blue News trifft Gerhard Pfister: «Ich wähle auch Kandidierende anderer Parteien»
Wenn die Mitte-Partei ein Tier wäre, welches wäre das? Und welchen Promi sähe er gerne in seiner Partei? Mitte-Präsident Gerhard Pfister stellt sich fünf kurzweiligen Fragen.
06.03.2023
Mitte-Präsident Gerhard Pfister ist entschieden dafür, dass die Ukraine auch mit Schweizer Waffen unterstützt werden soll. Dem Bundesrat rät er, seine Meinung zu ändern, bevor der internationale Druck zu gross wird.
Herr Pfister, auf Ihrer Website steht: Politik bestehe darin, Gott zu dienen, ohne dabei den Teufel zu verärgern. Wollten Sie sich und die Partei nicht von Religion distanzieren?
Das ist natürlich ironisch gemeint. Im tieferen Sinn lässt sich aber schon sagen, dass es in der Politik darum geht, herauszufinden, was man als richtig erachtet. Auf dem Weg zur Erreichung dieser Ziele müssen wir Kompromisse machen. Da tun sich schwierige Dilemmata auf, wie beispielsweise bei der Frage, wie wir die Ukraine unterstützen können. Es gibt nicht die eine, richtige Antwort. Und zudem: Religion ist und bleibt Privatsache.
In der laufenden Legislatur nannte sich die CVP gemeinsam mit der BDP in «Die Mitte» um. Welche Bilanz ziehen Sie von diesem Rebranding?
Es war mehr als das. Wir wollten uns für Menschen öffnen, die uns bisher als nicht wählbar erachteten. Nun beobachten wir einen starken Zuwachs von jungen Wählerinnen und Wählern. Gerade bei den letzten Wahlen in Basel-Landschaft und Zürich konnten wir einen Zuwachs verzeichnen. Wir beobachten, dass sich die Wählerinnen und Wähler eine Partei wünschen, die Brücken baut und Lösungen anbietet.
Die Mitte will zwischen den Polen vermitteln. Laut Politologe Lukas Golder sei Wahlkampf wie ein Kopfstand für ihre Partei, wo es ums Profilieren geht.
Jede Partei muss sich im Wahlkampf gegenüber anderen profilieren. Doch gerade die Probleme unserer Zeit erfordern eine Partei, die nicht nur auf ein Thema setzt, sondern gesamtheitliche Lösungen erarbeitet. Damit meine ich beispielsweise die steigenden Gesundheitskosten oder die Altersvorsorge. In diesen Dossiers trauen die Wählerinnen und Wähler der Mitte innerhalb der bürgerlichen Parteien die höchste Kompetenz zu.
Was ist das Ziel im Herbst?
Ein Wähleranteil von rund 14 Prozent (2019 wählten 11,4 Prozent die damalige CVP und 2,4 Prozent die damalige BDP) wäre ein Erfolg. Aber klar: Wir möchten wachsen und im Ständerat weiterhin die stärkste Kraft bleiben. Grundsätzlich bin ich mit Zielen aber immer vorsichtig.
Wie wird der Bundesrat Ende Jahr aussehen?
Das entscheiden die Wählerinnen und Wähler und anschliessend die Vereinigte Bundesversammlung. Der Sinn der Konkordanz ist, dass die stärksten Kräfte im Bundesrat sitzen. Dies ist im Moment unausgewogen, da die FDP und die SP rechnerisch weniger Anspruch auf einen zweiten Sitz haben als die Grünen auf ihren ersten. Andererseits haben FDP und SVP zusammen heute vier Sitze und sind damit übervertreten; hätten SP und Grüne zusammen drei, wären sie deutlich übervertreten. Hinzu kommt, dass wir traditionell Bundesräte nicht abwählen, aber Wahlen sollten Folgen haben. Zwischen diesen Problemen müssen wir eine gute Lösung finden.
blue News trifft
Im Wahljahr 2023 trifft blue News die Präsident*innen der grossen Parteien. Bereits erschienen ist ein Gespräch mit SVP-Präsident Marco Chiesa, SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer und GLP-Präsident Jürg Grossen. Falls du Fragen an einen der Präsident*innen hast, dann schreibe sie hier in die Kommentarfunktion. Deine Meinung interessiert uns.
Welches Szenario erhoffen Sie sich?
Keine Partei kann ihren Bundesrat im Alleingang wählen – man ist auf die anderen angewiesen. Daher hoffe ich, dass sich die Parteienvertreter nach den Wahlen zusammensetzen und schauen, wie sich die Konkordanz und somit die Stabilität weiterführen lassen.
Worauf freuen Sie sich besonders in diesem Wahljahr?
Auf die guten Begegnungen und Gespräche an der Basis. Der Einsatz, den gewisse Menschen leisten, motiviert mich und gibt mir Energie.
Und worauf könnten Sie verzichten?
Auf den einen oder anderen Medientermin (lacht). Das gehört aber zu den Aufgaben eines Parteipräsidenten.
Sie waren einer der Ersten, die das Waffenwiederausfuhrverbot infrage stellten. Ist Ihnen die Neutralität nicht wichtig?
Doch, sie ist mir sehr wichtig. Aber wir haben eine bewaffnete Neutralität, wir müssen uns also auch verteidigen können. Wir tun gut daran, die Ukraine, ein europäisches Land, zu unterstützen. Denn unsere Werte werden auch in der Ukraine verteidigt.
