Riesiges Echo auf 13. AHV-Rente «Wenn nur ältere Männer kommentieren, verzerrt dies das Bild»

Von Gil Bieler

28.2.2024

«Geht's noch?»: Artikel über die 13. AHV-Rente geben besonders viel zu reden. (Symbolbild)
«Geht's noch?»: Artikel über die 13. AHV-Rente geben besonders viel zu reden. (Symbolbild)
Keystone

Hunderte Kommentare, hochkochende Emotionen: Die 13. AHV-Rente elektrisiert die Leserschaft wie kein anderes Thema. Das grosse Echo überrascht sogar die Wissenschaft – und verleitet zu Trugschlüssen.

Von Gil Bieler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Volksabstimmung über die Einführung einer 13. AHV-Rente stösst sowohl bei Medien als auch bei deren Publikum auf besonders grosses Interesse. 
  • Laut dem Forscher Linards Udris von der Universität Zürich zählt die Initiative bereits jetzt zu den Vorlagen mit dem grössten Medienecho. Das habe ihn überrascht. 
  • Wie gut der Tenor in den Kommentarspalten auch mit dem realen Stimmverhalten übereinstimmt, ist aber eine andere Frage. 

«Ganz sicher ein klares JA!», schreibt RAloss41. «Diese AHV-Abstimmung muss dringend angenommen werden, sonst verliert die Schweiz die beste Altersvorsorge», findet Stiettirauy34.

Doch Nauplusio27 hält dagegen: «Wenn die 13. AHV angenommen wird, frage ich mich, ob die Schweizer Wähler nur noch ans eigene Portemonnaie denken. (…) Ich bin pensioniert und stimme Nein.»

Kaum ein anderes Thema brennt der Leserschaft von blue News so unter den Nägeln wie die 13. AHV-Rente, über die das Stimmvolk am 3. März entscheidet.

Vor allem die Aktion von fünf ehemaligen Bundesratsmitgliedern, die gemeinsam für ein Nein zu der Vorlage werben, erhitzte die Gemüter: Mehr als 230 Kommentare kamen in kürzester Zeit zusammen. Die klare Mehrheit der Leser*innen konnte dem Aufruf wenig abgewinnen: «Dass die alten, gut betuchten Bundesräte sich gegen eine 13. AHV-Rente aussprechen, ist schlichtweg eine Schande!», echauffiert sich ein Leser namens Logo.

Manche verteidigen die Aktion aber: Das Schreiben solle ältere Wahlberechtigte überzeugen und sei «überaus glaubwürdig», findet Piengauma77, «denn es kommt ja von ‹Ihresgleichen›, die die gleichen Sorgen haben wie sie, von Altbundesrät*innen, also auch von Rentner*innen, an deren Namen man sich noch gut erinnern kann

Immense Medienresonanz

Linards Udris ist Forscher am Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (FÖG) der Universität Zürich. Er beobachtet genau, wie die Medien über die Initiative für eine 13. AHV-Rente berichten: Das FÖG analysiert die Berichterstattung ausgewählter Medientitel und Sendungen und wird am Freitag einen Bericht dazu veröffentlichen.

Ohne der Analyse vorgreifen zu wollen, kann Udris schon jetzt verraten: «Die 13. AHV-Rente gehört zu den am intensivsten besprochenen Vorlagen.» Diese grosse Medienresonanz habe ihn überrascht, sagt er zu blue News. Zum einen gab es 2016 «eine sehr ähnliche Initiative», die AHVplus-Vorlage der Gewerkschaften. «Unsere Medienanalyse ergab, dass diese eher unterdurchschnittlich stark thematisiert wurde.»

Zum anderen habe sich gezeigt, dass sozialpolitische Vorlagen nicht zu den Strassenfegern zählten. «Es waren Vorlagen zur sogenannten Identitätspolitik, die am meisten bewegten: Schweizer gegen Ausländer, aber auch das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, etwa während der Corona-Pandemie bei der Abstimmung über das Covid-19-Gesetz.»

