Parteien im Formcheck – Teil 1 Bei einem Hitzesommer «wird's für die FDP ungemütlich»

Von Gil Bieler

12.1.2023

SVP-Parteichef Marco Chiesa (l.) und FDP-Parteipräsident Thierry Burkart während einer Debatte im Ständerat.
SVP-Parteichef Marco Chiesa (l.) und FDP-Parteipräsident Thierry Burkart während einer Debatte im Ständerat.
Bild: Keystone

Bei den letzten Wahlen mussten die FDP und insbesondere die SVP Federn lassen, ins Wahljahr 2023 gehen sie dagegen mit Rückenwind. Wie kommt's? Ein Formcheck der beiden bürgerlichen Parteien. 

Von Gil Bieler

Wo stehen die Parteien?

Die SVP war bei den letzten Eidgenössischen Wahlen wie gewohnt der Platzhirsch, was die Parteienstärke angeht. Sie kam im November 2019 auf 25,6 Prozent Wähleranteil – mehr als alle anderen, aber mit einem Minus von 3,8 Prozent gegenüber den vorangegangenen Wahlen musste die erfolgsverwöhnte Partei dennoch einen Dämpfer hinnehmen.

Parteien im Formcheck

Zu Beginn des Wahljahr 2023 unterzieht blue News alle Parteien, die im Parlament Fraktionsstärke haben, einem Formcheck. Den Auftakt machen die bürgerlichen Parteien SVP und FDP. Teil 2 widmet sich SP und Grünen, der dritte und letzte Teil Mitte und GLP

Auch die FDP musste bei den letzten Wahlen Federn lassen und kam noch auf 15,1 Prozent Wähleranteil, ein Minus von 1,3 Prozent. Der Freisinn belegte so zwischen der schwächelnden SP und den erstarkten Grünen Platz 3 der wählerstärksten Parteien.

Im Wahljahr 2023 könnten nun beide Parteien wieder Fuss fassen – darauf lässt zumindest der erste Wahlbarometer der SRG schliessen. Die Prognose lässt für die SVP einen Wähleranteil von 26,1 Prozent (+0,5 Prozent) erwarten, für die FDP 16,1 Prozent (+1 Prozent). Die FDP könnte demnach zur SP aufschliessen.

Dass beide Parteien ein Momentum haben, bestätigt Olivier Strijbis, Politologe an der Universität Zürich, im Gespräch mit blue News. Doch liege das vor allem an der Themenlage. Sowohl die Versorgungs- als auch die Sicherheitskrise mit dem Krieg in der Ukraine spielten SVP und FDP in die Karten.

«Ich glaube sogar, dass die SVP in den letzten Jahren nicht besonders stark unterwegs war.» Dennoch habe die Partei eine stabile Basis und werde deshalb sicherlich 25 Prozent Wähleranteil holen. Aber es gebe noch einiges an nicht ausgeschöpftem Potenzial.

«Die FDP konnte ihren langwierigen Sinkflug stoppen.» Auch das führt der Politologe primär auf die Krisenzeiten zurück, in denen der Freisinn traditionell punkten könne. Doch das könnte sich ändern: «Wenn es in der Ukraine einen Waffenstillstand gibt und wir wieder einen Hitzesommer erleben, wird es für die FDP im Herbst um einiges ungemütlicher – gerade, um gegenüber der GLP zu bestehen.»

Neue Köpfe – neuer Schwung?

Seit den letzten Wahlen haben sowohl SVP als auch FDP neue Parteichefs bekommen. Der Tessiner Marco Chiesa führt die SVP seit Sommer 2020, beim Freisinn hat der Aargauer Thierry Burkart seit Oktober 2021 das Sagen.

«Marco Chiesa ist kein zugkräftiger Präsident für die SVP», befindet Politologe Strijbis. «Doch wie sich gezeigt hat, ist das auch gar nicht so entscheidend für den Wahlerfolg der Partei.» Die Partei habe eine äusserst stabile Kernwählerschaft, die ihr unabhängig vom Präsidenten und der thematischen Grosswetterlage treu bleibe.

Anders sehe das beim Freisinn aus: Thierry Burkart habe im Vergleich zu seiner Vorgängerin Petra Gössi einen relativ starken Kurswechsel eingeleitet. «Sein klar konservativ-bürgerlicher Kurs hat der FDP in der aktuellen Themenlage geholfen, sich zu stabilisieren.»

Für Strijbis ist klar: «Thierry Burkart ist ein guter Parteipräsident für die aktuelle Themenlage. Aber ob das auch gilt, wenn auf einmal Klimawandel oder die europäische Integration zuoberst auf der Agenda stehen, das bezweifle ich.»

