Debatte zur EU-Politik «Diese Suppe haben viele Köche versalzen»

jeko, sda

15.6.2021 - 09:00

SP-Co-Präsident Cédric Wermuth ist enttäuscht vom Verhandlungsende. (Archivbild)
SP-Co-Präsident Cédric Wermuth ist enttäuscht vom Verhandlungsende. (Archivbild)
Keystone/Peter Klaunzer

Enttäuschung, Kritik am Bundesrat und ein Lob auf die Schweizer Institutionen: Der Nationalrat debattiert heute über die künftige EU-Politik. Auch Bundesrat Ignazio Cassis nimmt Stellung.

jeko, sda

Wie weiter nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU? Erstmals nach dem Entscheid des Bundesrats diskutiert am Dienstag der Nationalrat, wie es in der Europapolitik weitergehen soll.

«Der Rauch ist langsam verzogen», sagte SP-Nationalrat Cédric Wermuth (ZH) und «diese Suppe haben viele Köche versalzen». Die SP sei aber vor allem eines, nämlich enttäuscht.

Es stünden nun folgende Schritte an, sagte Wermuth: Die Freigabe der Kohäsionsmilliarde und die sozialpartnerschaftliche Annäherung an die EU. «Weiter sollten wir der EU anbieten, dass sich die Schweiz solidarisch bei der Bewältigung der Covid-Krise, der Klimakrise und der Migrationskrise beteiligt», erklärte er.



Und schliesslich solle ernsthaft die Debatte um EU-Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden. «Es ist Zeit für mehr Zusammenarbeit und Solidarität in Europa und nicht Zeit für weniger Solidarität und Alleingang», schloss er.

Hochmut und Fall

Roland Fischer (GLP/LU) erklärte, der Abbruch der Verhandlungen sei ein «Schock» für seine Fraktion. «Der Abbruch ist ein komplettes Versagen des Bundesrats.» Der Bundesrat habe nicht nur die EU in Brüssel brüskiert, sondern er habe auch die demokratischen Institutionen der Schweiz mit seinem Alleingang übergangen.

«Hochmut kommt vor dem Fall», meinte Fischer. «Wir fordern den Bundesrat auf, die Verhandlungen um ein Rahmenabkommen wieder aufzunehmen, und ein Abkommen zu unterzeichnen.» Ein institutioneller Rahmen sei für die Weiterführung der bilateralen Beziehungen unverzichtbar.

Status Quo ist keine Lösung

«Demokratie muss in einer sich stetig verändernden Welt mehr bieten als der Status Quo», sagte Balthasar Glättli (Grüne/ZH). «Der Bundesrat hat weder eine politische Vision, noch einen Plan B», sagte er. «Wir sind nicht zurück auf Feld eins, sondern auf Feld null.»

«Der Status Quo steht nicht zur Auswahl», bilanzierte auch Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte/BL). Die Schweiz brauche einen politischen Dialog – mit der EU-Kommission und mit den Nachbarstaaten. Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten seien in den vergangenen Jahren zu wenig gepflegt worden. «Wir brauchen ein Konzept für diese Beziehungen», meinte sie.

Sternstunde der Eidgenossenschaft

Für die SVP-Fraktion sagte Roger Köppel (ZH), «der 26. Mai 2021 war ein Freudentag, eine Sternstunde der Schweizer Eidgenossenschaft». Der Bundesrat habe verhindert, dass fremde Richter über die Schweiz zu Gericht sitzen würden.

«Das ist ein wunderbarer Flügelschlag unserer Institution.» Ausführlich dankte er allen, die nach seiner Auffassung den Abbruch der Verhandlungen befürworteten. «Wir danken dem Bundesrat, dass er die Kraft und den Mut gefunden hat, aus diesen Verhandlungen auszusteigen. Wir danken insbesondere den beiden FDP-Bundesräten Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter», die erkannt hätten, dass das Rahmenabkommen kein gangbarer Weg sei.

Hoffnung auf politische Gespräche

Für die FDP-Fraktion hätten stabile Beziehungen zur EU einen hohen Wert, sagte Beat Walti (ZH). Ohne Grenzgänger und Personenfreizügigkeit wäre Vieles in der Schweiz nicht möglich, sagte er. «Der Abbruch erfolgte im vollständigen Wissen um die negativen Konsequenzen für die einzelnen Departemente», sagte Walti. Er hoffe auf den Erfolg der politischen Gespräche.

Cassis will bilateralen Weg weiterführen

Am Ende der Debatte stellte Aussenminister Ignazio Cassis fest, dass der Entscheid von Ende Mai noch immer «die Gemüter erhitzt». Die Schweiz habe einen grossen Schritt auf die EU zugemacht, weil sie die dynamische Rechtsübernahme und den Europäischen Gerichtshof akzeptiert habe.

Die Sicherheit des Lohnschutzes mit den flankierenden Massnahmen und nur eine eingeschränkte Übernahme der Unionsbürgerlichtlinie seien die roten Linien gewesen, die innenpolitisch abgestützt gewesen seien, sagte Cassis

«Die Aufforderung des Bundespräsidenten, das Angebot der Schweiz nochmals vertieft zu prüfen, blieb ohne Antwort aus Brüssel», erklärte Cassis. Danach sei der Entscheid im Bundesrat getroffen worden. «Der Beschluss war eine Interessenabwägung.»

«Wenn du nur noch Grau vor dir siehst, bewege den Elefanten», zitierte Cassis ein indisches Sprichwort.

Es bleibe das Ziel des Bundesrats, den bilateralen Weg zu konsolidieren und auszuweiten. «Das Rahmenabkommen war ein möglicher weg, der nun gescheitert ist. Nun müssen wir andere Lösungen suchen.»