Brisanter Vorschlag Ist die 13. AHV-Rente ganz ohne neue Abgaben finanzierbar?

Von Gil Bieler

5.3.2024

Wer soll die 13. AHV-Rente finanzieren? Der frühere SP-Ständerat Paul Rechsteiner macht einen brisanten Vorschlag: Weder Lohnabzüge noch Mehrwertsteuer müssten erhöht werden. Ein SVP-Vertreter hat Zweifel. 

Von Gil Bieler

5.3.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die vom Stimmvolk am Sonntag angenommene 13. AHV-Rente soll bereits ab 2026 ausbezahlt werden. Kostenpunkt: 4,1 Milliarden Franken, sagt der Bundesrat.
  • Um das zu finanzieren, wird vor allem über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer oder der AHV-Lohnbeiträge diskutiert. 
  • Paul Rechsteiner sagt nun, das gehe auch anders: Der Altständerat (SG/SP) will bei den milliardenschweren Reserven der Arbeitslosenversicherung (ALV) ansetzen. 
  • Zweifel an diesen Plänen äussert SVP-Ständerat Hannes Germann: Der Schaffhauser warnt davor, die ALV-Beiträge zu senken. 

Das Stimmvolk sagt Ja zur 13. AHV-Rente: Nachdem die grosse Sensation des Abstimmungssonntags verhallt ist, rückt die Frage in den Fokus: Wie soll dieser Ausbau der ersten Säule finanziert werden?

Einen ungewöhnlichen Vorschlag bringt nun Paul Rechsteiner auf Tapet: Die zusätzliche AHV-Monatsrente lasse sich ganz ohne Steuererhöhungen oder neue Abgaben finanzieren, rechnet der St. Galler SP-Politiker vor.

Seine Stimme hat Gewicht: Als langjähriger National- und Ständerat sowie ehemaliger Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes ist er mit der Materie bestens vertraut. Zudem gilt Rechsteiner, der sich Ende 2022 aus dem Bundeshaus verabschiedet hat, als geistiger Vater der nun angenommenen Volksinitiative.

Die Kasse der Arbeitslosenversicherung ist prall gefüllt

«Eine unmittelbare Finanzierung braucht es nicht, weil es der AHV dank der Zusatzfinanzierungen der letzten Jahre sehr gut geht», sagt Rechsteiner in einem Interview mit dem «Beobachter». Mittelfristig brauche es mehr Mittel für die AHV. Doch: «In den nächsten Jahren könnte eine Zusatzfinanzierung aufgegleist werden, ohne dass die Leute dadurch mehr belastet werden.»

Möglich machen soll das die prall gefüllte Kasse der Arbeitslosenversicherung (ALV), wie der 71-Jährige erklärt. Denn die ALV nehme viel mehr ein, als sie ausgebe. Allein im Jahr 2023 seien ihre Reserven um 2,8 Milliarden Franken angewachsen. Und für die ALV gelte von Gesetztes wegen eine Vermögensbremse: «Sobald die Versicherung zu viel auf der hohen Kante hat, muss sie die Lohnbeiträge zwingend senken.»

Daraus ergebe sich finanzieller Spielraum: Sofern nicht plötzlich viel mehr Menschen ohne Job dastünden, könnten die ALV-Lohnabzüge um 0,3 Prozentpunkte gesenkt werden. Angestellte und Arbeitgeber*innen müssten so jeweils 0,15 Prozent weniger Abgaben entrichten.

«Der Bund könnte 0,3 Lohnprozentpunkte so umwidmen, dass sie der AHV zukommen würden», argumentiert Rechsteiner. Dadurch würden «auf einen Schlag» Zusatzeinnahmen von 1,3 Milliarden Franken ermöglicht. «Es wäre eine segensreiche Geschichte für alle, weil niemand mehr bezahlen müsste als heute», ist Rechsteiner überzeugt.

AHV-Ausbau kostet über 4 Milliarden Franken im Jahr

1,3 Milliarden Franken sind eine beträchtliche Summe. Die 13. AHV-Rente, die bereits ab 2026 ausbezahlt werden soll, kostet gemäss Angaben des Bundesrats zu Beginn aber rund 4,1 Milliarden Franken. Fünf Jahre später wären es schon 5 Milliarden Franken.

