Vier Fragen an: Marco Chiesa, Parteipräsident SVP Schweiz
Der SVP-Parteipräsident über das passendste Lied für die SVP, wann er das letzte Mal vegan gegessen hat, welches Schweizer Klischee stimmt und was für einen Schlüsselanhänger er hat.
03.02.2023
Noch neun Monate bis zu den eidgenössischen Wahlen: SVP-Präsident Marco Chiesa sagt im Interview, wie die Partei Wähler*innen zurückgewinnen will – und wann er zuletzt vegan gegessen hat.
«Freiheit und Sicherheit»: Auf Deutsch, Französisch und Italienisch prangen die Wahlparolen an den Wänden des SVP-Fraktionszimmers im Bundeshaus.
«Und Neutralität» ergänzt Marco Chiesa, bevor er sich wegdreht und eine Kaffeekapsel in die Maschine wirft.
Seit zweieinhalb Jahren steht der 48-Jährige an der Spitze der SVP. Ein strenges Wahljahr steht ihm bevor. Der Druck ist hoch, keine erneuten Verluste wie bei den Wahlen 2019 einzufahren. Neun Monate bevor es ernst gilt, ist der Tessiner äusserst zuversichtlich, mit altbekannten Rezepten ausreichend Wähler*innen zu mobilisieren.
Herr Chiesa, ist für einen SVP-Präsidenten ein Wahljahr überhaupt speziell? Für die SVP ist doch nonstop Wahlkampf.
Ich bin einiges mehr unterwegs. Von Genf bis Frauenfeld, von Basel bis Mendrisio. Es ist wichtig – gerade im Wahljahr –, die Basis zu spüren.
blue News trifft
Im Wahljahr 2023 trifft blue News die Präsident*innen der grossen Parteien. Ebenfalls bereits erschienen sind die Gespräche mit GLP-Präsident Jürg Grossen, Mitte-Präsident Gerhard Pfister und SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer. Falls du Fragen an einen der Präsident*innen hast, dann schreibe sie hier in die Kommentarfunktion. Deine Meinung interessiert uns.
Ihr Vorgänger als SVP-Chef, Albert Rösti, fuhr bei den letzten Wahlen 2019 Verluste ein, kurz darauf war er nicht mehr im Amt. Droht Ihnen das gleiche Schicksal?
Sie meinen, ich werde auch in den Bundesrat gewählt wie mein geschätzter Vorgänger? Als Präsident der SVP habe ich keine Angst, für die Werte unseres Landes zu kämpfen.
3,8 Prozent Wähleranteil hat die SVP eingebüsst. Nach eigenen Angaben will Ihre Partei im Herbst 100'000 Stimmen zurückgewinnen. Wie soll Ihnen das gelingen?
2019 war die Klimawahl und beherrschte die politische Agenda. Wir haben unsere Wähler nicht ausreichend mobilisieren können. Doch die Stromkrise und die hohen Energiepreise zeigen, dass die Versprechen, die der Bevölkerung gemacht wurden, völlig realitätsfremd sind.
Stichwort Versprechen: Das Stimmvolk hat den AKW-Ausstieg erst vor wenigen Jahren angenommen. Jetzt spricht sich ausgerechnet die SVP für AKW aus. Warum wollen Sie sich über den Willen des Volkes hinwegsetzen?
Wissen Sie, was die damalige Bundesrätin Doris Leuthard der Bevölkerung versprochen hat? Sie sagte, die Versorgungssicherheit sei gewährleistet, in Europa werde ohnehin genug Strom produziert. Und der ganze Umstieg koste pro Haushalt nur 40 Franken im Jahr. Diese sogenannte Energiestrategie ist brutal gescheitert. Wer eine sichere Energieversorgung will, setzt deshalb zuerst auf den Ausbau verschiedener Energiequellen, ohne Technologieverbote. Erst dann kann man den Ausstieg aus den fossilen Energien zuverlässig angehen.
Aber Wind, Sonne, Wasserkraft: All das sind erneuerbare Energieformen, mit denen wir uns von der ausländischen Abhängigkeit lösen können. Da sollte doch das SVP-Herz höherschlagen.
Natürlich müssen wir auch in die erneuerbaren Energien investieren. Aber bitte die Fakten nicht ausblenden. Wind und Sonne liefern im Winter viel zu wenig Strom. Solange wir die Energie nicht ausreichend speichern können, müssen wir auf möglichst verschiedene Energieträger ohne Technologieverbote setzen.