Warum die Vorlage für eine 13. AHV-Rente jetzt so oft zum Thema gemacht werde, sei nicht wirklich nachvollziehbar. «Es muss sich etwas verändert haben, dass das Interesse jetzt so gross ist.»

Ein Generationengraben?

Beim Blick in die Kommentarspalten von Newsportalen – nicht nur bei blue News – fällt auf, wie engagiert das Ja-Lager in die Tasten haut. Es scheint besonders häufig in der Überzahl zu sein. 

Ist damit klar, dass es am 3. März für ein Ja an der Urne reicht? Nicht wirklich. Denn an anderer Stelle klingt es auch anders.

In einer spontanen Strassenumfrage von blue News äusserten sich etwa jüngere Menschen deutlich skeptischer zur Einführung einer 13. AHV-Rente.

Auch auf Tiktok, wo man sich vor ein eher junges Publikum informiert, finden sich mehr ablehnende Voten: «Ke Generation vorhär u när het Wirtschaftlech so viu schön Wätter erläbt wie genau die im Video», schreibt etwa Lucioh G über die Befürworter*innen der Strassenumfrage.

Umfrage zur 13. AHV-Rente «Wir haben sowieso schon zu wenig Geld in der AHV-Kasse!»

Umfrage zur 13. AHV-Rente «Wir haben sowieso schon zu wenig Geld in der AHV-Kasse!»

Die Abstimmung über die 13. AHV-Rente sorgt für grosse Aufregung in der Bevölkerung. blue News wollte von einigen Schweizer*innen wissen, wie sie stimmen und wieso.

23.02.2024

Ein Generationengraben? Darauf deutet auch eine repräsentative Umfrage von SRF hin. Laut dieser sagen nur 42 Prozent der 18- bis 39-Jährigen «Ja» oder «Eher Ja» zu einer 13. AHV-Rente. Also nur eine Minderheit. Bei der Generation 65+ sind es dagegen 60 Prozent Befürworter*innen.

Kommentarspalten sind nicht das echte Leben

Sicher ist nur eines: Das Interesse an der AHV-Volksinitiative ist bei Medien und deren Publikum aussergewöhnlich gross. Doch als Gradmesser für den Puls der Bevölkerung dient das nicht. 

«Von den Kommentarspalten auf ein allgemeines Meinungsklima schliessen zu wollen, wäre ein Trugschluss», sagt Florin Zai, Diplomassistent am Lehrstuhl für Politische Kommunikation der Universität Freiburg. «Das kann an der Urne ganz anders herauskommen.»

Zu dieser Verzerrung trage allein schon die Tatsache bei, dass nicht jede*r Leser*in auch einen Kommentar verfasse. «Meist ist es eine engagierte Minderheit mit starken Meinungen, die das tun.» Viele andere würden dagegen nur still mitlesen.

Zudem hätten die ersten Meinungsumfragen einen sehr deutlichen Ja-Trend zur 13. AHV-Rente ergeben. Der Ja-Anteil sei seither zwar geschrumpft, aber der Ton sei da bereits gesetzt gewesen. «Und je stärker in den Kommentarspalten eine bestimmte Meinung dominiert, desto eher scheuen Menschen davor zurück, sich mit der Gegenmeinung einzubringen.» Dies etwa aus Sorge, sich angreifbar zu machen.

«Wenn nur ältere Männer mit einer starken Meinung kommentieren, verzerrt dies natürlich das Bild», sagt auch Linards Udris von der Uni Zürich.

Aus all diesen Gründen seien die allgemeinen Abstimmungsumfragen der grossen Medienunternehmen viel verlässlicher dafür, wie das Abstimmungsergebnis herauskommen könne, sagt Florin Zai.

Und die sagen ein denkbar knappes Rennen für den Abstimmungssonntag voraus. Es wird spannend.