Parteien im Formcheck – Teil 3Die Mitte kämpft gegen den Abstieg, die GLP hat Rückenwind
Von Gil Bieler und Alex Rudolf
30.1.2023
Parteien im Formcheck: Mitte und GLP
Nationalrat und Parteichef Gerhard Pfister (ZG) hält bei der Mitte-Partei die Zügel in der Hand.
Bild: Keystone
Parteipräsident Jürg Grossen (BE) und Fraktionschefin Tiana Angelina Moser (ZH) leiten die Geschicke der GLP. Beide sitzen im Nationalrat.
Bild: Keystone
Parteien im Formcheck: Mitte und GLP
Nationalrat und Parteichef Gerhard Pfister (ZG) hält bei der Mitte-Partei die Zügel in der Hand.
Bild: Keystone
Parteipräsident Jürg Grossen (BE) und Fraktionschefin Tiana Angelina Moser (ZH) leiten die Geschicke der GLP. Beide sitzen im Nationalrat.
Bild: Keystone
Die Mitte bestreitet ihren ersten nationalen Wahlkampf unter diesem Namen – und muss ihren Abwärtstrend stoppen. Die GLP dagegen spürte bisher immer nur Aufwind. Geht das so weiter?
Von Gil Bieler und Alex Rudolf
30.01.2023, 06:38
Gil Bieler und Alex Rudolf
Wo stehen die Parteien?
Die Mitte hiess bei den letzten Wahlen 2019 noch CVP, und sie setzte ihren schleichenden Niedergang fort: 11,4 Prozent (-0,2 Prozent) der Wählenden gaben ihre Stimme der CVP. Seit 1995 hat die Partei damit 5,4 Prozent an Wähleranteil eingebüsst. Im Parlament bleibt die Mitte-Fraktion mit 45 Mitgliedern gleichwohl die drittstärkste Kraft noch vor der FDP, wobei ihr auch drei EVP-Mitglieder angehören.
Parteien im Formcheck
Zu Beginn des Wahljahres 2023 unterzieht blue News alle Parteien, die im Parlament Fraktionsstärke haben, einem Formcheck. Den Auftakt machten die bürgerlichen Parteien SVP und FDP. Teil 2 widmete sich SP und den Grünen. Mit diesem Artikel zu Mitte und GLP endet die Serie.
Um ihren Stand von 2019 zu wahren, müsste die Mitte nicht nur die CVP-Wähler*innen halten, sondern auch noch die 2,4 Prozent BDP-Wählerschaft. Die beiden Parteien haben schliesslich 2021 fusioniert.
Zusammen gibt das13,8 Prozent Stimmenanteil – alles darunter könnte der Mitte im Herbst 2023 als Verlust ausgelegt werden.
Der einstigen CVP habe zu schaffen gemacht, dass die SVP seit Ende der Neunzigerjahre die Wählerschaft im politischen Zentrum abgeworben habe, sagt Politologe Lukas Golder, Co-Leiter des Forschungsinstituts GFS Bern, zu blue News. «2003 wurde die SVP zur stärksten Kraft in diesem Milieu und man hatte gedacht, der Niedergang der CVP wäre damit gestoppt.» Doch sei es weiter abwärts gegangen. Aus Gründen: «Ausserhalb ihrer katholischen Stammlande konnte sie nie Fuss fassen, und wie alle Volksparteien hat sie mit der Überalterung zu kämpfen.»
Ganz anders das Bild bei der GLP. Die Grünliberalen legen, seit sie 2007 national in Erscheinung traten, kontinuierlich zu. Zuletzt machten sie 2019 einen Sprung nach vorn, auf 7,8 Prozent (+3,2 Prozent). Das bisher beste Ergebnis für die Grünliberalen, die damit auch erstmals Fraktionsstärke im Eidgenössischen Parlament erreichten, wo sie 16 Nationalratssitze hält. Im Ständerat ist sie noch nicht angekommen.
Den Wachstumssprung hätten die Grünliberalen gut auffangen können, findet Golder. Das sei keine einfache Aufgabe gewesen, die die Partei aber dank der Führungsspitze gemeistert habe. «Die GLP wird als ruhig und stabil geführt wahrgenommen, damit kann sie punkten», sagt Golder. Die GLP lebe von ihrem attraktiven Image – obwohl man in vielen Fragen gar nicht so recht wisse, wofür sie im Detail einstehe.
Was sagen die Prognosen voraus?
