LangzeitfolgenWas wir über Long Covid wissen – und was nicht
Von Maximilian Haase
21.1.2022
Noch Monate nach einer Corona-Erkrankung klagen Patient*innen über Symptome wie Erschöpfung und Kopfweh. Was hat es mit Long Covid auf sich? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Von Maximilian Haase
21.01.2022, 23:30
Von Maximilian Haase
Ist die Infektion mit dem Coronavirus erst einmal überstanden, kann es noch Monate danach zu Symptomen wie Erschöpfung und Atemnot kommen. Nach wie vor gehört Long Covid zu den Phänomenen, die Forscher*innen in der Pandemie am meisten Kopfzerbrechen bereiten. Belastbare Untersuchungen fehlen meist. Sicher weiss man vor allem, dass man wenig weiss. Ein Überblick.
Was ist Long Covid?
«Nach einer Erkrankung am Coronavirus verspüren einige Personen häufig über Wochen oder Monate Folgen der Krankheit», schreibt das BAG auf seiner Informationsseite zu den Langzeitfolgen von Covid-19. Laut Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO tritt Long Covid drei Monate nach der Krankheit auf, dauert mindestens zwei Monate an und kann nicht mit einer anderen Diagnose erklärt werden. Bisweilen kursiert auch die Bezeichnung Post Covid.
Welche Symptome treten auf?
Die Symptome, von denen Long-Covid-Patient*innen berichten, scheinen überaus vielfältig zu sein. Zu den häufigsten gehören laut BAG Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Atembeschwerden und kognitive Störungen, genannt werden aber auch unter anderem Erschöpfung, Kopfschmerzen, Husten und Muskelbeschwerden, zudem Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn sowie Beschwerden nach körperlicher Anstrengung.
Laut dem Mediziner Dominik Buckert vom Universitätsklinikum Ulm könne man die Beschwerden grob in zwei Gruppen einteilen: Bei zehn bis 20 Prozent seien Schäden an Organen wie Herz oder Lunge nachweisbar. Deutlich mehr hätten funktionelle Beeinträchtigungen wie geringere Belastbarkeit, Konzentrationsstörungen sowie Riech- und Schmeckstörungen.
«Einige Patienten sind so krank, dass sie nicht arbeiten oder kaum ein paar Treppen laufen können», berichtet die südafrikanische Forscherin Resia Prestorius, zu seit Monaten zu Long Covid forscht. Bei ihnen könne die Gefahr eines Hirnschlags oder Herzinfarkts möglicherweise erhöht sein.
Die Patient*innen-Organisation Long Covid Schweiz schreibt auf ihrer Seite zur Diagnose von Long Covid: «It's complicated.» Viele Betroffene würden unter typischen Long-Covid-Symptomen leiden, «ohne dass Untersuchungen und Messungen eine Funktionseinschränkung, Entzündungen (oder Vernarbung) nachweisen» könnten.
Wie viele Patient*innen sind betroffen?
Offizielle Zahlen für die Schweiz gibt es nicht. Ohnehin gehen die Schätzungen weit auseinander. Laut US-Studien sind etwa zehn Prozent der Covid-Patient*innen von anhaltenden Beschwerden betroffen, das BAG spricht von einem Anteil von 20 Prozent. Eine im Dezember veröffentlichte Studie der Universitätsmedizin im deutschen Mainz schätzt sogar, dass rund 40 Prozent der Corona-Infizierten mehr als ein halbes Jahr später noch Symptome zeigen.
Fast 30 Prozent der Erkrankten berichten laut der Mainzer Studie, dass sie nach der Erkrankung ihre ursprüngliche Leistungsfähigkeit nicht wieder erreicht hätten. Etwa 15 Prozent würden sich demnach dauerhaft in ihrem Alltagsleben und sechs Prozent im Arbeitsleben eingeschränkt fühlen.
Zudem: Mit der Omikron-Variante des Coronavirus könnten sehr viele Menschen von Langzeitfolgen betroffen sein, wie der Neurowissenschaftler Dominique de Quervain im Interview mit dem «SonntagsBlick» warnte.
Gibt es besondere Risikogruppen?
Auch hier ist die Informationslage dünn. Noch immer sei nicht bekannt, wie die Symptome von Long Covid mit der Schwere des Verlaufs korrelierten, sagte etwa der Basler Infektiologe Manuel Battegay der «SonntagsZeitung». Wer in der Intensivstation behandelt worden sei, habe mehr Long-Covid-Symptome.
Studien lassen vermuten, dass Patient*nnen mit einem schweren Covid-Verlauf häufiger unter Long Covid leiden. Und doch könne Long Covid laut Battegay auch nach einem milden Verlauf auftreten.
Das BAG informiert: «Ungefähr jede dritte Person mit einem schweren Verlauf und ungefähr jede sechste Person mit mildem oder asymptomatischem Verlauf ist von Langzeitfolgen betroffen.»
Der genannten Mainzer Studie zufolge seien zudem mehr Frauen als Männer betroffen. Laut BAG leiden zwei bis drei Prozent der Kinder und Jugendlichen, die am Coronavirus erkrankt sind, an Langzeitfolgen.
