Sexismus in Medienhäusern Nicht nur Patrizia Laeri muss «ungewollte Küsse» abwehren

Von Gil Bieler

11.2.2023

Frauenfeindliche Sprüche, ungewollte Küsse, ein «Klapps aufs Füdli»: In jedem Medienhaus gebe es sexistische Vorfälle, sagt Nadja Rohner von Medienfrauen.ch. Doch wenigstens setze nun ein Umdenken ein.

Von Gil Bieler

Kaum ein Tag, ohne dass weitere sexuelle Übergriffen auf Schweizer Redaktionen publik werden. Nachdem die ehemalige SRF-Journalistin Patrizia Laeri ihr Schweigen gebrochen hat, tun es ihr weitere SRF-Mitarbeiterinnen gleich. Bei der Gewerkschaft SSM seien mehrere Fälle gemeldet worden, darunter solche von «nicht tolerierbarem Verhalten», berichtete «Watson» am Freitag.

In der Medienbranche bestehe ein strukturelles Problem mit Frauenfeindlichkeit – das steht für Nadja Rohner ausser Frage. «Man hört das leider immer wieder: Wenn eine neue Praktikantin auf der Redaktion anfängt, wird sie vor diesem oder jenem Kollegen gewarnt. Das sagt ja eigentlich schon alles», sagt die Journalistin, die auch Co-Präsidentin von Medienfrauen.ch ist. Der Verein setzt sich für die Vernetzung und Förderung von Frauen in der Medienbranche ein.

Sexismus äussere sich in ganz unterschiedlichen Formen und Ausprägungen. Dazu zählen Mikroaggressionen wie frauenfeindliche Sprüche, die im Beisein von Mitarbeiterinnen gerissen würden. Ein Chef, der junge Mitarbeiterinnen «Mäuschen» rufe. Aber auch handfeste Fälle sexueller Belästigung wie ein «Klaps aufs Füdli» oder ungewollte Küsse.

Im Prinzip gehe es aber immer um dasselbe, sagt Rohner im Gespräch mit blue News: Männer – oft in einer Machtposition – pflegten einen unangemessenen Umgang mit Frauen. «Dass es das im Jahr 2023 noch immer gibt, ist ernüchternd.»

Aus #MeToo wird #MediaToo

Die Medienbranche diskutiert gerade so intensiv über Sexismus und Mobbing wie womöglich noch nie. Losgetreten hat diese Debatte die Journalistin und ehemalige Redaktorin des «Magazins» des «Tages-Anzeigers», Anuschka Roshani. Im deutschen Magazin «Spiegel» erhebt sie schwere Vorwürfe gegen den langjährigen «Magazin»-Chefredaktor Finn Canonica.

Er habe sie als Frau erniedrigt und verhöhnt, ihr angebliche Bettgeschichten angedichtet. Gleichzeitig habe er sie «die Ungef***te» genannt. Bei der Lektüre ihrer Texte habe er mit Hakenkreuzen jene Stellen markiert, an denen ihre deutsche Herkunft herauszulesen war. Wenn sie zum Beispiel den Germanismus «Kekse» anstelle des Helvetismus «Guetzli» verwendete. Tamedia sei untätig geblieben und habe Canonica gedeckt, sagt sie.

Im Sommer 2022 trennte sich das Zürcher Medienhaus von Canonica, Ende desselben Jahres wurde Roschani entlassen. Sie klagt gegen den Verlag.

Tamedia erklärte, dass eine externe Untersuchung eingeleitet worden sei. Doch habe sich gezeigt, dass sich Roshanis Vorwürfe «zu einem grossen Teil nicht bestätigten». Canonica selber fühle sich missverstanden und «maximal an den Pranger gestellt», heisst es in einem Brief an seine Bekannten, aus dem das Medienportal Persoenlich.com zitiert.

Der Fall weckt Erinnerungen an den Internationalen Frauentag im März 2021: Damals beklagten 78 Tamedia-Mitarbeiterinnen in einem Brief an die Geschäftsleitung ein männerdominiertes, frauenfeindliches Betriebsklima. So würden Frauen auch weniger gefördert und schlechter entlohnt.

