Menschenrechtsverletzungen in China Lässt Bern auf Worte auch Taten folgen?

Von Sven Hauberg

5.5.2021

Bundesrat Cassis 2018 in Peking: Das EDA spreche Probleme bei den Menschenrechten «klar an, nicht nur hinter verschlossenen Türen».
Bundesrat Cassis 2018 in Peking: Das EDA spreche Probleme bei den Menschenrechten «klar an, nicht nur hinter verschlossenen Türen».
Keystone

Während die EU längst Sanktionen gegen Peking beschlossen hat, zögert der Bundesrat. Mit Blick auf die Unterdrückung der Uiguren fordert das EDA aber die «Schliessung der Internierungslager».

Von Sven Hauberg

5.5.2021

Es war ein Paukenschlag, der nach Meinung vieler Menschenrechtler längst überfällig war: Vor rund anderthalb Monaten verhängte die Europäische Union Sanktionen gegen China, zum ersten Mal seit fast 30 Jahren. Mit den Strafmassnahmen wurden mehrere Verantwortliche für die Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in der Region Xinjiang belegt. Die USA, Grossbritannien, Kanada und Norwegen schlossen sich den Sanktionen an. Aus der Schweiz war hingegen nichts zu vernehmen.

Dass sich der Bundesrat in Schweigen hüllt, ist für die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ein Unding: «Angesichts der gravierenden Menschenrechtskrise in Xinjiang, welche mittlerweile genozidale Züge angenommen hat, ist dieses passive, devote Verhalten der Schweiz gegenüber der Volksrepublik China nicht nachvollziehbar», sagt GfBV-Kampagnenleiterin Angela Mattli in einer Stellungnahme. «Sie entfernt sich dadurch immer mehr von der europäischen Wertegemeinschaft.»



Kritik kommt auch von der Gesellschaft Schweizerische-Tibetische Freundschaft (GSTF), und sogar die Vereinten Nationen haben den Bundesrat zum Handeln aufgefordert: Die Schweiz, so berichtete vor einiger Zeit der «Blick», sei in einem Schreiben aufgerufen worden, Auskunft darüber zu geben, was der Bund gegen die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang zu tun gedenke. Man wolle das Schreiben innerhalb von 60 Tagen beantworten, so der Bund damals. Geschehen ist seitdem aber offenbar nichts.

Bewährungsprobe für Bern

Dabei schien es noch vor Kurzem so, als wolle Bundesbern einen härten Kurs gegenüber dem chinesischen Regime fahren. Ende März, just an jenem Tag, als die EU-Staaten ihre Sanktionen beschlossen, stellte der Bund eine neue Strategie im Umgang mit Peking vor. Es sei «eine Aufgabe des gesamten Bundesrats», so Aussenminister Ignazio Cassis seinerzeit in einem NZZ-Interview, Peking auf Menschenrechtsverletzungen anzusprechen.

Die EU-Sanktionen stellen diese neue «China-Strategie 2021–2024» nun vor ihre erste grosse Bewährungsprobe. Folgen auf Worte auch Taten? Noch scheint der Bundesrat zu debattieren, wie er auf den EU-Vorstoss reagieren soll. «Einen allfälligen Entscheid betreffend sogenannter thematischer EU-Menschenrechtssanktionen», heisst es auf Nachfrage beim Aussendepartement EDA, «hat der Bundesrat noch nicht gefällt.»



Klare Worte kommen vom EDA dennoch. Die Schweiz, erklärt eine Sprecherin gegenüber «blue News», «fordert die Schliessung der Internierungslager in Xinjiang sowie eine internationale, unabhängige Untersuchung vor Ort». Probleme bei den Menschenrechten spreche man «klar an, nicht nur hinter verschlossenen Türen», sondern etwa auch im UNO-Menschenrechtsrat. Dass Peking die Kritik an Bern wahrnehme, «haben die Reaktionen auf unsere China-Strategie gezeigt», so das EDA.

Dialog statt Sanktionen

Und tatsächlich: Kaum hatte Bern Ende März die neue Strategie vorgestellt, reagierte Chinas Botschafter in Bern, Wang Shihting, erzürnt. Bei einem virtuellen Pressegespräch nannte er die Vorwürfe, in Xinjiang gebe es Internierungslager, «Fake News». Die EU allerdings erfuhr nach ihren China-Sanktionen deutlich mehr Gegenwind als Bern: Kurz nach Verabschiedung der Strafmassnahmen reagierte Peking mit eigenen Sanktionen, die sich gegen europäische Politiker, Experten und Institutionen richten. So weit will es Bern offenbar nicht kommen lassen.

Kritiker der Haltung der Schweizer Regierung äussern die Vermutung, Bern belasse es bei mahnenden Worten, um das Freihandelsabkommen mit Peking nicht zu gefährden. Als eines von wenigen Ländern weltweit hatte die Schweiz vor mehr als sechs Jahren ein solches Vertragswerk mit China, ihrem drittwichtigsten Handelspartner, geschlossen.



Beim EDA weist man den Verdacht, da bestehe ein Zusammenhang, zurück: «Die Tatsache, dass wir ein Freihandelsabkommen mit China haben, ändert nichts an unserer kritischen Haltung gegenüber der chinesischen Regierung im Bereich der Menschenrechte», teilt das Aussendepartement mit. 

«China-Strategie verletzt neutrale Tradition»

Dass Worte nur bedingt in der Lage sind, die Menschenrechtslage in dem Land zu ändern, haben die vergangenen Jahre gezeigt. Während allenthalben mit oder über China gesprochen wird, verschlechtert sich die Situation im Land unter Staats- und Parteichef Xi Jinping zunehmend. Nicht nur in Xinjiang lässt sich das beobachten, auch in Hongkong spitzt sich die Lage zu.

Aber sind Sanktionen auch der richtige Weg, um auf das Regime in Peking einzuwirken? Nein, findet Franz Grüter, Nationalrat und Vizepräsident der Aussenpolitischen Kommission. «Die China-Strategie der Schweiz verletzt die neutrale Tradition unseres Landes», sagt der SVP-Politiker zu «blue News». «Natürlich ist nicht alles gut, was in China läuft. Aber wer denkt, wir könnten mittels Sanktionen gegen China etwas zur Besserung der Lage beitragen, der irrt.»

Vorerst belässt es Bern tatsächlich beim erhobenen Zeigefinger. Oder wie es beim EDA heisst: Man setze im Umgang mit China auf «Dialog».