Rechsteiner will daher noch weitere Hebel ziehen. Weil es weniger Unfälle gebe, sollten auch die Lohnbeiträge an die Unfallversicherung sinken. «Und weil wir weniger Kinder haben, sinken auch die Familienzulagen», erklärt er. Laut Berechnungen des Gewerkschaftsbundes würden die Lohnbeiträge an die Sozialversicherungen insgesamt in einem so grossen Ausmass sinken, «dass die Leute von den höheren AHV-Beiträgen gar nichts bemerken werden im Portemonnaie».

SVP-Ständerat warnt vor «Experimenten» mit der ALV

Hannes Germann, Schaffhauser Ständerat und Mitglied der SVP, findet das «eine recht optimistische Rechnung», wie er auf Anfrage von blue News sagt. Natürlich müsse man alle Möglichkeiten prüfen, wie die 13. AHV-Rente finanziert werden könne. «Doch wenn die Arbeitslosenversicherung zu viel Geld auf der Seite hat, gehört das jenen, die zu viel einbezahlt haben. Einfach umverteilen, das geht nicht.»

Zudem warnt er vor «Experimenten» mit der ALV: Dass diese gerade Überschüsse schreibe, sei der faktischen Vollbeschäftigung im Land verdankt. Das müsse aber nicht so bleiben: «Angesichts der vielen Krisen und Kriege ist eine globale Wirtschaftskrise nicht ausgeschlossen, und dann müssten wir die ALV-Abzüge wieder erhöhen.»

Germann ist Vizepräsident der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-S) und gehört als SVP-Vertreter zum Verliererlager des Urnengangs. Er kritisiert die Initiant*innen dafür, dass sie die Frage der Finanzierung ungeklärt liessen: «Die Rechnung für das teure Versprechen wird erst jetzt präsentiert», sagt er.

Mehrwertsteuer und Lohnabzüge im Fokus

Rechsteiners Vorschlag ist ohne Frage unkonventionell. Breiter diskutiert werden eine Erhöhung der AHV-Lohnabzüge oder der Mehrwertsteuer.

Für diese Möglichkeiten sprach sich auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider an ihrer Medienkonferenz am Abstimmungssonntag aus. Die Innenministerin will dem Bundesrat in den nächsten Wochen einen Finanzierungsvorschlag vorlegen. Die Mitte-Partei bringt derweil auch eine Steuer auf Finanztransaktionen ins Spiel, um den AHV-Zustupf zu finanzieren.

Das sagt Bundesrätin Baume-Schneider zum deutlichen Ja für die 13. AHV-Rente

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03.03.2024

SVP-Ständerat Germann würde es bevorzugen, bei der Mehrwertsteuer anzusetzen. «Dadurch droht zwar ein Konsumdämpfer, aber höhere Lohnabzüge gingen zulasten der jungen, berufstätigen Menschen, die mehrheitlich Nein gestimmt haben», sagt er zu blue News. Zudem stellt er die Frage, ob nicht Zahlungen ans Ausland gestrichen werden könnten.

Der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller, der Präsident der Sozialkommission der kleinen Kammer ist, erklärt auf Anfrage, er halte nichts von kurzfristigen einseitigen Massnahmen. «Stattdessen erwarte ich wie versprochen vom Bundesrat per 2026 strukturelle Vorschläge, wie die AHV langfristig gesichert werden soll.» Auch die FDP hatte gegen die 13. AHV-Rente gekämpft und zählt damit zu den Abstimmungsverlierer*innen.

Päckli-Lösung ist die Regel

Womöglich läuft es auf eine Kombination aus verschiedenen Massnahmen hinaus, so, wie das bei der im September 2022 vom Stimmvolk nur knapp angenommenen AHV-21-Reform der Fall war. Das Rentenalter der Frauen wurde damals um ein Jahr auf 65 Jahre erhöht, zugleich wurde die Mehrwertsteuer zugunsten der AHV-Kasse angehoben.

Eidgenössische Abstimmungen

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sda

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