Um den Energiebedarf zu decken, müssten wir 17 Pumpspeicherkraftwerke in der Grösse von Grande Dixence bauen. Können Sie mir sagen, wo? Die links-grünen Umweltverbände verhinderten zwanzig Jahre lang nur schon die Erhöhung der Grimsel-Staumauer.
Die Schweiz und die EU haben sich beide das Netto-Null-Ziel bis 2050 gesetzt. Ihre Partei kritisiert das. Wollen Sie den Klimawandel einfach aussitzen?
Die Schweiz ist vorbildlich. Wir haben den CO2-Ausstoss pro Kopf deutlich gesenkt. Aber wie wollen Sie gleichzeitig Energie sparen, wenn jedes Jahr 70'000 bis 80'000 Menschen zusätzlich in die Schweiz kommen? Die brauchen auch Strom, Wasser, Autos, Wohnungen. Die links-grünen Weltretter wollen ausgerechnet die AKW abstellen, obwohl diese mittlerweile klimaneutral Strom produzieren. Und zwar auch in den Wintermonaten, wenn alle Solarpanels nichts nützen.
Das Referendum gegen das Klimagesetz haben Sie noch unter der damaligen Uvek-Vorsteherin Simonetta Sommaruga ergriffen. Jetzt müssen Sie gegen Albert Rösti – einen SVP-Bundesrat – antreten. Vermasselt er Ihnen das Wahlkampfthema?
Im Gegenteil. Albert Rösti hat als Nationalrat sogar das Referendum gefordert und es auch unterzeichnet. Jetzt als Bundesrat muss er die Meinung der Regierung vertreten. Das liegt in der Natur unseres Politsystems und in der Rolle, in der sich Albert Rösti befindet.
Vor dem Gespräch haben Sie die Neutralität als weiteres Wahlkampfthema genannt. Die SVP versteckt sich doch hinter dem Begriff. Haben Sie Angst vor Putins Rache?
Ich befürchte eine Ausweitung des Konflikts und den Einsatz von immer zerstörerischeren Waffen. Wir bewegen uns auf eine geopolitische Spaltung zu. Die USA und Europa auf der einen Seite, Russland und China auf der anderen. Das ist eine Welt, die ich meinen Kindern nicht überlassen möchte.
Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates will Kriegsmaterial-Exporte an die Ukraine erlauben.
Diese Exporte würden unsere Neutralität beerdigen. Ganz abgesehen davon, dass das Kriegsmaterialgesetz dies nicht zulässt. Ich bin sehr besorgt, wie die anderen Parteien unsere Sicherheit aufs Spiel setzen. Wir sollten uns nicht in fremde Konflikte einmischen. Dank der Neutralität wurde unsere Bevölkerung seit über 200 Jahren von blutigen Konflikten bewahrt.
Kommen wir zum SVP-Dauerthema: der Asyl- und Migrationspolitik: Wenn das Asylthema der SVP so sehr am Herzen liegt: Warum haben die Bundesräte Albert Rösti und Guy Parmelin dann nicht das EJPD übernommen, sondern es Elisabeth Baume-Schneider überlassen?
Das war ein bundesrätlicher Entscheid. Darauf hatten wir keinen Einfluss.
Die SVP will diesbezüglich einfach keine Verantwortung übernehmen?
Hätten wir einen dritten Bundesratssitz, würde die Situation wieder anders aussehen und die SVP würde sich von Herzen gern dem EJPD annehmen.
Die SVP stellt die Migration immer als Problem dar. Aber ohne Zuwanderung wäre der Fachkräftemangel noch gravierender.
Es geht um das Mass. In den letzten zehn Jahren sind eine Million Menschen in unser Land eingewandert – und trotzdem wird über den Fachkräftemangel gejammert. Da stimmt etwas nicht. Die Zuwanderung ist zu hoch und nicht an den Bedürfnissen der Schweiz ausgerichtet.
Zum Schluss noch ein kurzes Statement zur Causa Berset, die den Wahlkampf auch mitprägen dürfte. Sollte er zurücktreten?
Wenn er vom engen Austausch seines Kommunikationsberaters Peter Lauener und Ringier-Chef Marc Walder wusste, dann ja. Falls er nichts davon wusste, dann haben wir eine Krise im Bundesrat. Es liegt nun an der GPK, Fakten zu schaffen.
Transparenz-Hinweis der Redaktion:
Aus Zeitgründen hat Marco Chiesa die Fragen zur Ukraine nachträglich schriftlich beantwortet.