Für die Mitte sieht es – ein Jahr vor dem Urnengang – noch nicht nach einem Befreiungsschlag aus. Laut SRG-Wahlbarometer käme sie auf 13,3 Prozent Stimmenanteil, minus 0,5 Prozent gegenüber 2019 (wenn man CVP- und BDP-Stimmen zusammenzählt).
«Wenn man sich die anhaltenden Verluste der ehemaligen CVP vor Augen führt, dann wäre ein kleinerer Rückgang als üblich schon ein positives Zeichen», findet Golder. Die CVP habe mit der BDP eine «sehr unattraktive» Partnerschaft eingehen müssen.
Dennoch will der Polit-Analyst nicht alles schlechtreden: In den kantonalen Wahlen habe sich die Partei besser geschlagen, als manche vermutet hatten. Sein Fazit lautet daher: «Der Start unter dem neuen Namen ‹Die Mitte› ist gelungen, aber es fehlt noch an Beschleunigung.»
Die GLP hat gemäss Umfragen dagegen weiterhin Aufwind: Für die Partei liegen laut der Prognose 9,3 Prozent drin – plus 1,5 Prozent.
Mit Blick auf die Kantone sieht auch Golder bei der Partei noch einiges brachliegendes Potenzial. 9 der 16 grünliberalen Parlamentarier*innen stammen aus Zürich oder Bern. «Das liegt daran, dass in den kleineren Kantonen bei weitem noch keine Strukturen oder das nötige Personal vorhanden sind, um die national ausgestrahlte Energie der Partei auch kantonal umzusetzen.» Das Potenzial, sich in neuen Kantonen zu etablieren, werde daher tendenziell wohl eher überschätzt.
Auf welche Themen setzen die Parteien?
Die Mitte hat insgesamt drei Volksinitiativen am Start. Mit zweien davon widmet sie sich einem ihrer Steckenpferde: die finanzielle Gleichstellung von Paaren unabhängig ihres Zivilstands. Das Begehren «Ja zu fairen Steuern» fordert die Abschaffung der sogenannten Heiratsstrafe, also den Steueraufschlag, den Ehepaare gegenüber unverheirateten Paaren oft berappen müssen. Das andere Volksbegehren mit Namen «Ja zu fairen AHV-Renten» zielt auf eine Gleichstellung bei der Altersvorsorge ab. Die Sammelfrist läuft jeweils noch bis März 2024.
Déjà-vu? Genau: Eine Mitte-Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe hatte das Volk 2016 sehr knapp abgelehnt. Weil der Bund falsche Zahlen vorgelegt hatte, entschied das Bundesgericht später, dass die Abstimmung aufzuheben sei.
«Dauerwahlkampf ist für eine Partei der politischen Mitte eigentlich kein gutes Umfeld», sagt Golder. «Sie will sich im normalen Tagesgeschäft nicht gegen andere Parteien profilieren, sondern vermitteln und Lösungen finden.» Ein Wahlkampf sei wie «ein Kopfstand» für die Mitte-Partei. Er verstehe daher, dass die Mitte auf das Instrument der Initiativen setze: Mit dem Unterschriftensammeln werde die eigene Wählerschaft mobilisiert, während zugleich Werbung für die Partei gemacht werde.
Dass die beiden Initiativen auf ein eher klassisches Familienmodell abzielten, sei kein Nachteil. Die Gesellschaft individualisiere sich ohnehin, weshalb es heute auch mehr 10-Prozent-Parteien gebe statt einiger grosser Volksparteien.
Die GLP setze keine eigenen Themen, findet Golder. «Sie hat auch im Parlament noch keine grossen Stricke zerrissen.» Das sei ohnehin einer seiner Kritikpunkte an der Partei: «Programmatisch ist sie schwer zu fassen.» Es gebe zwar immer wieder Themen, wo GLP-Exponent*innen mit interessanten Aussagen auffielen, etwa Ex-Parteichef Martin Bäumle in der Corona-Krise. «Doch das liegt dann mehr an den individuellen Charakteren, nicht am Parteiprogramm.»
Klar profiliert habe sich die GLP aber in der Europafrage, Parteichef Jürg Grossen findet, die Schweiz hätte den bilateralen Rahmenvertrag mit der EU unterzeichnen sollen. «Während die anderen Parteien zurückkrebsen mussten, konnte sie sich ein proaktives Profil geben», sagt Golder.