Der Bundesrat schätzt die Lage anders ein und findet, dass die militärische Unterstützung nicht vereinbar wäre mit der Neutralität. Misstrauen Sie der Landesregierung?
Ich habe vollstes Vertrauen in den Bundesrat, bin aber in dieser Frage anderer Auffassung. Die Bundesverfassung gibt ihm das Recht, die Interessen der Schweiz zu wahren. Er müsste noch nicht mal das Gesetz ändern, sondern bloss eine Verordnung erlassen. Der Bundesrat wäre gut beraten, wenn er seinen Standpunkt ändern würde. Das Ganze erinnert mich an den Fall des Bankgeheimnisses. Erst verteidigte es die Landesregierung durch alle Böden, doch auf Druck vom Ausland gab sie es schliesslich auf. Es wäre schade, wenn der Bundesrat wieder nicht aus eigenem Willen, sondern wegen Druck aus dem Ausland reagiert. Wir Schweizer müssen selber entscheiden.
Linke Kreise lehnen den Fall des Wiederausfuhrverbots aus pazifistischen Gründen ab.
Ich bin auch gegen Krieg. Aber Russland hat sich für den Krieg gegen die Ukraine entschieden. Ähnlich wie im Zweiten Weltkrieg müssen sich demokratische Staaten gegen Aggressoren verteidigen können.
Zur Person
Der 60-jährige Gerhard Pfister ist promovierter Philosoph und Literaturwissenschaftler und steht der ehemaligen CVP seit 2016 vor. Seit 2021 heisst sie «Die Mitte». Seit 2003 sitzt er für den Kanton Zug im Nationalrat. Pfister ist verheiratet und wohnt mit seiner Frau in Oberägeri.
Ihre Bundesrätin hat als Verteidigungsministerin eine zentrale Rolle inne. Sind Sie froh, hat Viola Amherd das Departement nicht gewechselt, als sie die Möglichkeit hatte?
Ich habe grossen Respekt vor Frau Amherds Entscheidung und beobachte, dass das VBS in der Öffentlichkeit eine andere Wahrnehmung erhalten hat. Fragen, die früher belächelt wurden, sind nun wichtig. Ich rechne es Bundesrätin Amherd hoch an, dass sie im VBS blieb.
Seit Montag ist Viola Amherd laut einer Umfrage die beliebteste Bundesrätin und beerbt Alain Berset als Liebling des Volks.
Viola Amherd verdient den Spitzenplatz. Sie geniesst das Vertrauen des Volkes zu Recht.
Ist sie Profiteuren der Corona-Leaks?
Das sehe ich nicht so. Alain Berset stand in der Kritik, und dies ging nicht spurlos an seinen Beliebtheitswerten vorbei.
Sie erwähnten vorhin die Gespräche mit der Basis, auf die Sie sich freuen. Wird es schwierig, die Erhöhung des Armeebudgets zu erklären, während nicht der volle Teuerungsausgleich in der AHV entrichtet wird?
Die Mitte setzte sich dafür ein, dass den Rentnerinnen und Rentnern die volle Kaufkraft erhalten bleibt, da es stets schwieriger wird, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Dass die Landesverteidigung genug finanzielle Mittel hat, ist ebenso wichtig wie der Teuerungsausgleich. In unserem Land gibt es eine Schuldenbremse, an die sich alle Parteien zu halten haben. Ich sehe aber nicht ein, warum ein Land richtigerweise Milliarden für die Verteidigung ausgibt, richtigerweise 35 Milliarden im Rahmen der Pandemie ausgab, sowie richtigerweise 50 Milliarden zur Rettung einer einzigen Bank riskierte und dann kein Geld für die Rentnerinnen und Rentner hat. Das ist widersprüchlich.
Das Geschäft scheiterte im Ständerat an vier Abweichlern der Mitte-Partei.
Wir fanden bereits im Nationalrat keine Mehrheit. Für die Ständeräte, die sich der Stimme enthielten oder Nein votierten, war dies klar. In der Politik muss man merken, wenn man ein Geschäft nicht durchs Parlament bringt.
Was halten Sie davon, dass sich das Parlament selbst einen Teuerungsausgleich auszahlen will?
Das halte ich für sehr widersprüchlich vonseiten der FDP und GLP. Für mich ist es ausgeschlossen, dass das Parlament einen Teuerungsausgleich erhält und Rentner nicht.
Zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU: Wie sähen diese in einer idealen Welt aus?
So, wie sie im Moment sind, sind sie ziemlich ideal – einzig die EU ist nicht sonderlich zufrieden. Doch im Ernst: Wir haben ein gutes und tiefes Verhältnis mit der EU, denn kein anderes Land konnte sich in Volksabstimmungen derart oft zu ihr bekennen wie die Schweiz. Das ist eine sehr gute Basis, um über jene Fragen zu sprechen, bei denen man sich nicht einig ist.
Und zum Klimaschutz: Warum überlässt die Mitte dieses Thema anderen Parteien?
Da habe ich einen anderen Eindruck. Der Mantelerlass zum kraftvollen Ausbau der erneuerbaren Energien ist von unseren Vertretern im Ständerat stark geprägt worden und nun auf gutem Weg. Auch beteiligte sich die Mitte massgeblich am Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative, über die das Stimmvolk im Juni entscheidet.
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