Wie kann man Long Covid behandeln?
«In den meisten Fällen klingen die Symptome von selbst ab», schreibt das BAG. Eine einfache Lösung oder Behandlung für Long Covid gebe es nicht, informiert indes Long Covid Schweiz. Die Patientenorganisation empfiehlt zur Linderung der Symptome grundsätzlich viel Ruhe, Geduld und die Vermeidung grösserer Anstrengung. Das sogenannte Pacing, also das strikte Einhalten der Energiegrenzen, hätte Betroffenen geholfen, ebenso ausgewogene histaminarme Ernährung.
Von Reha-Kliniken profitiere demnach nur ein Teil der Long-Covid-Patient*innen. Es existiere aber laut Long Covid Schweiz bis heute «keine Evidenz, dass ein Reha-Aufenthalt einer Symptomverbesserung bei Long Covid förderlich ist».
Je nach Symptom kämen Reha-Kliniken etwa speziell für Kardiologie, Neurologie oder Psychosomatik infrage, berichtete gegenüber der dpa kürzlich Gundula Rossbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung: «Vielfach betreten wir hier Neuland, weil fundierte Erfahrungswerte bislang fehlen.»
Auch Medikamente zur Behandlung von Long Covid sind in der Schweiz noch nicht zugelassen. Einige Präparate befinden sich allerdings in der Entwicklung. So entwickelt das Unternehmen GeNeuro einen monoklonalen Antikörper zur Behandlung von Long Covid bei Patient*innen, die an schweren neuropsychiatrischen Symptomen leiden.
Hilft die Impfung gegen Long Covid?
Eine der wichtigsten Fragen betrifft die Auswirkungen der (Booster-) Impfung auf das Long-Covid-Risiko. Zumindest deuten erste Studien zur Schutzwirkung der Impfungen ein vermindertes Risiko für anhaltende Symptome an. So veröffentlichte das Fachmagazin «The Lancet Infectious Disease» eine Untersuchung, in der Wissenschaftler Daten einer App auswerteten, über die Covid-Patienten Beschwerden melden konnten.
Demnach klagten doppelt Geimpfte nach einer Durchbruchsinfektion deutlich seltener über anhaltende Symptome (mehr als 28 Tage nach Infektion) als Ungeimpfte. In vielen Fällen sei die Erkrankung ganz ohne Symptome vorbeigegangen. Eine weitere, noch nicht veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass eine zweifache Impfung nach einer Durchbruchsinfektion vor vielen, aber nicht vor allen Long-Covid-Beschwerden schützt.
Welche Rolle spielt Omikron?
Die Omikron-Welle rollt und führt zu hohen Fallzahlen. Doch was bedeutet das für die Langzeitfolgen der Erkrankung? Klare Vorhersagen gibt es dazu nicht. Long Covid Schweiz gibt aber zu bedenken, dass möglicherweise «nach der ‹Omikron-Wand› eine ‹Long-Covid-Wand›» komme. Sollte dies eintreffen, «stünde die eigentliche Gesundheitskrise erst noch bevor».
Das befürchten auch manche Experten: Mit der Omikron-Variante des Coronavirus könnten sehr viele Menschen von Langzeitfolgen einer Infektion betroffen sein, so etwa Neurowissenschaftler Dominique de Quervain im Interview mit dem «SonntagsBlick».
Das Virus könne auch bei milden Verläufen zu anhaltenden neurologischen Störungen wie Konzentrations- und Gedächtnisproblemen oder starker Müdigkeit führen, so der Forscher: «Auch gesunde Personen, die geimpft sind, haben ein Risiko.»
Wenn Omikron in gleicher Häufigkeit #LongCovid verursacht wie die früheren Varianten, kommen derzeit jeden Tag Tausende von Menschen hinzu, die an langanhaltenden Symptomen wie Fatigue, Kopfschmerzen, Gedächtnisproblemen oder Atemschwierigkeiten leiden werden.
«Wir brauchen aber noch viel Zeit, um in der ganzen Komplexität zu erfassen, was Long Covid genau ist», sagte Bundesrat Alain Berset an der letzten Medienkonferenz. Man beobachte Long Covid und finanziere Forschungen. Dies betonte Berset auch in einem Interview mit SRF, in dem er auf das «Netzwerk von Ärztinnen und Ärzten mit einem guten Austausch» verwies.
Derweil fordern Experten, etwa der Basler Infektiologe Manuel Battegay, eine systematische Erfassung von Long Covid. «Ein Register wäre gut, aber noch besser wäre eine schweizweite Kohortenstudie», sagte er im Interview mit der «SonntagsZeitung».
Ob ein Zentralregister dienlich sei, könne man derzeit noch nicht sagen, sagte Virginie Masserey vom BAG an der letzten Medienkonferenz. Dafür müsse man wissen, ob dies im Gegensatz zur derzeitigen Forschung tatsächlich auch einen Mehrwert bringe.