Parteien im Formcheck – Teil 2Befinden sich die SP und die Grünen im Sinkflug?
Von Alex Rudolf
15.1.2023
Die Grünen waren die strahlenden Sieger*innen der Wahlen 2019, während die SP Verluste hinnehmen musste. Erste Umfragen zeigen, dass sich im Hinblick auf den 22. Oktober beide linken Parteien sorgen müssen.
Von Alex Rudolf
15.01.2023, 15:15
30.01.2023, 09:57
Alex Rudolf
Ausgangslage
Als die ganze Schweiz zuletzt 2019 an die Urnen schritt, um ihre Volksvertreter*innen zu wählen, war die Welt noch eine andere. Ein Krieg in Europa schien undenkbar. Eine Pandemie, die die Welt zum Stillstand bringt, noch viel unrealistischer. Damals schwappte eine grüne Welle über die Schweiz.
Die Grünen konnten einen Gewinn von satten 6,1 Prozent verbuchen und waren plötzlich vor der damaligen CVP (heute die Mitte-Partei) mit 13,2 Prozent Wähler*innenanteil die viertstärkste Kraft in der Parteienlandschaft.
Eine der Verliererinnen war die SP, die zwei Prozentpunkte einbüsste und einen Wähler*innenanteil von 16,8 Prozent erzielte.
Gemeinsam mit dem Zugewinn für die GLP (+3,2 Prozent) galt der Urnengang 2019 als Klimawahl, der mit einem leichten Linksrutsch des Parlaments einherging.
«Eine Nähe zu Woke-Themen ist für viele Wähler*innen abstossend.»
Die bisherigen Umfragen zeigen, dass die Kräfteverhältnisse der Parteien in der Schweiz sehr stabil sind. Das SRF-Wahlbarometer von Oktober 2022 – ein Jahr vor dem Urnengang – zeigte, wie stabil. Verglichen mit den Wahlen 2019 würden die Grünen (-1,5 Prozent) und die SP (-0,5 Prozent) zu den Verliererinnen gehören.
Dieselben Trends zeigt auch die Umfrage, welche die «NZZ» im Vorfeld zu den Zürcher Kantonsratswahlen in Auftrag gegeben hat. Obwohl hier mit einem Minus von 1,2 Prozentpunkten die SP die grösste Verliererin wäre.
Das sind die Hindernisse für SP und Grüne
Die SVP sammelte genügend Unterschriften für das Referndum gegen das vom Parlament beschlossene Klimagesetz. Voraussichtlich wird noch in diesem Jahr darüber abgestimmt. Die Grünen dürften sich an die Niederlage bei der Abstimmung zum CO₂-Gesetz im Sommer 2021 erinnern. Denn: «In Sachen Klimapolitik hinkt die Bevölkerung dem Parlament ein wenig hinterher», sagt Politgeograf Michael Hermann zu blue News. Daher dürfte bei den Grünen Unruhe herrschen.
Michael Hermann
KEYSTONE/PETER SCHNEIDER
Geograf und Politikwissenschaftler Michael Hermann leitet das Forschungsinstitut Sotomo und fühlt mit Umfragen regelmässig den Puls der Schweizer Bevölkerung.
Laut Hermann hat sich seit der CO₂-Abstimmung aber einiges verändert. «Mit der Energie-Knappheit aufgrund des Kriegs in der Ukraine kam ein weiterer Grund dazu, die Versorgung selber in die Hand zu nehmen», sagt er. Die Chancen für ein Ja aus der Bevölkerung sind also intakt.
Die SP sollte sich von Woke-Themen wie Frauenquoten oder Genderstern fernhalten, rät Hermann. Denn inhaltlich sei sie für viele wählbar, was Abstimmungen wie jene zur Erhöhung des Rentenalters für Frauen zeige: «Grosse Nähe zu Woke-Themen ist für viele Wähler*innen abstossend.»
Erfolgsbilanz
Wie ähnlich sich die Grünen und die SP sind, zeigt sich, wenn man die Abstimmungsergebnisse der vergangenen vier Jahre herbeizieht. Die beiden Parteien fassten stets die gleiche Parole, weshalb sie folglich beide genauso oft siegten, wie sie unterlagen.