Daher erstaunt es kaum, brachte Roshani nun eine ganze Bewegung ins Rollen. Immer mehr Journalistinnen teilen ihre Erfahrungen mit männlichen Vorgesetzten, Kollegen und Gesprächspartnern. Aus #MeToo wurde #MediaToo.

«Verkrustete Rollenbilder» als Problem

Auch Wirtschaftsjournalistin und «ElleXX»-Leiterin Patrizia Laeri machte auf Twitter einen Übergriff publik, der rund 20 Jahre zurückliege: «Es ist in meinen ersten Wochen bei SRF passiert», sagte sie zu «Watson». «Ein Redaktor hat mir Hilfe angeboten. Als wir allein in einem Raum waren, probierte er plötzlich, mich zu küssen.» Sie habe mehrfach Nein gesagt, er habe nicht lockergelassen. «Ich musste mich körperlich wehren.»

Redaktorinnen der Zeitschrift «Annabelle» haben ebenfalls aufgeschrieben, was sie erlebt haben, wobei auch weibliche Vorgesetzte angeprangert werden. «Meine damalige Vorgesetzte war unberechenbar – es dauerte Jahre, bis ich begriff: Das war exakt so ein ‹Klima der Angst›, wovon in den Berichterstattungen über toxische Unternehmenskulturen oft die Rede ist», schreibt eine Redaktorin.

Eine andere erinnert sich an «sexistische Sprüche» eines Vorgesetzten: «Statt mir zuzuhören, fragte er vor versammelter Runde amüsiert und verwundert, warum ich denn Lippenstift trage. Oder nannte mich ‹Fräulein›. Sexistische «Witzli» seien normal gewesen. «Ich dachte jahrelang, das sei halt einfach so.»

«Als ich gelesen habe, was Anuschka Roschani berichtet, war ich schockiert», sagt auch Nadja Rohner von Medienfrauen.ch. Sie selber habe keine so drastischen Erfahrungen mit Sexismus am Arbeitsplatz gemacht, aber Kenntnis von anderen Fällen. Sie wolle nicht relativieren, doch gibt zu bedenken: «Die Medienbranche ist nicht schlimmer als andere. Es gibt in der Schweiz generell ein signifikantes Sexismus-Problem, unter anderem aufgrund von noch immer verkrusteten traditionellen Rollenbildern.»

Der Wandel kommt – wenn auch langsam

Mut macht Rohner aber, dass viele der nun öffentlich gewordenen Vorfälle schon länger zurückliegen. «Ich bin seit 13 Jahren im Journalismus tätig und habe den Eindruck, dass sich in den letzten Jahren einiges zum Besseren verändert hat», sagt sie zu blue News. «Aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Strukturwandel braucht seine Zeit.» Sexismus gebe es in jedem Medienhaus, glaubt sie – aber nicht in jedem Team.

Der Brief der Tamedia-Frauen von 2021 habe einiges in Bewegung gebracht, glaubt sie: «Viele Frauen trauen sich seither, sich überhaupt zu wehren.» Auch sei auf den Redaktionen das Bewusstsein für das Sexismusproblem gestiegen, und Frauen würden heute zum Teil bewusst gefördert.

Doch nur weil Frauen eingestellt würden, heisse das nicht, dass auf einer Redaktion kein frauenfeindliches Klima herrsche. Und hierfür brauchten Frauen die Unterstützung ihrer männlichen Kollegen: Sie sollten selber darauf achten, nicht zu einem sexistischen Klima beizutragen. «Und wenn ein Chef einen sexistischen Spruch fallen lässt, darf man ihm auch als Mann sagen, dass das daneben ist.»

Schawinski – mit Patrizia Laeri

Schawinski – mit Patrizia Laeri

Roger Schawinski spricht mit Wirtschaftsjournalistin, Unternehmerin und Moderatorin Patrizia Laeri über ihre Finanz-Medien-Plattform Elle XX und mediale Aufmerksamkeit für Frauen, aber auch über ihre Zeit bei SRF, ihre Karriere und weitere Pläne.

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