Juso-Chefin Ronja Jansen«Lieber werde ich altersradikal, als zu resignieren»
Von Lia Pescatore
29.8.2021
Der Wahlkampf-Endspurt ist gestartet, für die 99-Prozent-Initiative wird das Rennen äusserst knapp. An vorderster Front kämpft Juso-Präsidentin Ronja Jansen weiter. «blue News» hat sie erzählt, wo sie ihren Antrieb hernimmt.
Von Lia Pescatore
29.08.2021, 23:30
31.08.2021, 14:34
Lia Pescatore
Exakt einen Monat vor dem Abstimmungssonntag steht die 99-Prozent-Initiative der Jungsozialist*innen auf der Kippe. Laut SRF-Meinungsumfrage vom 20. August hätten zu diesem Zeitpunkt 46 Prozent der Befragten Ja gestimmt, 1 Prozent weniger hätte sich für ein Nein entschieden.
Die Juso will mit der Initiative mehr finanzielle Gerechtigkeit schaffen, indem die Steuern auf Kapitalvermögen erhöht werden. Davon sollen 99 Prozent der Bevölkerung profitieren, aber das reichste Prozent zur Kasse gebeten werden.
Wir treffen Ronja Jansen, die Präsidentin der Jungsozialist*innen, beim Zürcher Volkshaus. Sie befindet sich an diesem Donnerstagabend inmitten des Wahlkampf-Schlussspurts, Veranstaltung reiht sich für sie an Veranstaltung.
Am Morgen hat Jansen bereits in Bern an einer weiteren Medienkonferenz des Ja-Komitees gesprochen, sie hat dabei neue Argumente ins Spiel gebracht: Die Initiative solle nicht nur Vermögen gerechter verteilen, sondern auch Gegensteuer geben zur aktuellen Steuerpolitik des Bundes.
Ja-Komitee der 99-Prozent-Initiative führt neue Argumente ins Feld
Das Ja-Komitee der 99-Prozent-Initiative hat neue Argumente für ein Ja präsentiert. Für Arbeitnehmende werde es Ende des Monats, aber auch im Alter immer weniger Geld geben. Dies zeige sich auch an der Ausrichtung der Steuerpolitik des Bundesrats, wie Regula Rytz gegenüber Keystone-SDA sagte. «Lohnarbeitende sollen mehr für den Service public bezahlen müssen. Im Gegenzug sollen Vermögende noch mehr entlastet werden.»
27.08.2021
Ein Verzweiflungsakt? Nein, Jansen hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Es sei ihr aber bewusst, dass Volksinitiativen in den letzten Wochen oft noch an Zustimmung verlieren. Zudem sei der Gegenwind mit fünf Gegenkomitees stark.
Sie selbst steht klar hinter der Initiative, die noch vor ihrer Zeit als Präsidentin lanciert worden ist: «Die Initiative zieht die Trennlinie genau am richtigen Ort, zwischen denen, die selbst arbeiten und den anderen, die ihr Geld arbeiten lassen», sagt sie.
Keine bewusste Entscheidung gegen die Provokation
Vermögensungleichheit und Verteilungsfragen: Themen, für die Ronja Jansen schon seit Beginn ihrer politischen Karriere brennt. «Es waren die Mindestlohn-Initiative und die 1:12-Initiative, die mich politisiert haben.»
Während Vorgänger an der Juso-Spitze mit Joints auf dem Rednerpult und brennendem BH auf sich aufmerksam machten, provoziert Jansen weniger.
Sie habe sich nicht bewusst gegen Provokation entschieden, sagt Jansen, nachdem sie länger als bei anderen Aussagen in die Ferne geschaut hat, die Augenbrauen leicht zusammengekniffen, bis sich der Gedanke gefestigt hat und sie sich wieder ihrem Gegenüber zuwendet.
Es liege wohl auch daran, dass die Themen, die sie besonders begeistern würden, weniger anecken würden. «Ich habe festgestellt, dass eine Aussage über die Diskriminierung der Frau mehr empört als die Forderung, den Boden zu verstaatlichen», sagt die 26-Jährige.
