99-Prozent-InitiativeDas musst du zum Juso-Angriff auf die Reichsten wissen
Von Lia Pescatore
10.8.2021
Mehr Geld für die Armen, weniger für die Reichen. Das will die Juso mit der höheren Besteuerung von Kapitaleinkommen erreichen. Doch trifft die Initiative wirklich nur die Reichsten? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Von Lia Pescatore
10.08.2021, 15:02
10.08.2021, 17:49
Lia Pescatore
Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich auch in der Schweiz immer weiter. Nach der 1:12-Initiative, welche direkt bei den Löhnen ansetzte, versuchen die Jungsozialist*innen (Juso) mit der 99-Prozent-Initiative einen neuen Ansatz, um das Vermögen umzuverteilen.
Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative ab, am 26. September entscheidet die Bevölkerung darüber. «blue News» fasst die wichtigsten Fragen und Antworten zur Vorlage zusammen.
Was soll die Initiative erreichen?
Der offizielle Titel der Initiative umschreibt eigentlich schon die Ziele der Urheber*innen: «Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern». Die Juso will mithilfe einer Vermögensumverteilung mehr soziale Gerechtigkeit herstellen. Das reichste Prozent der Bevölkerung besitze mehr als 43 Prozent des Gesamtvermögens, so das Argument der Jungpartei der SP. Die Initiative soll bewirken, dass mehr Vermögen den restlichen 99 Prozent, den «wahren Leistungsträger*innen unserer Gesellschaft», zugutekomme.
Wo setzt die Initiative an?
Die Befürworter setzen ihren Fokus auf das Kapitaleinkommen. Dieses werde bei der Besteuerung privilegiert behandelt. Grossaktionäre müssten beispielsweise nur auf 60 Prozent ihres Einkommens Steuern zahlen – während alle anderen ihr gesamtes Einkommen versteuerten. Darum fordern die Initianten, dass Kapitaleinkommen 1,5 Mal so hoch wie das Lohneinkommen besteuert werden soll.
Was ist Kapitaleinkommen denn genau?
Man kann Kapitaleinkommen als Lohn für investiertes Geld bezeichnen. Dabei wird der Gewinn nicht durch Arbeit oder Bezug von Sozialgeldern generiert, sondern durch den Ertrag aus Immobilien, Aktien oder Unternehmen.
Das Problem: Steuerrechtlich ist der Begriff Kapitaleinkommen nicht definiert. Auch der Initiativtext enthält keine exakte Definition oder Ausnahmen. Es würde also am Parlament liegen, diese Definition bei einer Annahme der Initiative vorzunehmen.
Wo fliessen die Mehreinnahmen hin?
Durch die höheren Steuereinnahmen – laut Initiativ-Komitee bis zu 10 Milliarden Franken jährlich – sollen die Löhne der Menschen mit tiefem oder mittleren Einkommen entlastet und die soziale Wohlfahrt gestärkt werden, zum Beispiel durch Investitionen in Kinderbetreuung, Gesundheit und Bildung.
Wer befürwortet die Initiative?
Neben den Jungsozialisten, den Initianten, findet die Initiative auch Unterstützung bei SP, Grüne, EVP und den Gewerkschaften.
Wer sind die Gegner?
Der Bundesrat und eine Mehrheit des Parlaments lehnen die Initiative ab. So sprechen sich SVP, Mitte-Partei, FDP und GLP sowie ihre Jungparteien gegen die 99-Prozent-Initiative aus. Auch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, der Gewerbeverband SGV, die Interessenorganisation der Familienunternehmen Swiss Family Business, Digitalswitzerland und der Verband Swesa, der KMU und Start-ups vertritt, lehnen die Volksinitiative ab.
Was sind ihre Argumente?
Der Bundesrat sieht keinen Handlungsbedarf bei der Vermögensumverteilung, im Vergleich zu anderen Ländern stehe die Schweiz gut da. «Eine Umverteilung findet bereits statt, sowohl durch die Steuern als auch durch die Sozialleistungen», sagt Bundesrat Ueli Maurer stellvertretend an einer Medienkonferenz am Dienstag.
Mit Mehreinnahmen durch die Steuererhöhung sei auch nicht zu rechnen, so Maurer, da die Erhöhung die Anziehungskraft der Schweiz für Reiche schwäche und damit gewisse Steuereinnahmen zunichtemache.
Ein vom Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) angeführtes Wirtschaftskomitee befürchtet zudem eine Schwächung des Wirtschaftsstandortes Schweiz. Die Initiative würde die Attraktivität der Schweiz für Start-ups und Investoren reduzieren.
Wen betrifft die Steuererhöhung genau?
Die Initianten überlassen den Entscheid, welche Arten von Kapitaleinkommen und ab welcher Höhe diese versteuert werden sollen, dem Parlament.
Darum ist schwer abschätzbar, wer genau mehr Steuern bezahlen müsste.
Für die Gegner sind die Unklarheiten zu gross. Die entscheidenden Begriffe würden nicht definiert, der Initiativtext lasse so ziemlich alles offen. «Damit kaufen wir die Katze im Sack», sagt Fabio Regazzi, Tessiner Mitte-Nationalrat und SGV-Präsident. Die Gegner befürchten, dass je nach Auslegung der Initiative auch der Mittelstand, sowie auch KMU und Familienunternehmen unter der Änderungen leiden könnten.