Schaffhausen müssen zudem die mögliche Anlage zuerst in ihre Richtpläne aufnehmen. Es wird also noch viel Wasser den Rhein hinunterfliessen, bevor dieses tatsächlich abgezapft werden könnte.