Verteilungsfragen seien dabei grundlegend in so vielen Themen, so auch beim Kampf gegen den Klimawandel. «Die technischen Lösungen sind eigentlich da», es gehe nun um die Frage, wer zahlt, «auch für die Auswirkungen, wenn wir es nicht rechtzeitig schaffen», sagt die Baselbieterin.
Alles andere muss warten
Ihr Interesse an Verteilungsfragen habe auch ihre Studienwahl beeinflusst: Sie studiert Wirtschaft und Soziologie, die zwei verschiedenen Blickwinkel hätten sie gereizt. Im Soziologie-Studium gefällt ihr der Austausch mit Gleichgesinnten. Das sei im Wirtschaftsstudium anders. «In der Soziologie diskutiert man über verschiedene Theorien, im Wirtschaftsstudium wird oft so getan, als wäre die herrschende neoklassische Wirtschaftstheorie die objektive Wahrheit.»
Ihrem Job als Parteipräsidentin hat sie momentan jedoch alles untergeordnet. Ihr Studium liegt auf Eis. Die 25 Punkte, die Jansen noch für den Bachelor braucht, wolle sie aber unbedingt noch abschliessen, auch aus pragmatischen Gründen, sagt sie.
«Wir glauben daran, dass der Kuchen für alle reicht, das müssen wir aufzeigen.»
Sie politisiert grösstenteils fernab der mehrheitsfähigen Themen, grosse Erfolge sind da schwer zu erzielen. «Es sind die kleinen Dinge», die ihr Antrieb geben würden weiterzumachen, sagt Jansen. Zum Beispiel die junge scheue Frau, die sie motivieren konnte, ans Mikrofon zu treten.
Auch der Austausch mit Gleichgesinnten würde ihr sehr viel Auftrieb geben. Die Juso habe in den vergangenen Monaten extrem viel Zuwachs bekommen, die Pandemie und das Klima hätten die Jungen politisiert. In der Partei sollen sie «real» etwas bewegen können, nicht einfach nur «rumtümpeln», wie es Jansen ausdrückt.
Juso-Anlass vor alten Leuten
Nach einem halben Liter Eistee und drei Zigaretten folgt der nächste Anlass für Jansen: die Vernissage des Buches «Geld arbeitet nicht – wir schon», das die Juso in Zusammenarbeit mit dem Denknetz rausgebracht hat.
Das Buch sei nicht ein Wahlkampfvehikel, es soll die Debatte unterstützen, sagt Jansen darüber.
Wer diese Debatte auch wirklich führen will, zeigt sich an der Vernissage klar: Auf der Bühne sitzen neben den Juso-Vertreterinnen Ronja Jansen und Mia Jenni zwei emeritierte Professoren, auch im Publikum liegt der Altersdurchschnitt klar über dem Zielpublikum der Juso.
Wohl auch wegen eines organisatorischen Fehlers: Zur selben Zeit findet gleich nebenan eine wichtige Delegiertenversammlung der Zürcher SP statt – die vierte Stadtratskandidatin wird nominiert. Es sei schon ein bisschen peinlich, dass es dazu gekommen sei, immerhin würden mehrere Menschen aus Zürich in der Geschäftsleitung der Juso Schweiz sitzen, sagt Jansen mit einem Lächeln schon vor der Veranstaltung.
Hoffnung statt nur Empörung
Für die Linke wünscht sie sich in Zukunft einen Punkt stärker im Fokus: die Hoffnung. Zwar sei die Juso eine empörte Partei, man dürfe aber nicht aus den Augen verlieren, dass man der Bevölkerung auch Hoffnung vermittelt. «Wir glauben daran, dass der Kuchen für alle reicht, das müssen wir aufzeigen.»
Ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn sei Grund dafür, dass sie weitermache. «Ich kann gar nicht anders.» Sie hoffe, dass auch sie die Hoffnung auf Veränderung bewahren könne. «Lieber werde ich altersradikal, als zu resignieren», sagt sie und lacht.