Wobei der Partei hier zugutekomme, dass sie nicht im Bundesrat vertreten sei und darum auch keine Verantwortung mittragen müsse, wenn einmal etwas schiefgehe. «Dieses Spiel mit der Oppositionsrolle beherrscht die GLP besser als die Grünen.»
Und wie passen all die Krisen ins Konzept?
Klimakrise, Energiekrise, Krieg in der Ukraine: 2023 ist ein Jahr der Krisen.
Die aktuelle Themenlage spiele der Partei mit «grün» im Namen eher in die Hände als der Mitte, glaubt Golder. «Die Klimakrise bleibt ein sehr zentrales Thema.» All die Krisen hätten an dieser Wahrnehmung nichts geändert, weshalb die GLP relativ entspannt bleiben könne. «Sie muss nicht damit rechnen, dass sie abgestraft wird.»
Eine Stärke der GLP sei ausserdem das Milieu, das sie anspreche: urban, gut gebildet, modern und umweltfreundlich. Menschen, denen traditionelle Branchen und Strukturen eher fremd seien. «Die GLP holt digitale Nomaden und jüngere Wähler, die die Work-Life-Balance höher gewichten, viel besser ab als eine FDP.»
Die Mitte könne sich in der aktuellen Themenlage – gerade in der Sicherheitsdebatte infolge des Kriegs in der Ukraine – weniger profilieren als die stramm bürgerlichen Parteien FDP und SVP, sagt Golder.
Schaffe die Mitte es, den Wähleranteil von CVP und BDP zu verteidigen, sei das «nicht wahnsinnig viel, aber auch nicht zu unterschätzen», resümiert Golder. «Die Mitte bliebe dann innerhalb der kleinen Parteien eine der Grossen. Und das trotz der dramatischen Veränderungen, die die Wahlen 2019 in der Parteienlandschaft ausgelöst haben.»
Wer setzt den Ton?
Er ist das Gesicht wie auch die Stimme der Mitte: Gerhard Pfister, Parteipräsident und Nationalrat. Der Zuger findet stets deutliche Worte. Zuletzt als er in der SRF-«Arena» forderte, die Schweiz sollte die Erlaubnis erteilen, dass Munition in die Ukraine geliefert werden darf. «Es ist ein Widerspruch, dass der Bundesrat die Ukraine-Gesuche ablehnt, aber direkt Waffen nach Saudi-Arabien liefern lässt.»
Sanija Ameti sitzt für die GLP im Zürcher Gemeinderat. In ihrer Funktion als Co-Präsidentin der Operation Libero ist sie eine der prominentesten Stimmen für klare Verhältnisse mit Brüssel und wurde so zu einem der bekanntesten Polit-Gesichter der Schweiz.
Sanija Ameti von der Operation Libero : «Wir wünschen der FDP viel Glück, obschon ihre Chancen gering sind»
Geht es um die Beziehung der Schweiz zur EU, ist Sanija Ameti eine Meinungsmacherin. Die Co-Präsidentin der Operation Libero erklärt ihren Kampf gegen konservative Kreise und für eine Beteiligung der Schweiz in Europa.
14.01.2022
Auch Elisabeth Schneider-Schneiter gibt als Mitglied der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Nationalrats in der Mitte den Ton in Sachen EU-Dossier vor. Kein Wunder: Sie ist bereits seit 2010 Mitglied der APK und wirkt kein bisschen amtsmüde.
Seit 2020 steht der Walliser Philipp Matthias Bregy der Mitte-Bundeshausfraktion vor und macht in dieser Rolle eine gute Figur. Auch seine Auftritte in der SRF-«Arena», bei denen er mit erfrischenden Voten auffällt, wirken authentisch.
Jürg Grossen sitzt zwar bereits seit 2011 im Nationalrat, einer breiten Öffentlichkeit wurde er jedoch erst 2017 bekannt, als er das GLP-Präsidium übernahm. Die Fussstapfen waren gross, zumal sein Vorgänger Martin Bäumle einer der Mitbegründer der Partei ist. Doch Grossen hat sich etabliert und kann es nicht nur in der «Arena» mit den anderen Parteipräsident*innen aufnehmen.
Tiana Angelina Moser ist die Präsidentin der GLP-Fraktion im Bundeshaus und formt so die Politik ihrer Partei mit. Auch sie sitzt wie Schneider-Schneiter in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats. Moser sieht die Demokratie nicht als «klinisches Produkt», wie sie der «Rundschau» sagte, und will ebenfalls geregelte Beziehungen zur EU.