Was waren die grössten Erfolge?

An der Urne schlug sich die FDP in den letzten Jahren besser als die SVP. Die FDP stand bei 33 eidgenössischen Abstimmungsvorlagen (seit Februar 2020) 22 Mal auf der Gewinnerseite.

Die SVP positionierte sich derweil 18 Mal gleich wie die Volksmehrheit. Etwa bei der «Ehe für alle» gab die SVP die Nein-Parole aus, die FDP dagegen sagte Ja – wie am Ende auch das Stimmvolk. 

Einen spektakulären Erfolg feierte die SVP im Juni 2021, als das Volk das CO2-Gesetz mit 51,6 Prozent Nein-Stimmen bachab schickte. Die SVP hatte das Referendum gegen alle anderen grossen Parteien durchgeboxt. Im Ja-Lager hatte damals ausgerechnet die FDP – noch unter Parteichefin Petra Gössi – den Ton angegeben. 

CO2-Gesetz gescheitert, SVP jubelt

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Bei einem anderen Steckenpferd – der Personenfreizügigkeit mit der EU – erlitt die SVP dagegen eine herbe Schlappe: Im September 2020 versenkte das Stimmvolk ihre Begrenzungsinitiative mit 61,7 Prozent Nein-Stimmen sehr deutlich. Auch die FDP hatte damals die Nein-Parole ausgegeben und stand daher am Ende auf der Seite der Volksmehrheit.

Welche Themen stehen im Wahljahr an?

Im Wahljahr 2023 steht die SVP vor einer kniffligen Aufgabe. Ihr neu gewählter Bundesrat Albert Rösti hat das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) übernommen. Seine Vorgängerin, SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, diente noch als zweckdienliches Feindbild, wenn die SVP gegen Klimaschutz-Massnahmen opponierte. So begann die Partei etwa Unterschriften gegen das neue Klimaschutzgesetz zu sammeln, mit dem das Treibhausgas-Ziel «Netto null» per 2050 erreicht werden soll, als noch Sommaruga dem Uvek vorstand. Am Montag teilte die SVP mit, sie habe die nötigen Unterschriften für das Referendum zusammen. 

Das Gesetz verteidigen wird nun Albert Rösti müssen. Das werde die SVP aber vor keine Probleme stellen, glaubt Oliver Strijbis. «Die SVP dürfte sich in kurzer Zeit auch von Albert Rösti distanzieren und weiterhin auf Opposition machen, obwohl sie im Bundesrat sitzt.» Die Partei schiebe unpopuläre Entscheide gerne einer angeblichen Mitte-links-Mehrheit im Bundesrat zu. Dass ihr eigener Vertreter jetzt Umweltminister sei, sei aber sicherlich nicht optimal für den SVP-Wahlkampf.

Dass die Partei während der Corona-Pandemie die Schutzmassnahmen besonders laut kritisiert habe, dürfte ihr langfristig eher schaden, glaubt Strijbis: «Sie musste mit diesem Kurs in mehreren Kantonen gegen sehr beliebte SVP-Regierungsmitglieder politisieren, etwa gegen Natalie Rickli in Zürich oder Jean-Pierre Schnegg in Bern.» Das sei nicht überall gut angekommen. Dagegen habe sich die Hoffnung der Partei, dass ihr die Massnahmen-Gegner*innen langfristig treu bleiben würden, nicht bewahrheitet.

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Die FDP setzt im Wahljahr unter anderem auf eine Volksinitiative ihrer Frauen-Sektion, mit der die Individualbesteuerung eingeführt werden soll. Damit soll die «Heiratsstrafe» für verheiratete Paare beseitigt und die Steuerlast gesenkt werden.

Reicht ein solcher Vorstoss, um im Wahljahr Akzente zu setzen? Durchaus, findet Strijbis. Er beobachte ohnehin: Die grossen Fragen, die kurz vor dem Urnengang im Vordergrund stünden, hätten immer grösseres Gewicht auf den Wahlentscheid. Dagegen kämen die Parteien zunehmend davon weg, eigene Themen durchsetzen zu wollen. «Sie müssen auf jenen Themen surfen, die die Agenda vorgibt – oder können höchstens versuchen, den Fokus auf ein anderes Thema zu lenken.»

Stünden im Herbst Umwelt- oder Migrationsthemen im Vordergrund, sei das für die SVP günstig. Für die FDP dagegen wäre es problematischer, sollte der Klimawandel zuoberst auf der Agenda stehen. Mittel- und langfristig müsse der Freisinn in der Energiepolitik aber «grüner» werden, glaubt Strijbis: «Sonst verlieren sie eine ganze Generation von jungen liberalen Wählenden, die sich dann an die GLP binden.»