Bei 17 Urnengängen stimmte das Volk so, wie es die SP und die Grünen wollten und 16 Mal gegenteilig.
Sowohl die Abschaffung der Stempelsteuer, als auch die Reform der Verrechnungssteuer konnte die SP mit Unterstützung der Grünen erfolgreich verhindern. «Gemeinsam mit dem Ja zur Pflegeinitiative stellen diese die grössten Erfolge der SP dar», so Hermann.
Auch dass die Frauenfrage im Rahmen der SP-Bundesratskandidatur so viel Raum eingenommen habe, schade der Partei. «So wird die SP immer wieder von Woke-Themen heimgesucht. Zum Vergleich: Bei der SVP glichen die Bundesratswahlen eher einem Schaulaufen.»
Dass das Volk das Co2-Gesetz Bach ab geschickt hat, dürfte der grösste Rückschlag der Grünen in der vergangenen Legislatur sein. Aber auch die Absage an ein Verbot von Pestiziden muss geschmerzt haben.
«Die Besorgnis ums Klima trat bei der Bevölkerung nicht in den Hintergrund», so Hermann. Fakt ist aber, dass 2019 eine besondere Dynamik herrschte, da viele junge Menschen auf die Strasse gingen und mobilisiert wurden.
«In Sachen Klima geht es heute mehr um Technologie anstatt um Lebenswandel und Verzicht. Und dieses Thema wird eher von der GLP besetzt», so Hermann.
Braucht es eine Abgrenzung?
Keine zwei Parteien unter der Bundeshauskuppel stehen sich näher als die SP und die Grünen. Das Abstimmungsverhalten und das Smart-Spider-Profil sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Ist das ein Problem?
Ja und Nein, meint Politgeograf Michael Hermann. So würden die beiden Parteien über eine sehr ähnliche Wählerschaft verfügen, die auch zwischen SP und Grünen wechseln kann. «Würde man sich mehr differenzieren, würde auch der Pool an möglichen Wähler*innen grösser», sagt er.
Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass die Grünen in vielen Bereichen nicht so weit links sind wie die SPD und daher für mehr Menschen wählbar sind.
Das sind die Köpfe
Seit Sommer 2020 ist der Zürcher Nationalrat Balthasar Glättli der neue Präsident der Grünen Schweiz und folgt somit auf die Berner Regula Rytz. Glättli muss grosse Fussstapfen füllen, da die Partei unter Rytz ihre grössten Siege verbuchen konnte.
Irene Kälin war 2022 die höchste Schweizerin und nutzte dieses Amt, um Themen zu setzen. So reiste sie mit einer kleinen Delegation in die vom Krieg gezeichnete Ukraine und begrüsste den marokkanischen Aussenminister Nasser Bourita auf Arabisch – eine kleine Sensation.
🇲🇦🇨🇭"Ahlan wa sahlan" : la Présidente du Conseil National (Chambre basse du parlement suisse) Irène Kälin souhaite la bienvenue au Ministre des Affaires Étrangères, Nasser Bourita, à l’occasion de sa visite officielle à Berne.#hespressfr#vidéovirale#visiteofficielle#suissepic.twitter.com/jor7VcrbQT
Seit Oktober 2020 hat die SP zwei Gesichter an der Spitze. Erstmals teilen sich zwei Personen das Präsidium einer der grössten Schweizer Parteien. Mattea Meyer und Cédric Wermuth machen Jobsharing in der Politik salonfähig.
Als Gesundheitsminister führte Alain Berset die Schweiz durch die Krise und machte dabei eine gute Figur. Er wandelte sich zu einer Art Landesvater, dem die Nation an den Lippen hing. Skandale um einen Irrflug in Frankreich oder eine angebliche Affäre können ihm nichts anhaben.
Mattea Meyer im Interview: «Es tat gut, einen halben Schritt weg vom Politalltag zu sein»
Als erste Chefin einer nationalen Partei ging Mattea Meyer von der SP in den Mutterschaftsurlaub. Im Interview verrät sie blue News, ob sie trotz Urlaub hin und wieder ins Geschehen eingegriffen hat.